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Ich hab das Ergebnis sehen wollen#

(Der Handwerker und Kraftfahrer Johann Geiger)#

von Martin Krusche

Einer der Kernsätze unserer Begegnung lautete: „Gibt eh nix, woran ich nicht gemurkst habe.“ Wenn ich sowas höre, ahne ich, daß ich es mit einem Schrauber aus Leidenschaft zu tun hab. Als er ein Bub war, wußte er schon, daß er sich mit solchen Maschinen intensiv und ausführlich befassen möchte. Kraftfahrzeuge. Egal in welchem Bereich. Johann Geiger kennt die Welt seit rund 80 Jahren. Das bedeutet, in seinen Kindertagen begann sich die Volksmotorisierung Österreichs erst langsam zu entfalten. Es war damals keinesfalls selbstverständlich, ein Automobil zu besitzen, es auch im laufenden Betrieb erhalten zu können.

Johann Geiger (rechts) und Gottfried Lagler.
Johann Geiger (rechts) und Gottfried Lagler.

Als mir Geiger jüngst gegenübersaß, sagte er entspannt: „Ich bin alles gefahren.“ Und das hieß in seinem Fall: alle denkbaren Größen und Antriebsarten. Er war in seiner aktiven Berufslaufbahn vor allem Fahrlehrer beim Bundesheer. Ein Kraftfahr-Unteroffizier bei der ersten Batterie in der Hackher-Kaserne in Gratkorn. Batterie bedeutet in dem Fall: eine Formation der Artillerie. In Gratkorn mit dem Sonderfall, daß es dort nicht bloß Rohrartillerie gab, sondern auch Raketenwerfer, die auf Lastwagen montiert waren.

Was Geiger alles fuhr, waren erst einmal etliche Fahrzeuge aus jenen Beständen, welche die US Streitkräfte nach der Niederlage der Nazi auf dem alten Kontinent Europa zurückgelassen hatten. Zum Beispiel schnurrende Jeeps, breitärschige Dodges, brüllende GMC Lastwagen und etliche Nischenprodukte. Rad und Kette. Die volle Musik.

Vermutlich hat er auch den einen oder anderen Zastava gesehen, die jugoslawische Lizenzversion der Fiat Campagnola, ein Allradfahrzeug, ungefähr im Puch G-Format. Aber aus denen wurde in Österreich nichts, wie auch aus dem ÖAF Husar, über den Geiger sagt: „Der war zusammengepfuscht. Ein Glumpert.“ Der Husar blieb so aussichtslos wie später der Noriker, eine Allradversion des VW LT.

Aber zurück zu dem, was sich beim Bundesheer durchgesetzt hat und folglich von den Männern technisch beherrscht werden mußte. Der Praga „hat grauslich gerußt. Ein dreckiges Ungetüm. Es sind dann neue Umweltbestimmungen gekommen, da mußten wir die loswerden. Wir hatten die Praga ja zusammen mit den Raketenwerfern gekauft. Die waren dann hinfällig und wir haben sie auf Steyr 680 umgerüstet.“ Darunter auch einige Doppelkabiner, damit die Werfermannschaft im Trockenen sitzen konnte.

Kennt noch jemand die Militär-LKW von Gräf & Stift? Hat wer die Berliet mit der kantigen Haube in Erinnerung? (Geiger: „Innen so breit wie eine Lokomotive.“) Kaum! Wer in den 1970ern einrückte, sah noch alte GMC und manch andere Antiquität. Geiger: „Den GMC bin ich sieben Jahre gefahren. In dem Auto bist du nie steckengeblieben, außer du hast nicht fahren können.“

Freilich gab es noch eine Weile den alten Jeep aus den 1940ern. „Den haben wir, sieben Leute, ruckzuck zerlegen können.“ Manche werden es wissen, den Jeep konnte man - zerlegt und verpackt - in einer Holzkiste verschicken. Aber fürs Kleinräumige waren dann ja die Steyr-Puch Haflinger da. Fahrzeuge mit phänomenalen Geländeeigenschaften, doch nicht fürs Streckenfahren konzipiert. Sie wurden aber dennoch auch über Distanzen geschunden. „Da haben wir mit einem Kabel den Begrenzer außer Funktion gesetzt, um Tempo zu machen.“ Das bedeutete natürlich, den Wagen technisch zu ramponieren.

Mehrere Fotoalben dokumentieren die Restaurierungs-Projekte von Johann Geiger.
Mehrere Fotoalben dokumentieren die Restaurierungs-Projekte von Johann Geiger.

Für mehr Reichweite und Nutzlast gab es die Pinzgauer. Dazu sagt Geiger: „Bei den Pinzgauern sind’s eh inzwischen draufgekommen, daß es ein Blödsinn war, die wegzugeben.“ Wer je mit einem 6x6 im schweren Gelände war, was die Pinzgauer hergeben. Und bis heute gilt auch für die Haflinger: nur das Können des Fahrers setzt die Grenzen.

