An solchen Tagen: Die Lyrik#
(Annäherungen)#
von Martin KruscheAus meiner Arbeit als Lyriker ließe sich dieses Prinzip herausfiltern: Ich muß zehnmal mehr wissen, als dann in den Texten vorkommt. Die Lyrik ist ein Weg, um an die Transzendenz heranzurücken. Ein Ringen um die Möglichkeit, auch das auszudrücken, was nicht gedacht und nicht gesagt werden kann.
Ich darf annehmen, daß unter den Lesenden jene, die Lyrik schätzen, dieses Interesse teilen. Da liegt übrigens ein wesentlicher Unterschied zum Geschäft der Reimschmiede, die sich mit erbaulichen, humoristischen oder mahnenden Gedichtchen hervortun. (Gebrauchslyrik ist ein anderes Genre.)
Man mag mir widersprechen, aber ich halte es für grundverschiedene Angelegenheiten, ob man sich nun um literarisch relevante Texte bemüht oder ob man gereimte Kalendersprüche produziert. Ich muß da auf Trennschärfe bestehen, denn wenn wir keine halbwegs genauen Begriffe haben, wissen wir nicht, wovon wir reden. Damit wäre sprachliche Kommunikation hinfällig.
In der Suche nach Nähe zur Transzendenz bemühe ich mich als Autor darum, die menschliche Existenz weiter auszuloten als es mir meine Sinne und die Ratio ermöglichen. Das halte ich für eine wesentliche Bedeutung der menschlichen Neigung, sich in der Kunst zu üben. Es ist ein Weg des weiteren Erkenntnisgewinns, wo sprachliche Mittel eigentlich enden. Das leistet die Poesie. Sie führt über sprachliche Grenzen hinaus und ist dabei keiner Autorität dienstbar, sondern ausschließlich der lesenden, beziehungsweise der lauschenden Person anvertraut.
Poesie leitet uns demnach Richtung Selbstverantwortung an, denn um ihre Gültigkeit kann man niemanden befragen. Darin ist man sich selbst überlassen. Als Autor erlebe ich freilich noch eine nächste Möglichkeit. Wenn sich ein versierter Schauspieler meiner Gedichte annimmt, passiert etwas Neues.
Was eben noch der Sprache übergeben und somit abstrahiert war, wird vom Sprecher in die Körperlichkeit zurückgeholt, wird überdies mit einer anderen Kategorie verknüpft. In unseren Mythen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Atem und Seele. Der Schauspieler beseelt demnach den Text und gibt ihm Körperlichkeit.
Das aber schließt an einen Gedanken an, den ich aus Gesprächen mit dem Künstler Hartmut Skerbisch behalten hab. Der kam vom Fach Architektur und hat sich in der Kunst vor allem mit bildhauerischer Arbeit hervorgetan, mit Skulpturen und Objekten. Skerbisch forderte: „Ein Satz muß im Raum bestehen.“ Das kann ich als Autor im Schreiben nicht leisten. Aber wenn Gedichte gesprochen werden, dann ist es möglich.
- An solchen Tagen (Die Übersicht)