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Melodiöse Mittelmotormaschine#

(Landpartie per Lotus Exige)#

von Martin Krusche#

Der Mittelmotor. Muß ich das erklären? Das Auto: Midship Runabout. Minimalisch. Gerade das Nötigste an Drumherum, weil man ja nicht auf dem blanken Motor hocken kann, und… Fensterheber. (Die wären bei einer puren Rennmaschine sicher entfallen.) Ein Mittelmotor hängt zwischen den beiden Achsen, was der Gewichtsverteilung zugute kommt. Aber mit so viel Dampf (wie die Exige hat) kann aus der Fuhre dennoch eine Heckschleuder draus werden.

Eine schnörkellos verfaßte Bauernregel besagt: „Das Auto ist nur so schnell wie seine Bremsen gut sind.“ Wer das ignoriert, setzt sich selbst schon mit dem Starten des Motors auf die Liste der gefährdeten Arten. Weshalb ist das so? Weil man mit der Natur nicht verhandeln kann. (Die Newton’sche Physik beugt sich keinem Guru.)

Krault die Kopfhaut, frißt Straße#

Ich finde es naheliegend, meinen kleinen Bericht an diesem Detail – den Bremsen – festzumachen. Die Exige gilt in jeder Hinsicht als thermisch äußerst stabil. In meinem Nacken arbeitete ein per Kompressor aufgeladenersV6 Triebwerk. Unglaublich elastisch. (Wenn dieser Motor darf, tritt er einem wie ein Muli ins Kreuz.)
Sven Waldhaus im Dienst der Kurvenkratzerei.
Sven Waldhaus im Dienst der Kurvenkratzerei.

Offen fahren ist optimal, aber denken sie unter sengender Sonne an eine Kappe. Man bekommt nämlich auch unter dichtem Haupthaar einen Sonnenbrand auf der Kopfhaut. Ich hab bisher noch nicht erlebt, daß jemand im abgelegenen oststeirischen Hinterland – endloses Winkelwerk, einige Gerade dazwischen – mit dem Auto ein Motorrad schnupft. Sven Waldhaus macht solche Sachen. Weshalb? Na, ich vermute, weil er es kann. Womöglich auch: es ist eben seine Natur.

Im etwas engen, weil knapp auf Körper geschneiderten Lotus Exige ist es sehr kuschelig. Fliehkräfte spielen mit uns. Da ist es womöglich ein Vorteil, daß ich körperlich einen Hauch jenseits des möglichen Idealgewichtes rangiere, folglich nicht im Fahrgastraum herumkugeln kann und überdies die Downforce erhöhe. Das bringt Straßenlage; hoffe ich. Man kann sich bei rescher Fahrweise zwar immer noch am Interieur anhauen, poltert aber im Schalensitz nicht derart hin und her, wie ich das bei Piloten mit niederer Reizschwelle schon erlebt hab.

Lachen Sie nicht! Als ich einmal mit Altmeister Heribert Dietrich per Puch G im Gehackten unterwegs war, sah ich hinterher aus, als hätte ich einen Raufhandel überstanden. Dafür war ich von einem Könner der Oberliga durchgeschüttelt worden.

Heribert Dietrich: Zuchtmeister störrischer Allrad-Granaten.
Heribert Dietrich: Zuchtmeister störrischer Allrad-Granaten.

Dietrich ist jener Kerl, der seinerzeit zum Beispiel mit einem VW T3 syncro (Jawoitscherl! VW Transporter!) bei der Rallye München-Marrakesch gleich Klassen-Dritter wurde, weshalb einige Profifahrer hinterher von ihren gleichermaßen teuren wie muskulösen Rallye-Granaten stiegen um einen Therapeuten aufzusuchen. (Professionell begleiteter Frustabbau.)

Also: die Bremsen!#

Bergab kann man beim sportlichen Fahren heute noch erleben, was aus dem Privatverkehr praktisch verbannt wurde: Fading. Das meint nicht eine Ortschaft nahe dem bayrischen Neuötting, sondern ein Dahinschwinden der Bremswirkung, dem schlimmstenfalls ein Dahinschwinden des Piloten folgen kann.

Überhitzte Bremsen verlieren viel bis fast alles von ihrer Wirkung. (Außer man gönnt sich einen Supersportler mit Hochleistungskeramik.) „Gibt’s bei der Exige nicht“, sagte Waldhaus, der es wissen muß. Er tendiert beim Bergabfahren nicht zur Verlangsamung. „Die überhitz nie“, betonte er. (Ich flehte zu meinen Schicksal, daß er mir nichts vorflunkert.)