Die gemütlichen 680er Steyr können Sie heute noch auf unseren Straßen sehen; als Liebhaberfahrzeuge in Privatbesitz, wie sie zum Beispiel Weltenbummler ganz gerne nutzen. Im 680er Häusel kann man für Strecken freilich einen Gehörschutz vertragen.

Jugendzeit#

Ich merke schon, ich bin zu schnell mit dem Themen. Johann Geiger, der Schrauber, der Handwerker, der Fahrer, der Fahrlehrer. Das hat eine Verlaufsgeschichte, die in etlichen Aspekten die Geschichte der Zweiten Republik wiederspiegelt. Geiger kam, wie die meisten Menschen der Steiermark, aus bescheidenen Verhältnissen. Das bedeutet, es war von Vorteil, wenn ein Bub schon früh wußte, was ihm liegt und wo er hin möchte.

Man konnte nämlich nicht einfach rausgehen und sagen: „Ich will!“ Man wollte vielleicht dies machen, das probieren, so lief das damals aber nicht. Geiger: „Ich bin kein gelernter Mechaniker. Der Meister hätte mich gerne genommen. Aber da war ein anderer, der hat Fleisch und Schinken mitgebracht, seine Familie war bessergestellt. Den haben sie genommen, mich nicht.“ Das hab ich übrigens in meinen Gesprächen öfter gehört. Es war damals, nach dem Krieg, keineswegs selbstverständlich, daß man zu seinem Berufswunsch die passende Lehrstelle bekommt.

Den professionellen Einstieg fand Geiger dann in seiner Militärzeit. Er wurde zum Heereskraftfahrer ausgebildet, kam aber zum Wachzug nach Kalsdorf. Das war nichts für ihn. Doch der Reihe nach. Die Geschichte beginnt eigentlich damit, daß er sich als Bub recht geschunden hat, um die Raten für ein Moped zusammenzubekommen. „Die grüne Stangl-Puch.“ Also eine frühe Puch MS 50, wie Gottfried Lagler heute eine besitzt. (Lagler ist Obmann des Oldtimer-Stammtisch Figaro“, dem sich auch Geiger zugehörig fühlt.)

Die Plakette zeigt eine Panzerhaubitze M-109 A5Ö.
Die Plakette zeigt eine Panzerhaubitze M-109 A5Ö.

Ratengeschäfte. Ein junges Phänomen. Erst in der Zwischenkriegszeit hatten Anbieter begonnen, für Motorräder mit der Möglichkeit von Ratenzahlungen zu werben. Rudolf Santner erwähnt in seinem Buch „Österreichische Motorräder und Beiwagen 1918-1960“, daß damals „das Wort Privatkredit für die Banken unbekannt“ gewesen sei. Er nennt als historisches Beispiel die Wiener Firma Hinteregger, bei der man ein Motorrad auf Raten kaufen konnte; aber nur, falls man über eine Fixanstellung verfügte.

In Geigers Bubenzeit hatte sich das Konzept längst bewährt und er folgte seinem Plan, Rate für Rate hereinzuwirtschaften. Heute würden wir sagen: Er hat Nebenjobs gemacht. In der agrarischen Welt war man es ohnehin gewohnt, daß einen nur die Schule von der Arbeit fernhakten konnte; und das nicht immer. Es war bei uns üblich, daß Kinder spätestens mit fünf, sechs Jahren über einfache Tätigkeiten an die Arbeitswelt herangeführt wurden. Danach hatten sie immer dort zuzupacken, wo es nötig und möglich war.

Also: Jobs. Das schien Geiger in einem speziellen Punkt schwierig: „Bei den Bauern hast du ja nix verdienen können. Da hat‘s eine Jause und Most gegeben, aber kein Geld.“ Er brauchte freilich Bares. Es gab schwerere Jobs. Zum Beispiel am Fehringer Bahnhof Kohle abladen. Schaufeln was das Zeug hält. Ab fünf Uhr in der Früh. Dreißig Tonnen. (Das mag ich mir gar nicht vorstellen.) Das brachte 500 Schilling. Und wieder war eine Rate fürs Moped im Kasten. Hart verdientes Geld.

Weniger dreckig, aber auch mühsam: Kegelbub bei der „Loahmbudl“. Geiger: „Das ist von sieben Uhr früh bis zehn in der Nacht gegangen.“ Diese alte Art der Kegelbahn ist eine Lehmpiste, in deren Mitte eine schmale Spur aus Holzbohlen zu den Kegeln führt, welche von Hand aufgestellt werden müssen. Die Kugeln werden über eine abschüssige Rinne zum Start zurückgeschickt. „Da war nicht einmal Zeit für ein Essen. Aber das hat mir jedes mal 400 Schilling gebracht.“ Schritt für Schritt zum eigenen Moped.

Die härtestes Arbeit leistete Geiger beim Eisenbahnbau. „Da hat es noch keine von diesen großen Gleisstopfmaschinen gegeben. Du hast den Schotter händisch unter die Schwellen schaffen und verdichten müssen.“ Diese Schindereien hat man den Leuten dann jeden Tag auch angesehen. Außerdem sorgte das für enormen Verschleiß bei Schuhen und Hosen.

