Notiz 011: Das kommt aus meinen Händen#
(Der Handwerker Alois Schwarz)#
von Martin Krusche„Wenn dann jemand, der sich auskennt, hinschaut und sagt: ‚Die Schraube stimmt so nicht!‘, dann ärgert mich das. Ich nehme es genau.“ Wer nun meint, hier spricht ein Pedant, täuscht sich, kennt das Genre nicht und hat nur wenig Ahnung von Technologiegeschichte. In Alois Schwarz begegnet man dem Typ eines Handwerkers, der die letzten 200 Jahre dafür gesorgt hat, daß sich das Rad der Geschichte anders dreht.
Wenn Sie heute ein bewährtes Auto fahren, das erschwinglich war und Sie bisher kaum je mit Pannen aufgehalten hat, dann verdankt sich das solchen Leuten, denn die Grundlagen dafür wurden nicht in Ingenieurbüros geschaffen, sondern kamen vom Handwerk und von penibel arbeitenden Leuten.
Und die erwähnten zweihundert Jahre? Anno 1815 und 1816 bereiste Erzherzog Johann von Österreich das aufstrebende England, damals gerade die führende Industrienation der Welt. Er besuchte unter anderem James Watt, ließ sich von ihm dessen Innovation zeigen: die optimierte Dampfmaschine, wie sie unsere Welt verändert hat.
Was hat das mit Alois Schwarz zu tun? Legionen geschickter Leute, die es eben sehr genau nahmen, tüftelten all die Zeit quer über den Kontinent in Schuppen, Garagen und Werkstätten an technischen Lösungen herum. Sowas führt zu keinen tauglichen Ergebnissen, wenn man herumstümpert. Gerade wo Stahl auf Stahl wirkt, muß man sehr exakt sein oder man ist häufig mit Pannen beschäftigt.
Handwerker meiner Generation wissen zu erzählen, wie sehr sie es gehaßt haben, über Wochen und Monate an Werkstücken zu feilen. Aber es wurde klar: so lernt man Respekt vor dem Material und Genauigkeit bei der Arbeit. Solche Eigenschaften fallen nicht vom Himmel.
Dieser spezielle Geist, daß man eine Sache um ihrer selbst willen gut machen möchte, ganz unabhängig von Bezahlung, ist nicht bloß ein Aspekt der Handwerksethik. Wenn dazu Geduld und Hingabe kommen, entstehen neue Ideen, schließlich neue Lösungen. Das bringt neben so auffallenden Objekten wie Automobilen oder Motorrädern auch viele andere Produkte.
Schwarz ist ein Liebhaber klassischer Fahrzeuge. und unter seinem Dach kann man einige beachtliche Fahrzeuge finden. Doch offenbar erfährt alles, was er anfaßt, die gleiche Genauigkeit. So fügt sich im Anwesen das Praktische, das Funktionelle, in eine unaufdringliche Attraktivität. Man merkt: nichts ist egal. Alles hat Konsequenzen.
Diese Haltung zeigt sich auch in ganz unauffälligen Details. Eines davon hab ich in der Werkstatt von Alois Schwarz entdeckt. Er stammt nämlich aus der bäuerlichen Welt. Das Stammhaus war etliche Jahrhunderte alt. Schwarz: „Die Ritzen zwischen den Holzstämmen mit Moos abgedichtet.“ Seine Leute haben Haflinger gehalten. Ein kleiner Hinweis, wie tüchtig sie gewesen sein müssen, denn die meisten Leute hatten hier vor der Mechanisierung der Landwirtschaft für das Umbauen und für Fuhrdienste Ochsen, viele bloß Kühe. Pferde waren in der Oststeiermark die Ausnahme.
Alois Schwarz hat etliche der Gebrauchsgegenstände aus dieser versunkenen Welt aufbewahrt und gepflegt. Da sah ich neben der Egge an der Wand diesen Plug. Ein Beispiel für meine vorangegangene Schilderung: Innovation im Unscheinbaren. Vor der Pflugschar ragt eine Klinge aus dem Rahmen, genauer: vom Grindel, so die Bezeichnung für den tragenden Teil des Pflugs. Dies Klinge „schneidet“ die Erde beim Pflügen. Der sogenannte Messersech. (Den Effekt erzielt man heute mit einer runden Klinge, dem Scheibensech. Da ist es dasselbe Prinzip wie bei den handlichen Pizzamessern.)