Bergauf steigt die Exige wie ein Jagdflugzeug in der Battle of Britain. Sie können sich daher ausmalen, wie es dann mit Waldhaus den Berg wieder runter geht. Das ist ja insgesamt so provokant an einem britischen Zweisitzer dieser Liga. Den Lotus kannst Du für nichts anderes gebrauchen, als die Netwon’sche Physik zu erkunden und Deinen Körper den Wundern der Schwerkraft auszuliefern. Es geht um Wahrnehmungserfahrungen.

Aisthesis#

Das altgriechisches Wort für Wahrnehmung lautet Aisthesis. Da erkennt selbst der müde Geist: wir reden von Ästhetik. Es ist ein Auto, um ästhetische Erfahrungen zu machen. Hauptsächlich. Darf man das? Ist man allein an Bord, könnte man die Exige ja eventuell noch praktisch finden. Zum Beispiel, um bei der Tanke ein Sixpack Gösser und zwei Schachteln Zigaretten zu holen. Dafür wäre der verfügbare Stauraum mehr als hinreichend.

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Aber man ist besser gut in Form, damit beim nötigen Ein- und Aussteigen – speziell vor Publikum – keine zu erbärmliche Figur sichtbar wird. Der dicke Exige-Türschweller lag wie ein Oberschenkel neben meinem Oberschenkel. Um sich draufzusetzen, ihn beim Ausstieg quasi als Zwischenstation zu nützen, ist der Türrahmen leider zu kurz.

Da würde ich mich womöglich bloß in der Karosserie verkeilen und müßte von der Feuerwehr befreit werden. Hinein geht es leichter. Man muß bloß den Hintern passend ausrichten und sich fallenlassen. (Zack! Wozu hat die Karre ein Sportfahrwerk? Die Konstruktion steckt das weg.) Später wieder rauszukommen ist – wie angedeutet - eine komplexere Aufgabe.

Das Ablaufschema lautet zwingend: rauf, rüber, raus und runter. Vorzugsweise in einer einzigen, in einer durchgängigen Bewegung, für die man die Haltepunkte der Hände schon vorab sorgfältig gewählt hat. (Schlimmer fand ich bisher nur den alten Ford GT 40. Der hat speziell links einen Türschweller, auf dem Du eine Party geben kannst und der Dir ein höheres Fitness-Level abverlangt, das man nach Le Mans ohnehin mitbringen muß.)

Ferdinand M. Lanner mit dem verflossenen Morgan Roadster.
Ferdinand M. Lanner mit dem verflossenen Morgan Roadster.

Interlude: Lanners lapidare Lagebeschreibung#

Dazu kam passend ein Kommentar von Ferdinand M. Lanner: „Exige... Kompliment! Erstens weil er, was Fahrleistung angeht, echt am oberen Ende des Möglichen steht. Zweitens, weil du offenbar (da ohne besondere Erwähnung der Probleme) gut wieder AUSgestiegen bist. Es war mit ein Grund, den neuen Moggie zu kaufen, da mein heimlicher Schwarm (Exige der letzten Baureihe) von mir nur noch sehr unelegant verlassen werden kann.“

Lanner meinte mit Moggie den neuen Morgan Plus Six. Der „…fährt sich, als wolle er unterm Sitz davonfahren. Da war der Orange zahm dagegen.“ Damit wären wir erneut bei Thema ästhetische Erfahrungen. Wahrnehmungserfahrungen! Die sind ja oft sehr physisch. Für die muß man freilich mit Kompetenzen gut gerüstet sein. Außer als Beifahrer. Da muß man bloß auf Selbstmitleid verzichten, weil das eine Emotion ist, die anderen Leuten erfahrungsgemäß schrecklich auf den Keks geht. Mein Rat: Seien Sie achtsam bei der Wahl ihres Piloten und ziehen Sie ihm weder durch Besserwisserei, noch durch Ängstlichkeit die Plomben, dann dürfte es ein netter Tag werden.

Lob des Beifahrersitzes#

Ich finde es ja eher stressig, so ein Teil zu lenken. Was man da allerweil schalten muß, um nicht wie ein Schaukelstuhl daherzukommen. Und die Bremspunkte! Immer diese Bremspunkte. Der Tankinhalt gibt aus nicht gar so viel aus. Außerdem bloß nie vergessen, daß es nebst Gegenverkehr auch Querverkehr geben kann, von Vorausverkehr ganz zu schweigen.

