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Notiz 009: Von kleinen und sehr großen Schrauben#

(Der Handwerker Karl Lagler)#

von Martin Krusche

Der saubere Hof ist teils von Schuppen-Wänden eingerahmt, an denen man altes Werkzeug und bäuerliches Gerät angebracht sieht. Das ist hier nicht Dekoration, sondern Gut eines Sammlers, der aus dieser bäuerlichen Welt stammt. Es wurde das aufbewahrt, was einst Verwendung fand. Von der Rahmschleuder bis hin zum „Panzerschlüssel“, dem wuchtigen Schraubenschlüssel für große Maschinen. Obststampfer, Maisriffel, Butterfaß. Und natürlich hatten die Mahder für Gras und Getreide verschiedene Sensen. (Ist das Wort Mahder noch geläufig?)

Karl Lagler, Handwerker und Sammler. (Foto: Martin Krusche)
Karl Lagler, Handwerker und Sammler. (Foto: Martin Krusche)

Karl Lagler steht lächelnd mitten in einer Anordnung von tausenden Handgriffen, die über Jahrzehnte etwas Spezielles zusammengefügt haben. Wer flüchtig hinsieht, könnte meinen: mit diesen Händen hat er Löcher in Wände gehauen, Häuser eingerissen. Völlig daneben! Man sieht dem Mann allerdings an, daß er sein Leben nicht in einem Büro verbracht hat. Vermutlich ist er mit harter Arbeit aufgewachsen. Daraus wurde dann aber etwas Besonderes.

Vierzig Jahre Nähmaschinen reparieren. Auch dieses Thema unterschätzt man leicht. Da sollten Sie jetzt nicht an ihre Oma denken, die ein schwarzes, goldfarben dekoriertes Maschinchen mit der Fußwippe angetrieben hat, während hinter ihr an der Wand eine Pendeluhr deutlich hörbar tickte.

Das ist nur eine von unzähligen Varianten des Nähmaschineneinsatzes, eine sehr private Deutung. Solche Stücke zu reparieren, zu warten, könnte einen Mann nicht ernähren. Da geht es dann um die ganze Bandbreite quer durch verschiedene handwerkliche Bereiche. Schuster, Sattler, etliche Segmente der Textilbranche… wo ein privates Maschinchen mit einigen hundert Stichen pro Minute durchkommt, sind es bei Profigeräten einige tausend Stiche in der selben Zeit.

Das ist eine völlig andere mechanische Situation. Es muß klappen, darf nicht klemmen, soll den Leuten möglichst keine Stehzeit durch Pannen bescheren. Ja, Zeit ist hier Geld. Doch Probleme tauchen bei so komplexen Abläufen immer auf. Dabei war Lagler nicht allerweil mit vorgefundenen Pannen vertraut. Also: wo klemmt es? Was fehlt? Wie Abhilfe schaffen? Manchmal kam er der Lösung erst auf die Spur, wenn ihm die Person, von der das Gerät benutzt wurde, eine genaue Beschreibung des Vorfalls bot.

Die deutsche Firma Dürkopp war einst in der Steiermark auch mit Fahrrädern präsent; in kurzzeitiger Kooperation mit dem Hause Puch. (Foto: Martin Krusche)
Die deutsche Firma Dürkopp war einst in der Steiermark auch mit Fahrrädern präsent; in kurzzeitiger Kooperation mit dem Hause Puch. (Foto: Martin Krusche)

Nun ahnen Sie vielleicht, das verlangt einerseits einen sehr hellen Kopf, andrerseits große Fingerfertigkeit. Dazu gehört auch ein gewitztes Abstraktionsvermögen. Ein Anordnung betrachten und daraus ableiten, wie die verschiedenen Komponenten ineinandergreifen sollten. So eine Art Kreuzworträtsel im Kopf.

Wer das über Jahrzehnte übt, kann sich damit auch auf anderen Gebieten bewähren. Genau! Abteilung Lust und Laune. Was macht so jemand zum eigenen Vergnügen? Zum Beispiel: Motorsport. Im Falle von Lagler: Moto Cross. Für Mann und Maschine sehr fordernd. Oder, etwas exotischer: Auto Crash. Nein, das hießt nicht: Autos im Wettbewerb kaputtmachen. Ganz im Gegenteil!

Die Rennfahrzeuge müssen möglichst schnell zu fahren und möglichst hart im Nehmen sein, denn Auto Crash ist – so könnte man sagen - eine Kontaktsportart. Weil man Gegner rammen darf, ist die Sache knifflig. Sie ahnen, was das auch sozial bedeutet?