Von links: Gottfried Lagler mir Erna und Johann Geiger. (Was wir von den vorzüglichen Keksen beim Kaffee auf der Terrasse nicht verputzt haben, bekamen wir in Packerln mit nachhause.)
Von links: Gottfried Lagler mir Erna und Johann Geiger. (Was wir von den vorzüglichen Keksen beim Kaffee auf der Terrasse nicht verputzt haben, bekamen wir in Packerln mit nachhause.)

Geiger: „Einmal hab ich da 36 Stunden durchgemacht. Dazu hat es Brot, Braunschweiger und Bier gegeben. Nachher hab ich mir die Jeans runterschneiden müssen.“ Die Chefin der Firma, für welche er damals arbeitete, schätze seinen Einsatz und seine Belastbarkeit, was ihm einen speziellen Bonus einbrachte. Sie bezahlte ihm den Führerschein.

Technisches Verständnis#

Etwas blieb ihm aus der Zeit. Eine Haltung. Geiger: „Es kann ruhig dreckig bis über die Ellbogen sein. Aber ich hab das Ergebnis sehen wollen.“ Ergänzend sagt er: „Die Technik hat mich immer interessiert. Ich bin mit allem gerne gefahren.“

Heuer, 2021, ist es 59 Jahre her, daß er seine Erna geheiratet hat. Sie hätte ursprünglich eine Landwirtschaft übernehmen sollen, war sich aber im Klaren: „Das ist nichts für mich.“ Also wurde sie Verkäuferin, das lag ihr besser. Auch sie ist offenbar ein Beispiel für frühe Klarheit, was man aus seinen Talenten machen soll, weil man weiß, welche Talente man hat.

Heute sieht man es ihnen und ihrem Haus gleichermaßen an, daß diese Hände nie geruht haben. Tätig sein. Sinnvolles tun. Da ist auch ein Stolz, daß aus allen ihren Kindern etwas geworden ist. Dazu kommt, daß Geiger seit seinen Jugendtagen an Fahrzeugen schraubt. Er hat das als Berufssoldat gemacht. Einerseits unterm Fahren, andererseits bei den Servicearbeiten an den Fahrzeugen, schließlich in der Ausbildung junger Leute.

Dann aber auch in der Freizeit, beim Restaurieren von Klassikern. Diese Grundeinstellung bezüglich der Fahrzeuge: „Daß man drauf schaut.“ Achtsamer Umgang. Wissen, was zu tun ist. Hört man ihm zu, wird deutlich: das hat nichts mit Pedanterie zu tun. Damit eine Maschine klaglos funktioniert, muß sie gut gewartet werden. Damit sich der Verschleiß in Grenzen hält, muß sie sachkundig und pfleglich benutzt werden.

Man kann freilich mit einem Panzer zu einem entlegenen Ort fahren, dabei einen Kettensatz für 80.000,- Schilling runterhobeln oder sogar die Lenkgetriebe schrotten. Der Panzer ist ja, ähnlich dem Puch Haflinger, nicht fürs Streckenfahrten gebaut. (Dazu hat man Transporter.) Manche machen sowas dennoch.

Geiger hat keinen Gefallen am sinnlosen Verschleiß von Maschinen. Aber was macht man zum Beispiel innerhalb der militärischen Hierarchie, wenn etwa der Vorgesetzte einen sachlichen Unfug befiehlt? Geiger lächelt und sagt: „Man hilft ihm eh.“

Steyr 680 mit dem tschechischen Salvengeschütz (Raketenwerfer) während des Feuerns.
Steyr 680 mit dem tschechischen Salvengeschütz (Raketenwerfer) während des Feuerns.
Unverkennbar und bis heute ein tauglicher Offroader: Willys Jeep aus den 1940ern.
Unverkennbar und bis heute ein tauglicher Offroader: Willys Jeep aus den 1940ern.

Privat lebte er seine Leidenschaft, indem sich dem Restaurieren gewidmet hat. Beruflich wollte er länger aktiv bleiben und wechselte mit 64 Jahren zum ÖAMTC, wo er zuletzt für den Überschlagssimulator verantwortlich war. Ein Mechanismus, mit dem Menschen sich einen Eindruck holen können, welche Kräftespiele ihr Auto bewegen.

Die Kraftfahrzeug-Ära, in welcher Geiger großgeworden ist und den Hauptteil seines Lebens zubrachte, ist schon Geschichte.

Es haben sich ganz andere Technologien breitgemacht, darunter vieles, was ein erfahrener Schrauber in seiner Garage mit dem vertrauten Werkzeug nicht mehr bearbeiten kann.

Damit werden viele der alten Kompetenzen immer hinfälliger, gehen langsam verloren. Und das bedeutet, nicht bloß die alten Fahrzeuge sind rollendes Kulturgut, Menschen mit den Fertigkeiten wie Geiger sind lebendes Kulturgut.

Fortsetzung#

Ein eigenes Albumblatt mit einigen der hier genannten Fahrzeuge ist derzeit in Arbeit.