Vorausverkehr ereignet sich in gleicher Fahrtrichtung vor einem und handelt meist von allerhand untermotorisierten Vehikeln, in denen man vergessen hat, früh genug abzubiegen, damit wir uns mit solchen Sachen nicht näher befassen müssen.

Ich hab übrigens bisher noch kein Auto mit Straßenzulassung erlebt, das so nahe ans Motorradfahren herankommt, wie diese Exige. Das kann man naturgemäß steigern. Wer sich ordentlich fürchten möchte, sucht sich am besten eine vertrauenswürdige Person mit einem leistungsfähigen Fahrzeug für Bergrennen. Aber mit diesen Dingern darf man nicht in den Straßenverkehr. Das ist also eine ganz andere Liga.

Heinz Payer: „könnte dir ein komfortableres Objekt anbieten, mit Dach und leicht zum zu- und aussteigen.“
Heinz Payer: „könnte dir ein komfortableres Objekt anbieten, mit Dach und leicht zum zu- und aussteigen.“

Waldhaus besitzt unter anderem auch einen Lotus 2 Eleven. Darin bleibt seine größte Sorge, unterwegs möglichst keinen Stein ins Gesicht zu bekommen. Was mir gut erinnerlich ist: Sommer, flott auf dem Motorrad und ein offenes Helmvisier. Wenn Dir da eine Biene entgegenkommt, kassierst Du einen Schlag, der weh tut. Einen Stein ins Gesicht möchte man sich also lieber nicht vorstellen.

Das Leergewicht des Zwo-Elf: 670 Kilo. Bei der Exige macht es rund ein Zentner mehr, aber diese Werte liegen beide sowieso weit unterhalb dessen, was wir heute von privaten PKW an Übergewicht kennen. (Außer man quetscht sich in ein Puch-Schammerl.)

Sinnfragen?#

Es mögen nun einige mit Vernunft reagieren, denn wir sind schließlich, wie die ganze Menschheitsgeschichte belegt, eine arg vernünftige Spezies. Oh ja! Sind wir. (Oder doch nicht?) Also: Wozu ist so ein Auto nötig? Was braucht man so einen Tiefflieger? Sie kennen gewiß dieses populäre Argument: „Das Auto ist bloß ein Gegenstand, um mich von A nach B zu bringen.“

Ich mag diese Athleten des Rationalen mit ihren treuherzigen Beteuerungen. Sie haben ein so gut überschaubares Weltbild. (Dagegen ist mein Weltbild ein verworrenes Puzzle.) Stellen wir dieses Aussage mit dem „Bloß von A nach B“ einmal ins Scheinwerferlicht. Lassen wir kurz beiseite:

  • Technologiegeschichte
  • Sozialgeschichte
  • Mentalitätsgeschichte
  • Der irrationale Zug in Menschenherzen

Denken wir stattdessen an den beharrlichen Siegfried Marcus oder an den regen Carl Benz, wie diese Männer sich in ihren Werkstätten über lange Zeit abgeplagt haben. Es war eine große Mühe, um zu tauglichen Ergebnissen zu kommen. Aber stets dachten sie beide im Schweiße ihres Angesichts nichts anderes als: „Ich will eine gute A-nach-B-Maschine bauen!“ „Ach, wenn mir nur eine vorzügliche A-B-Maschine gelänge!“ Genau so muß es gewesen sein.

Wirklich? Nein! Sicher nicht! Mehr noch, als wir vor vielen Jahrtausenden begannen, sowas wie symbolisches Denken zu entwickeln, als wir anfingen Dinge zu denken, die es nicht gibt, hat es sich unsere Art nie mehr nehmen lassen, mit der Evolution frech mitzuplaudern. Freilich auch zum Nachteil der Natur. Wer wollte das bestreiten? Aber immer wollte wer wissen: „Geht da noch was?“ Und eine düstere Kammer des Herzens barg das die Antwort: „Da geht doch noch was!“

Ethos#

Gut oder schlecht, so sind wir Menschen und werden es wohl lange sein; bis es der Evolution gefällt, uns abzuschaffen. Ja, ich weiß, man kann das für zynisch halten und man kann es auch so deuten; als wäre es mir zuwider, für irgendetwas die Verantwortung zu übernehmen.

Ich bin aber kein Zyniker und es bleibt hier völlig unerheblich, ob Sie mir das glauben oder nicht. Als Künstler stehe ich strikt im Lager des Verlangens nach radikalen Wahrnehmungserfahrungen. Darin liegt freilich kein ethisches Konzept begründet. Ethos müßten wir separat verhandeln.

