In die Tiefe der Themen#
(Komplexitätssteigerung dank versierter Akteure)#
Von Martin Krusche#
Ich hänge an der Vorstellung, daß sich kollektive Wissens- und Kulturarbeit in Prozessen entfaltet, um der Tiefe gewählter Themen gerecht zu werden. Das ist in unserer Region nicht rasend populär, aber eben doch machbar. Damit will ich betonen, daß ein Ringen um schnell verfügbare und werbewirksame Ergebnisse zwar verständlich ist, aber dem geistigen Klima und der Zukunftsfähigkeit eines Gemeinwesens nicht gar so viel bietet.
Ein Grundproblem bei komplexeren Kulturvorhaben ist stets gleichbleibend: finden adäquate Sach- und Machtpromotoren zusammen? Finden sie Konsens? Für das Projekt „Wegmarken“ scheint das gelungen zu sein. Es hat freilich ein paar Jahre gedauert, um das auf die Schiene zu bringen.
Das kontrastreiche Team#
Vier Gemeinden mit ihren Objekten, viermal eigenständige Redaktionshoheit bezüglich der Auswahl von Beispielen für das kommende Buch, so ergibt sich eine komplexe Teamsituation. Für Gleisdorf ist nun Karl Bauer dazugekommen.Bauer hat in der Stadt eben erst die Funktion des Kulturreferenten übernommen. Er ist seit einigen Jahrzehnten mit dem regionalen Kulturbetrieb vertraut.
Historiker Siegbert Rosenberger bleibt als Konsulent dabei. Fotograf Richard Mayr hat inzwischen reichlich zu tun, das schon verfügbare Material jeweils zuzuordnen. Was kommt ins Buch, was bleibt im Archiv? Was wäre nun auch noch um Varianten in anderem Licht zu ergänzen? Unsere bisherigen Foto-Touren waren von prächtigem Herbstwetter dominiert. Das verträgt ein paar Kontraste.
Von Bürgermeister Werner Höfler kam für Hofstätten am 2. November die Nachricht: „Guten Morgen, alles perfekt! Danke!“ Das bedeutet, die Auswahl der Objekte wurde bestätigt. Also ab in die Projekt-Redaktion, wo ich dieses Konvolut nun um die nötigen Texte ergänze. So wird aber auch gut erkennbar: Die Publikation setzt uns Grenzen der Darstellung, weil die Seitenzahl des Buches eben limitiert ist. Im Internet habe ich unendliche Weiten offenstehen, doch das ist nur eine von mehreren Optionen, wie wir darstellen, was wir an den Orten entdeckt haben.
Die Fülle des Vorgefundenen, die Tiefe der Themen… Ganz klar, daß wir im operativen Bereich für Entdeckungen offen bleiben, aber zugleich die Auswahl für das Buch beachten müssen. Fazit? Weitere Umsetzungsmöglichkeiten erörtern! Da kommt nun ein wichtiger Aspekt ins Spiel.
Hauptamt und Ehrenamt#
Ich hab für die regionale Wissens- und Kulturarbeit oft betont, wir müssen kluge Kombinationen von Hauptamt und Ehrenamt nutzen. Das meint: bezahlte und unbezahlte Arbeit klug kombinieren, um Kraft zu bündeln und Wirkung zu entfalten.Aus den letzten 30 Jahren in der Oststeiermark kann ich sagen: mit den Hobby-Leuten und den semiprofessionellen Kulturkräften kommt man da ganz schnell an Grenzen. Bei vielen Leuten wird das Begehren nach a) Geld und b) Sichtbarkeit so groß, daß sie sogar bereit sind, Projekte zu kippen, falls sie sich mit ihren Forderungen nicht durchsetzen können.
Mit Profis, die ihr Handwerk wie auch ihr Geschäft beherrschen, läuft das gewöhnlich anders. Aktuelles Beispiel: Fotograf Richard Mayr schlug mir vor, ein paar Motive neu und in anderem Licht zu machen. „Die sind aber aus der Liste rausgefallen“, sagte ich, „für die haben wir keinen Arbeitsauftrag.“ Mayr erwiderte: „Den Arbeitsauftrag können wir uns ja selbst erteilen.“
Alles klar! Denn das besagt deutlich, daß er mit mir nicht einfach einen bezahlten Job abarbeitet, sondern Laune hat, in das Themenfeld tiefer hineinzugehen. Das ist sehr nach meinem Geschmack. Wie eingangs erwähnt: kollektive Arbeit, prozeßhaft. Die Themen ausloten und nicht bloß entlang bezahlter Auftragslagen abarbeiten.
