Protokoll #37: Fortlaufende Umbrüche#
(Eine Hintergrundfolie des Feminismus)#
von Martin KruscheEs geht in unserem Kulturforum Archipel nun auf verschiedenen Ebenen auf das nächste Arbeitsjahr zu, was bedeutet, die inhaltliche Planung für 2025 hat schon sehr konkrete Aktionsfelder. Dazu gehört unter anderem das Projekt „Am Meer“ (Eine feministische Ausstellung), wobei Malerin Monika Lafer und Autorin Eva Surma federführend agieren.
Daraus folgt unter anderem, daß ich als männlicher Gast in diesem Vorhaben über eine komplementäre Rolle nachdenke, die sich inhaltlich dazu passend entwickeln läßt. Den strukturellen Rahmen dazu habe ich in „Official Bootleg“ (Eine Erzählung: Phase III) angelegt. Da läßt sich entlang der inhaltlichen Entwicklung des Hauptprojektes ein entsprechender Themenschwerpunkt herausarbeiten.
Keine gute Krise vergeuden!#
Nach Rücksprache mit Monika Lafer setze ich erst einmal hier an, wo Europa bedeutende Krisen absolviert hat. Krise bedeutet ja vorerst nur: Umbruch. Ob es dann entweder Richtung Katastrophe oder Richtung Katharsis geht, liegt in menschlichen Händen.Wann immer Gesellschaften Europas umfassend erschüttert wurden, lag darin die Möglichkeit, soziale Ordnungen und ethische Konzepte neu zu gestalten. Als James Watt im Jahr 1769 das Patent für seine Optimierung der Dampfmaschine registrieren konnte, löste das die Industrielle Revolution und enorme soziale Veränderungsschübe aus. Zwanzig Jahre danach entfaltete sich auf der anderen Seite des Kanals die Französische Revolution.
Schätzungen besagen, daß der Adel Frankreichs damals etwa ein bis vier Prozent der Gesamtbevölkerung ausgemacht hat. (Ich nehme an, das schließt den hohen Klerus ein.) Der Schwertadel hatte vermutlich gleich nach dem Hochadel die längste Tradition an „Legitimität“, was ganz wesentlich vom Konzept des Gottesgnadentums handelt. Das meint die Behauptung, Gott habe einem kleinen Teil der Bevölkerung besondere Rechte verliehen, auf daß sie über andere herrschen mögen. (Das Patriarchale an dieser Konstruktion kann man selbst mit verbundenen Augen nicht übersehn.)
Ich nehme an. der Hofadel ist vor allem Entourage des Königs gewesen, aber auch ein politisch sehr wirksames Milieu. Die Kräfte des Amtsadels ernannte der Monarch, um den Betrieb am Laufen zu halten. Das höhere Bürgertum war wirtschaftlich, politisch und kulturell zunehmend von Gewicht und konnte in seinen Ansprüchen nicht ignoriert werden. Diese Milieus standen freilich zueinander in Konkurrenz; auf Kosten der Bevölkerung.
Bürgerliche Revolutionen#
Solche Kräftespiele eines überschaubaren Milieus in äußerst bevorzugten Stellungen wurden durch die Revolution zwischen 1789 und 1799 erschüttert, zerrüttet, neu formiert. (Die politischen Zuschreibungen „links“ und „rechts“ habe wir aus der Französischen Revolution bezogen.) Rechnen Sie ein, daß es dann nicht lang gedauert hat, bis 1848 bürgerliche Revolutionen quer durch Europa für das Ende der Erbuntertänigkeit gesorgt haben.Das heißt, es wurden Bedingungen geschaffen, unter denen die Untertanen Europas aufbrechen konnten, um Bürgerinnen und Bürger zu werden. Diese 49 Jahre waren damals vielfach schon ein komplettes Menschenleben. Es gab zwar stets auch Ausreißer und einzelne Menschen wurden 60, 80, sogar 90 Jahre alt. Das soll vorgekommen sein, blieb aber lange die Ausnahme.
Nebenbei bemerkt, was wir heute für die unteilbaren Menschenrechte halten, wurde zwar schon in der Antike ansatzweise debattiert und in der Aufklärung deutlicher herausgearbeitet, aber die Aufklärung hatte auf die Französische Revolution eher weniger Einfluß. Die Anerkennung von Menschenrechte ist jedenfalls eine sehr junge Errungenschaft.
Immerhin waren in all dem zunehmend Intellektuelle von politischer und kultureller Bedeutung. Da muß ich nun wohl nicht extra betonen, wie sehr in diesen Zusammenhängen Männer Geschichte geschrieben haben. Ihre Geschichte. Natürlich gab es nie einen Mangel an geistreichen Frauen. Aber deren Zugänge zu formeller Bildung, zu akademischen Studien, und zu Medien, zu öffentlichen Diskursen, wurden radikal eingeschränkt, so gut es ging verhindert.
Das ist umfassend dokumentiert, steht außer Streit. Welche Konsequenzen solche Restriktionen hatten, ist von Frauen detailliert beschrieben worden und damit auch zum Teil des kulturellen Gedächtnisses unserer Gesellschaft geworden.