Na, zuerst einmal: Motorsport auf Rundkursen, hohe Geschwindigkeiten, große Veranstaltungen, dazu mußte man entweder Werksfahrer sein, Industriekapitän mit Tagesfreizeit oder von Beruf Sohn… vorzugsweise eines Millionärs. Klar? Klar! Solcher Rennsport spielt sich in einem Kostenbereich ab, da können Leute von Laglers Herkunft nicht mitziehen. Unmöglich!

Wer aber technisches Verständnis und Handfertigkeit hat, Kompetenzen stets verfeinert, sich auch ein Netzwerk guter Leute aufbaut, kann in einigen Bereichen durchaus Motorsport praktizieren; wie eben Moto Cross oder Auto Crash. Damit kommt man nicht ins Lexikon, es gibt auch keine Auto Crash-Olympiade, aber diese Leidenschaften sind sogar (bei etwas Ächzen und Stöhnen) mit dem Beruf und einem intakten Familienleben vereinbar.

Mehr als hundert Jahre Geschichte, in einer exquisiten Sammlung von Nähmachinen dargestellt. (Foto: Martin Krusche)
Mehr als hundert Jahre Geschichte, in einer exquisiten Sammlung von Nähmachinen dargestellt. (Foto: Martin Krusche)
Der komplex gebaute rotierende Greifer hat die hin- und hersausenden Schiffchen unter den Nadeln ersetzt. (Foto: Martin Krusche)
Der komplex gebaute rotierende Greifer hat die hin- und hersausenden Schiffchen unter den Nadeln ersetzt. (Foto: Martin Krusche)

Lagler übte also seine Handwerkskompetenzen im Broterwerb, nutzte sie in der Freizeit, sorgte zugleich für sich und seine Leute. Das bedeutet aktuell, er hat eine wunderbare Sammlung historischer Nähmaschinen zusammengetragen, Exponate, mit denen er einen Bogen von weit mehr als hundert Jahren Entwicklung darstellen kann. Folgt man seinen Erläuterungen, entdeckt man, wie raffiniert dieses Segment der Maschinenwelt angelegt ist. Und zwar schon in sehr frühen Versionen, denn was die Maschinen können müssen, verlangt nach smarten mechanischen Lösungen.

Lagler hat über Jahrzehnte nicht einfach in Bedienungsanleitungen geschmökert, sondern auch technische Probleme gelöst, die ihm niemand erklären konnte. Das schult einen Verstand zu einiger Schärfe, die er – wie schon erwähnt – auch auf andere Gebiete trägt. Es gäbe die ganze „Oldtimerei“ nicht ohne solche Fähigkeiten. Man muß eine Maschine, einen Apparat, ein technische Anordnung entschlüsseln können; auch wenn sie gröber defekt sind, Teile fehlen, was immer man eben in die Hände bekommt.

Das hat rund um die Nähmaschine eine spezielle geschichtliche Dimension. Man kann in den Inseratenteilen alter Zeitungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr gut nachlesen, wie damals die Entwicklung von Nähmaschinen, Schreibmaschinen und Grammophonen gemeinsam Sprünge machte, später auch Fotoapparate und Staubsauger recht erschwinglich wurden.

Gottfried und Karl Lagler am Hatz-Traktor: die Maschine lief ansatzlos. (Foto: Martin Krusche)
Gottfried und Karl Lagler am Hatz-Traktor: die Maschine lief ansatzlos. (Foto: Martin Krusche)
Der Schleifstein mit der Handkurbel, ein einstmals mechanischer Meilenstein. (Foto: Martin Krusche)
Der Schleifstein mit der Handkurbel, ein einstmals mechanischer Meilenstein. (Foto: Martin Krusche)

Das führte in etlichen Fällen dazu, daß beispielsweise Nähmaschinen und Schreibmaschinen im gleichen Laden angeboten wurden, hinter dem die gleiche Werkstatt den Service möglich machte. Genau da tat sich dann eine weitere Besonderheit auf, die in der Steiermark mit Johann Puch einen sehr prominenten Industriellen hatte.

Feinmechanik ist der gemeinsame Nenner, mit dem technische Prozesse in Richtung des Jahres 1890 eine soziale Revolution zum Durchbruch brachten. Damals setzte sich das sogenannten „Niederrad“ allgemein durch, das „Safety“ oder „Sicherheitsrad“. Sicher deshalb, weil davor einige Zeit Hochräder („Highwheelers“) dominiert hatten, deren Sturzgefahr jemanden um die Gesundheit oder sogar das Leben bringen konnte. Die Vorläufer waren auf den schlechten Wegen demnach sehr unsicher.