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Möglichkeiten ausloten. Das ist schon vorab gewissermaßen die Grundlagenarbeit im Kontrast zu angewandten Formen. Und dann erst recht: ab auf die Teststrecke! Seit es brauchbare Automobile und Flugzeuge gibt, bewegen sich Menschen damit vernunftfrei in Grenzbereichen. Ein Bonmot besagt: „Das erste Motorradrennen der Welt fand statt, als das zweite Motorrad der Welt gebaut war.“ (Ja, lassen Sie den Satz ruhig etwas sickern, dann findet man die Pointe garantiert.)

Wollen wir all das in etwas polemisch verkürzter Weise betrachten. Ein wenig biologisch, besser gesagt: stammesgeschichtlich. Da meine ich, wir sind eigentlich eine von Natur aus eher feige Spezies. Wie ich darauf komme? Der Held hat sich einst auf die Brust geschlagen und die Fäuste gehoben, wenn ein Säbelzahntiger oder Berglöwe aus dem Gebüsch stürmte. Bestenfalls hatte er dabei schon einen Faustkeil oder einen Speer in der Hand. Und aus! Beute für die Großkatze. Der Feigling rannte dagegen lieber davon, mußte nur etwas schneller sein als sein Kumpel, und konnte so sein Leben retten, sich danach in Ruhe fortpflanzen. Wir alle stammen also merhheitlich nicht von den Helden ab. Aber… Ich schweife schon wieder ab.

Popkultur Wenn ich mich Sven Waldhaus zur Kurvenkratzerei in seiner Exige anvertraue, denn es braucht schon einiges Vertrauen, diesen Wagen in den ersten ein, zwei Stunden nicht fluchtartig zu verlassen, wenn ich mich ihm also anvertraue, dann tue ich das vor allem als ein Kind und ein Verehrer der Popkultur.

Dieser quietschgelbe Roadster ist das Objekt einer speziellen Fetisch-Welt, ist so nebenbei ein nervöses Glanzstück in Sachen Industriedesign. Ich hab viel gesehen, aber noch nichts, mit dem sich Elise und Exige verwechseln ließen, Dieses Thema Fetisch begleitet uns seit Urzeiten. Menschen verbinden sich emotional mit Gegenständen, laden Fetische mit Bedeutung auf, verzahnen sie eventuell auch mit spirituellen Aspekten. Sie lächeln? Da hat sich schon manch einer erhaben gefühlt und blieb ohne Ahnung von der Tiefe unserer Prägungen.

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Nun sind wir zugleich tief in einem meiner Themen. Jeder Mensch, ausnahmslos jeder, hat kulturelle und spirituelle Bedürfnisse. Wir leben diese Bedürfnisse gemäß unserer Lebensumstände und bisherigen ästhetischen Erfahrungen. (Sie wissen nun schon: Wahrnemungserfahrungn.) Eben weil wir sinnsüchtige Monster sind, bekommen oft die erstaunlichsten Gegenstände Sinn zugeschrieben.

The Big Picture#

Manchmal verschlingt uns einer dieser Fetische. Manche von uns überleben sowas nicht. Und Sie meinen, es gebe gute Argumente gegen dieser Art von Objektbeziehungen? Interessant! Gut, kann man so sehen. Ich nehme zur Kenntnis, daß sie von unserer Kulturgeschichte nicht rasend viel Ahnung haben. Oder doch? (Wir müssen darüber nicht streiten, denn Clio, die Göttin der Geschichtsschreibung, steht in meinem Lager.)

Lassen Sie uns bei nächster Gelegenheit über den „Kentaurischen Pakt“ plaudern, über die rund fünftausend Jahre dauernde Koexistenz von Menschen und Pferden. Tempo! Seit Phaeton, der Sohn des Sonnengottes, mit dessen Quadriga in den Graben gefahren ist, wissen wir von diesen Flausen der Götter und Menschen.

Seit wann fertigen Menschen Mikroklingen und Flöten? Der Neandertaler konnte das noch nicht. Wie denn das mit einem Lotus Exige zusammenhängt? Gute Frage! Aber Sie ahnen sicher, wenn wir eine ernsthafte Debatte führen wollen, geht es nicht, ein einzelnes Objekt aus der Geschichte herauszulösen und so für sich, entlang der eigenen Interessenslagen, zu deuten, zu verhandeln. Da brauch wir schon das größere Bild. Es muß ja nicht gleich bis zu Bronzezeit oder bis zum Neolithikum zurückreichen.