Wer das leugnet, belegt so mindestens den eigenen Verzicht auf Wissenserwerb und die enorme Genügsamkeit, sich auf selbst Gefühltes zu beschränken. Solche Leute sind für mich nicht diskussionswürdig. (Die alten Griechen hatten für diesen Typus Mensch den Begriff Idiot. Das meinte eine Privatperson, die sich nicht für die Welt, sondern bloß für die eigenen Angelegenheiten interessiert.)
Enorme Kräftespiele#
Europa hatte etliche grundlegende Krisen, in denen sich die Gesellschaften verändert haben. Über die Völkerwanderung, die im sechsten nachchristlichen Jahrhundert schließlich verebbte, werde ich mir hier nicht viele Gedanken machen, außer diese: Das abendländische Europa verlor dabei einen Großteil der antiken Texte, der philosophischen und historischen Schriften, die wir später durch Übersetzungen und Kommentare von arabischen Denken zurückbekamen. (Stichwort al-Andalus!)Von 1618 bis 1648 verwüstete der Dreißigjährige Krieg Europa und zerschlug bestehende gesellschaftliche Ordnungen. Davor hatte etwa zwischen 1346 und 1353 die große Pestkrise Europa auf ähnliche Art grundlegend erschüttert. Rund ein Drittel der kontinentalen Bevölkerung kam dabei ums Leben. (Das betraf auch die Oststeiermark massiv.)
Das Patriarchat hat all diese Umbrüche überstanden, sich darin sogar noch weiter entwickeln und vertiefen können. Zwischen 1792 und 1815 schüttelten die Napoleonischen Kriege Europas Gesellschaften und Herrschaftssysteme durch.
Die Konsequenzen wurden zwischen 1814 und 1815 beim Wiener Kongress bearbeitet, die politischen Landschaften neu geordnet. Sie sehen, von 1814 waren auf dem Weg über die 1848er Revolutionen die Zustände Europas bis 1914 so konfus geworden, daß sich mehrere Dynastien in den Großen Krieg warfen.
Es wurde der erste umfassend mechanisierte Krieg mit so entsetzlichen Effekten, daß selbst hochrangige und erfahrene Militärs manchmal ihres Kommandos enthoben werden mußten, weil sie Nervenzusammenbrüche erlitten haben. Vom allgemeinen Massensterben ganz zu schweigen.
Unaufhaltsame Entwicklungen#
Bei diesen Legionen der toten und versehrten Männer hatten sich Frauen freilich während des Ersten Weltkriegs in allen nur denkbaren Positionen bewährt, für die sie von patriarchalen Akteuren vorzugsweise als untauglich angesehen wurden. Das dumme Konstrukt diese Ressourcen an weiblicher Kompetenzen zu vergeuden war ebenso fadenscheinig wie unübersehbar.Zu jener Zeit hatten Frauenbewegungen längst begonnen, gegen die nach wie vor umfassenden Restriktionen vorzugehen. Solche Bemühungen sind ab 1848 gut dokumentiert. Dagegen stemmten sich freilich enorme Beharrungskräfte. Ein banal wirkendes Beispiel; Bis zum Ersten Weltkrieg riskierten Frauen in Europas Metropolen nicht nur Spott und Beschimpfungen, sondern auch tätliche Angriffe, wenn sie in Hosen auf die Straßen gingen.
Außerdem hatten Arbeiterbewegungen auf die brutalen sozialen Folgen der Industrialisierung reagiert. Zu den ersten Errungenschaften zählte zum Beispiel die Begrenzung der täglichen Abseitszeit von Kindern in den Fabriken auf zehn Stunden, (Gehen Sie davon aus, daß auch Frauen in diesen Kräftespielen stets markante Rollen innehatten.)
Diese Umwälzungen wurzelt schon früh in verschiedenen Weberaufständen, die sich teilweise in einer aussichtslosen Maschinenstürmerei geäußert hatten. Einen ersten schlesischen Weberaufstand Gab es schon Mitte des 18. Jahrhunderts.
In jener Ära hatte übrigens der britische Maler William Hogarth Serien von Kupferstichen angefertigt, die – wie zum Beispiel „Gin Lane“ - von der Verelendung etlicher Bevölkerungsteile handelten. Die damalige Branntwein-Krise brachte Großbritannien an einen Abgrund.
Die teilweise Mechanisierung des Kontinents führte zu neuen Zentren, zu einer enormen Landflucht, und vertiefte ein wirtschaftliches Nord-Südgefälle innerhalb Europas. Von der Mitte des 18. bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts hat sich der Kontinent radikal verändert. Wenigstens am der Mitte des 19. Jahrhunderts ist unübersehbar, daß sich Frauen organisieren und gegen systematische Benachteiligungen zur Wehr setzen.
Wer heute behauptet, derlei Gefälle zwischen männlichen und weiblichen Bevölkerungsteilen sei längst abgearbeitet und Geschichte, ist entweder ein Ignorant, ein Agent der Blödheit, oder hat verdeckte Intentionen. Der Feminismus bündelt Informationen, Wissen, Denkweisen und Methoden, mit denen Frauenbewegungen weiter an den offenen Problemen arbeiten; und wer immer sich sonst noch daran beteiligen mag, diese Schräglagen einzuebnen.
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Weiterführend#
- Am Meer (Eine feministische Ausstellung)
- Official Bootleg (Eine Erzählung: Phase III)