Stefanie Brottrager: Das »Gesicht aus Fleisch und Blut« der Worte#
Poiesis (Ein Feuilleton)#
Der Videoclip am Seitenende erinnert an Brottrager als Artist in Residence, Judenburg (Steiermark), Austria 2013. Music by (c) Wolfgang Wippel. Der Text stammt aus „Weiche Schablonen. Rahmen und Resonanz des künstlerischen Sprachbildes“. („Mellow Patterns. Frame and Resonance of the artistic Sprachbild.“), Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Philosophie, eingereicht an der Universität für angewandte Kunst Wien bei Univ.-Prof. Dr. phil. Ferdinand Schmatz.
Zitat#
Ad Akustik, S. 67ff: Vom Beton zur „Betonung“ ist die Akustik enthalten, der Ton: etwas lauter sagen, etwas betonen, etwas speziell sagen, etwas nachdrücklich sagen. Die Betonung ist also entscheidend: Was wird gezeigt, was nicht? Welche Aspekte sind betont, welche sind verborgen? Von Elias Canetti stammt die Idee des Begriffs der »akustischen Maske«. Jeder Mensch trage eine akustische Maske, sie sei seine Art zu sprechen, gewissermaßen seine Poetik. Canetti empfahl den Hörenden, einem Sprechenden zuzuhören, dabei weniger auf den Inhalt des Gesprochenen zu achten, als auf die Tonhöhe, den Rhythmus, die Melodie und die verwendeten Wörter. Er stellte auch die These auf, dass jeder Mensch nur circa fünfhundert Wörter verwende. Hinter diesen Wörtern stehe der Mensch, der sie wie eine Maske trägt (vgl. Meyer-Kalkus 2001, S. 49).WÖRTER BESTEHEN AUS BUCHSTABEN,
WORTE AUS GEDANKEN
Im Ohrenzeugen, einem Buch Canettis mit gleichnamigem Charakter, wird dieses »Hör-Prinzip« prosaisch dargestellt:
»Da sind alle diese modernen Apparate überflüssig: sein Ohr ist besser und treuer als jeder Apparat, da wird nichts gelöscht, da wird auch nichts verdrängt, es kann so schlimm sein wie es will, Lügen, Kraftworte, Flüche, Unanständigkeiten aller Art, Schimpfworte aus abgelegenen und wenig bekannten Sprachen, selbst was er nicht versteht, merkt er sich genau und liefert es unverändert aus, wenn es gewünscht wird. ... Es ist nicht zu glauben, wie unschuldig Menschen sind, wenn sie nicht belauscht werden.« (Canetti 1974, S. 51ff)
Wenn Canetti seine Figuren anhand ihrer Sprache, ja mit ihrer eigenen Sprache darstellt, entsteht ein Sprachbild in Form eines Portraits. Es ist ein prosaisches Portrait, nicht abschließend gestaltet, sondern weich in seiner veränderbaren Form, die doch aber eindeutig als Schablone Umrisse bildet. Zeitgenössisch veranschaulichen Robert Stachel und Peter Hörmanseder als Künstlerduo maschek. redet drüber auch eine Art akustischer Maskierung: Über Fernsehausschnitte sprechen sie eigene Texte, welche einerseits durch Nachahmung von Stimmlage, Dialekt und Sprechlautstärke akustischen Masken entsprechen, und andererseits inhaltliche Sprachschablonen dezidiert herausarbeiten. Der Begriff maschek kommt »über (sic!) den Wiener Dialektausdruck „Maschekseiten“ (von hinten, über die Irxen) aus dem Ungarischen« (Dusel 2007, online) und bedeutet »der, die, das andere«. Dieses andere entpuppt sich als Maske, die Sprachbenützerinnen aufsetzen oder entlarven können. Akustische Maskierung wäre demnach auch jede Form von Soziolekt. Ein Soziolekt, wie beispielsweise die Jägersprache, dient auch zur Abgrenzung gegenüber dem anderen, entspricht etwa einer Art Geheimsprache. Jeder, der mitreden will, muss diese Sprache, diesen Soziolekt lernen. Vielsprachigkeit erweist sich hier auch in ihren Soziolekten als „Weichmacher“: Verwendet man gewisse Begriffe, redet man mit, ist man dabei. Die Verschränkung von öffentlichen, allgemeinen Schablonen mit individuellen Masken wird sichtbar. Harte Schablonen werden aufgeweicht.
Ad Allgemeinplätze, S. 116f: Allgemeinplätze. Harte Schablonen Viele Gedankeneinheiten, die zu Sprachbildern werden, entspringen der Alltagssprache. Es sind also keine künstlerisch-literarischen Erfindungen, sondern „sprachliche Allgemein- plätze“.
»Das Kunstwerk ist hier „offen“, so wie eine Diskussion dies sein kann: die Lösung wird erwartet und erhofft, muß aber aus der bewussten Mitarbeit des Publikums hervorgehen. Die Offenheit wird zum Instrument revolutionärer Pädagogik.« (Eco 1973, S. 41)
Voraussetzung für eine offene Diskussion oder Begegnung, mit einem Kunstwerk ebenso wie mit einem (sprachlichen) Allgemeinplatz, ist eine in gewisser Weise demokratisch konstruktivistische Sicht auf die Dinge: Nicht der Einzelne bestimmt über Bedeutungshoheiten, sondern die Gemeinschaft. Bedeutung wird im sozialen Umfeld produziert, erweitert, eingeschränkt, verhandelt. Dies widerspricht der Idee eines „Künstlerinnen-Genies“, welches unabhängig von Rezipientinnen Bedeutungen produziert. Eine zeitgenössische Auffassung von Kunst bedeutet eine Integration der künstlerischen Tätigkeit in die gesamtgesellschaftliche Produktion. Sprachbilder, vor allem wo sie Allgemeinplätze sind, sind per se eine „gesamtgesellschaftliche Produktion“. Die Autorschaft der Künstlerin bezieht sich in erster Linie auf ihre Praxis, das Tun selbst, also nicht auf die genuine Produktion des Sprachbildes, sondern dessen Filtrierung, Sammlung, Konzentration, Verdichtung, Platzierung – Bearbeitung. Insofern Sprache öffentlich ist, in den verschiedenen Öffentlichkeiten, wird jedes Sprachbild zum Allgemeinplatz, es „besitzt keine Autonomie“ (vgl. Mon, S. 256).
»Die natürliche Begründung des Kunstwerks, zwangsläufig aus der „Natur“ des Künstlers stammend, wird im montierten Kunstwerk als „gemacht“ gezeigt. Die Aufnahme von Realmaterial ins Bildwerk schließt die bildende Kunst an vorhergehende Entwicklung der Literatur an. Bei Lautréamont, Baudelaire, Rimbaud gibt es Hinweise auf die Schönheit der Alltagssprache, der nicht-literarischen Formulierung. Baudelaire: „Gibt es irgendetwas Faszinierenderes, Fruchtbareres und im positiven Sinn ‚Aufregenderes‘ als den Gemeinplatz.“« (Faust 1987, S. 53ff)
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