Kommunikationstechnologie#
Dazu paßt, daß ich kürzlich wieder eines meiner Arbeitsessen mit Informatiker Hermann Maurer absolviert hab. Er macht es mir leicht, da er immer wieder in die Region kommt, wobei ich den Auftrag habe, jeweils ein anderes Gasthaus auszusuchen, in dem wir unsere Session absolvieren.Maurer hat mit seinem Team eine neuartige Technologie entwickelt, dank derer man quasi Bücher digitalisieren, zu Bibliotheken verknüpfen und zu Arbeitsplattformen ausbauen kann. Das bedeutet, ich kann – je nach Laune - als Solist, im Duett oder als Gruppe eine Publikation im Web nützen: als Portal und als Werkstatt. Ich kann so ein Objekt ferner mit digitalen Publikationen unzähliger Bibliotheken und Archive rund um die Welt verknüpfen.
Hermann Maurer ist bereit, uns so eine Applikation zur Verfügung zu stellen. Wenn ich die Basis dafür erarbeitet habe, läßt sich das auf dem Server der Technischen Universität Graz einrichten. Dazu kommt nun noch ein anderer Aspekt, der kulturhistorischer Natur ist.
Maurer hat seine Meriten, was technische Details der Informationsgesellschaft angeht. Er war überdies als junger Wissenschafter im Team von Heinz Zemanek, der die Grundlagen für das „Mailüfterl“ schuf, den ersten „Binär dezimalen Volltransistor-Rechenautomaten“ Europas, im Mai 1958 präsentiert.
Mit Maurers neuem Projekt, der Applikation „Net Interactive Documents“ (NID), bewegen wir uns technisch auf der Höhe der Zeit. Nun aber auch Albrecht Dürer und der Holzschnitt.
Die historische Dimension#
Damit möchte ich andeuten, daß wir rund ein halbes Jahrtausend medialer Entwicklung an der Hand haben. Ich konnte mit Comic-Zeichner Chris Scheuer in den letzten Jahren schon einige Kooperationen umsetzen. Er ist auch als Maler aktiv und hat mit all dem als Kind begonnen, indem er Zeichnungen von Albrecht Dürer kopierte. Die Faszination für diesen bedeutenden Künstler hat ihn nie mehr verlassen. Dürers Beiträge, Europas Blick auf die Dinge zu entwickeln, sie anders zu sehen, sind erheblich. Dazu kommt dieser Aspekt von Mediengeschichte, die verfeinerte Drucktechnik.Ich erörtere mit Scheuer derzeit, welche Aspekte unserer Themenstellung ihn reizen könnten, darauf zu reagieren. Beachten Sie nun den mediengeschichtlichen Bogen: vom Holzschnitt über die Fotografie zur interaktiven Web-Applikation. Wie angedeutet: ein halbes Jahrtausend Medienentwicklung an der Hand, um eine komplexe Erzählung multimedial zu entfalten.
Das kommende Buch ist ein kulturhistorischer Angelpunkt dieser Entfaltung, denn der Medientyp Buch bleibt als verläßlicher Datenträger bis heute unübertroffen. Das verweist freilich auch auf den Zusammenhang, wie Holzschnitte die Grundlage von Blockbüchern wurden.
Eine bedeutende Entwicklung zur Demokratisierung verfügbares Wissens. Die Vervielfältigung jener frühen Datenträger. Das hat dann Gutenberg für den Buchdruck mit der Erfindung beweglicher Lettern revolutioniert. Sie sehen, in welcher Tradition wir stehen, wenn wir unser Vorhaben voranbringen?
- Wegmarken (Ein kulturelles Zeichensystem)
- Dorf 4.0: Die Notizen-Übersicht
- Alle Fotos: Martin Krusche