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Radikal jenseits der Camera obscura…
Radikal jenseits der Camera obscura…

Bildsprachen im Kontrast#

(Wir codieren die Welt, um sie einander zu erzählen)#

von Martin Krusche

Das Buch „An solche Tagen“ ist gewissermaßen ein künstlerischer Pas de deux, den ich als Lyriker mit Fotograf Richard Mayr absolviert habe. Ich meine das nicht bloß metaphorisch. Wir waren etliche Male gemeinsam draußen im Gestrüpp.

Da konnte ich Mayr bei seiner Naturbeobachtung ebenso über die Schulter blicken, wie später an seinem Computer. Der ersetzt heute jene Dunkelkammer, wie ich sie durch meinen Vater kennengelernt hatte. Hubert Krusche war ein Hobbyfotograf gewesen und meine Kindheit davon geprägt, daß der jeweilige Raum während des Ausarbeitens der Fotos nicht betreten werden durfte.

In der Dunkelkammer gab es nur rotes Licht und den Nebel von Zigarettenrauch, ab und zu das Aufleuchten der starken Lampe des Vergrößerungsapparates. Durch avancierte Digitalfotografie ist das alles quasi in die Maschine verlagert worden; Zigarettenrauch ausgenommen, der in meinem Umfeld nur mehr eher selten vorkommt.

Nun meine Session mit Mathias Petermann, der nicht bloß mit einem Fotoapparat fotografisch arbeitet, sondern auch Fotografien ohne Kamera herstellt. Das ist kein Echo der historischen Camera obscura mehr, sondern eine physikalisch völlig andere Situation.

Die „Lochkamera“ von einst ist eine „Dunkle Kammer“, denn das bedeuten die Worte “Camera obscura“. Dazu ein Loch in einer der Wände. Durch dieses Loch kann Licht in den Raum eindringen und gegebenenfalls ein Abbild dessen, was sich vor der Kammer befindet, an die Rückwand projizieren.

Richard Mayr in freier Wildbahn.
Richard Mayr in freier Wildbahn.

Das mag ein Zimmer sein, es läßt sich aber auch auf handliche Größe herunterskalieren. Setzt man in das Loch eine optische Linse (Objektiv) ein, um den Lichteinfall besser zu kontrollieren, kann an der Rückseite der Box eine Glasplatte angebracht werden, die eine lichtempfindliche Beschichtung (Fotoemulsion) trägt. Voilá! Fotoapparat.

Die Glasplatten-Negative wurden schließlich durch Filme ersetzt. Damit bin ich noch aufgewachsen, aber sogar der Kleinbildfilm ist längst Geschichte. Mathias Petermann arbeitet mit einer Hasselblad X1D. Das ist eine spiegellose Systemkamera mit elektronischem Sucher.

Was das bedeutet? Die klassische Sucherkamera bietet dem Licht zwei Wege an. Durch das Objektive kann es auf den Film treffen, wenn sich der Verschluß öffnet. Parallel dazu blicke ich durch den Sucher auf das Motiv, um so das Objektiv auszurichten.

Die Spiegelreflexkamera schafft dagegen Möglichkeiten, über einen Spiegel direkt durch das Objektiv zu blicken, statt über den Sucher eine Verschiebung des Blicks (Parallaxenfehler) hinzunehmen. Wird der Auslöser gedrückt, klappt der Spiegel weg und das eindringende Licht kann den Film ungehindert erreichen.

All das entfällt bei einer spiegellosen Systemkamera wie der HaBla von Petermann, denn da ereignet sich physikalisch etwas grundlegend anderes. Nun könnte man diesen jüngeren Kameratyp natürlich auf konventionelle Art nutzen, wobei aber klar sein muß, was mir auch die Zusammenarbeit mit Mayr verdeutlicht hat. Seine Fotos sind kein bloßes Abbild der Natur.

Debatte im Pub: Mathias Petermann.
Debatte im Pub: Mathias Petermann.

Was mir Mayrs Fotos zeigen, können Sie draußen so nicht sehen. Es ist sein Blick, seine ästhetische Erfahrung, seine Wahl des Moments beim Drücken des Auslösers und schließlich seine gestaltende Arbeit in der Dunkelkammer, heute: am Computer, wodurch ein Werk entsteht. Dieses Werk ist keine Mimesis, keine „Nachahmung“ des Vorgefundenen.

Als ich nun mit Petermann dessen aktuelle Arbeit debattiert hab, fiel mir auf, da läuft etwas in eine ganz andere Richtung, mit der ich nicht gerechnet hatte. Poiesis. Das Machen als ein Herstellen. Die poietische Arbeit dient dem Produzieren von etwas, das vorher noch nicht da war.

Das bedeutet, in einigen Serien von Petermann-Fotos sehe ich nichts von den Objekten, welche er für die Fotografie genutzt hat, sondern er führt mich in ein völlig anders Bilder-Universum, zeigt mir Dinge, die es davor nicht gab. Oder er dreht das um, man könnte sagen: er dekonstruiert vorliegende Bilder, dringt in ihre digitale Struktur ein, macht sichtbar, was auf einer tieferen Ebene (der Maschinenwelt) zu finden ist. Da ist einiges zu erkunden und zu klären…


Meine erste eigene Kamera: Kodak Retina.
Meine erste eigene Kamera: Kodak Retina.