Soziale Revolution deshalb, weil die Niederräder anfangs zwar noch sehr teure Wertgegenstände waren, doch spätestens rund um 1910 setzte die Zweite Industrielle Revolution mit ihren Automatisierungsprozessen ein. Stückzahlen gingen langsam hoch, Preise runter. Das Fahrrad brachte völlig neue Dimensionen in das Leben der Menschen, weil es die individuelle Mobilität radikal veränderte, die Reichweite einzelner Personen sprunghaft vergrößerte. (Zur Geschichte des Fahrrades siehe: „Rasende Reisende“!)

Man kann sich heute, wo der private Autobesitz als selbstverständlich gilt, gar nicht mehr vorstellen, was für ein erfreulicher Schock das moderne Fahrrad damals war, wenn man es sich plötzlich leisten konnte. Wie angedeutet, in seiner Entwicklung ist es die Frucht der Fortschritte von Feinmechanik-Kompetenzen und Materialbeherrschung, wie sie sich vor allem im Aufkommen von Nähmaschinen, Schreibmaschinen und Grammophonen, aber auch anderer Gebrauchsgegenstände, verdichtet hatten. Das ging alles Hand in Hand.

Die Werkstatt des Feinmechanikers ist kaum größer als ein Set von zwei Telefonzellen und erinnert mich an den Arbeitsplatz von Goldschmieden. (Foto: Martin Krusche)
Die Werkstatt des Feinmechanikers ist kaum größer als ein Set von zwei Telefonzellen und erinnert mich an den Arbeitsplatz von Goldschmieden. (Foto: Martin Krusche)
Der Fiat 850 war die Basis, zu der es seinerzeit auch noch ein Coupé, ein Cabrio und diverse Kleinbusse wie -Transporter gab. (Foto: Martin Krusche)
Der Fiat 850 war die Basis, zu der es seinerzeit auch noch ein Coupé, ein Cabrio und diverse Kleinbusse wie -Transporter gab. (Foto: Martin Krusche)

Muß ich noch extra betonen, daß die Automobilwelt aus der Fahrradwelt und diesen Kompetenzfeldern hervorging? Sehen Sie sich nur den ersten Motorwagen von Carl Benz an! Diese Aspekte unserer Technik- und Mobilitätsgeschichte reichen dann mit einigen Sammelstücken Laglers in die Nachkriegsgeschichte von Österreich. Da sehe ich in einem seiner Schuppen den vorzüglich gepflegten Fünfzehner-Steyr. Wer sich mit Traktoren eher nicht auskennt, das ist der Steyr Typ 80 mit 15 PS, deshalb der Spitzname. (Siehe dazu: "Der Fünfzehner und Konsorten"!)

Karl und Gottfried Lagler teilen die Leidenschaft für die „Oldtimerei“, für das Sammeln und Schrauben. (Foto: Martin Krusche)
Karl und Gottfried Lagler teilen die Leidenschaft für die „Oldtimerei“, für das Sammeln und Schrauben. (Foto: Martin Krusche)

Der Fünfzehner war das zweite Nachkriegs-Produkt dieses Genres, nachdem die Steyr Daimler Puch A.G. im Jahr 1947 den Steyr 180 auf den Markt gebracht hatte. Diese Fahrzeuge sind Legende und heute wieder öfter bei Klassiker-Treffen zu sehen. Sehr viel seltener ist bei uns freilich ein piekfein restaurierte bayrische Hatz, auf den Lagler großen Arbeitsaufwand verwendet hat. Kleiner Testlauf: vorglühen, Knopf drücken, zack! Der Hatz springt problemlos an und läuft sofort.

In einer Garage sehe ich außerdem Laglers Fiat 850 Special, diese sensationelle Berlinetta, die zu Unrecht fast vergessen wurde. Dante Giacosas Nachfolger des fulminanten Fiat 600, dem eigentlichen „Volkswagen“ Europas. Vierzylinder Heckmotor, reichlich Platz auf so kurzem Radstand, fast Fiat Panda-Maße. Ein Rarität bei heimischen Klassiker-Treffen.

Sie können Sich vorstellen, daß wir gut zu plaudern hatten, als wir dann gemeinsam mit Gottfried Lagler in der kleinen Stube saßen, die mit Erinnerungsstücken dekoriert ist. Das Bier aus dem Keller so kalt wie aus einem Kühlschrank. Reichlich Fotos, die frühere Abschnitte von Laglers Leidenschaften illustrieren. Hier ist die Ehre des Handwerks zu Hause: man sagt nur, was man kann und man kann das, was man sagt. Man will die Arbeit um ihrer selbst willen gut machen. Das ergibt heute zugleich ein hochkarätiges Stück Volkskultur in der technischen Welt. Zum Hintergrund und zur Mobilitätsgeschichte siehe: „Vom Steirerwagerl zum Puch G“ (Fahren, fahren, fahren in steirischer Prägung)!