Das ist der Typus des sogenannten Fernitzer Pfluges. Den Sech hat ein Schmied aus Vasoldsberg (genauer: Wagersbach, zur Pfarre Fernitz gehörig) erfunden und damit eine Effizienzsteigerung des Pflügens erreicht. Erzherzog Johann fördere diese Erfindung und sorgte für ihre Verbreitung. Nun wäre zu fragen, wie es denn kommt, daß der Bruder des Kaisers, ein Aristokrat von höchstem Rang und mit einem sagenhaften Vermögen, von einem Handwerker in der Provinz wußte, dessen Arbeit kannte.
Wenn der Fürst sich fürs reale Leben interessierte, statt im Genuß von Luxusgütern den Ertrag seiner Untertanen zu vergeuden, dann gab es offenbar ein Netzwerk sachkundiger Leute, mit denen er sich umgab; und grundsätzlich einen Respekt für gute Handwerker. (Die Maschinenwissenschaften und das Ingenieurswesen, entstanden erst viel später.)
Im Ringen um ein Gedeihen der Steiermark, die davor rückständig und arm gewesen ist, kam es eben auf genau solche Talente an, die ihre Arbeit genau nehmen. Leute wie Alois Schwarz, auch wenn sie in den Geschichtsbüchern nicht auftauchen, wie eben James Watt oder später Nikola Tesla, der in Graz an der TU studiert hat. Die Stars all dieser Geschichten sind wie Wegweiser. Aber ein wesentlicher Teil der Hackn wird von denen gemacht, die nach 100 Jahren nicht mehr genannt werden.
Das als kleiner historischer Exkurs, um zu veranschaulichen, welche Kompetenzen von Menschen bewahrt werden. Falls die Wirtschaft diese Fertigkeiten nicht mehr oder kaum noch braucht, sollten wir überlegen, wie wir dieses Können dennoch erhalten werden.
Der kommt auch noch dran#
Seinen Achtzehner Steyr (Baujahr 63) nutzt Schwarz nach wie vor im Alltag. Deshalb wird er serviert, aber nicht restauriert. „Der muß noch arbeiten. Nachher will ich ihn restaurieren.“ Wir sprachen über eine Milchsammelstelle, an der ich mit Gottfried Lagler vorbeigekommen war. Das gab einst einen kleinen Nebenverdienst für Bauern: Milch abholen. Doch es ist schon lange Geschichte, denn als ein Liter Diesel und ein Liter Milch den gleichen Preis erreichten, war das nicht mehr lohnend.In seiner Nähe gab es übrigens die „Abrahmstelle“. Das bedeutet, es wurde von der Rohmilch der Rahm abgeschöpft. Die Magermilch nahm man wieder mit, um sie an Schweine oder Kälber zu verfüttern. „Ich bin mit Milch aufgewachsen“, sagte Schwarz, der heute noch quasi ab Stall kauft, weil ihm die Milch aus dem Handel nicht zusagt.
Seinerzeit waren das übrigens auch Gaben für die „Ummageher“, für hauslose Leute, alte Tagelöhner, auch Bettler. „Die sind regelmäßig durchs Dorf gekommen. Die meisten haben etwas Bestimmtes können und kleine Arbeiten gemacht.“ Manche waren sehr gefragt, oft schon sehnlichst erwartet. Zum Beispiel die „Häferlflicker“. Alois Schwarz: „Wenn Email von den Töpfen abgeblättert ist, hat es zu rosten begonnen. Da war bald ein Loch.“ Das mußte „genietet“ werden.
Wenn die Ummageher, also die Umhergehenden, über Nacht blieben, schliefen sie in der Zeugkammer, dem Lagerraum für Arbeitsgerät, Zaumzeug, Joche etc. Winters schliefen sie bei den Tieren im Stall, um der Kälte zu entgehen.
Ausdruck des Umbruchs#
Nun zeichnet sich ab, was an Schwarz so interessant ist. Er stammt, wie erwähnt, aus der agrarischen Welt. War schon die Steiermark einst eher ärmlich, so war die Oststeiermark ausgesprochen arm. Hiesige Wirtschaften waren vor allem Selbstversorger, haben kaum für den Markt produziert.Wie soll man solcher Armut vor Ort entkommen, wenn kein Geld zu verdienen ist? Da spielt nun die schrittweise Industrialisierung von Teilen der Region eine wesentlich Rolle. Damit fanden geschickte Leute neue Jobs, die besser bezahlt wurden als etwa die Taglöhnerei. (Wir haben schon vergessen, jedes neue Kind, das der Hof nicht ernähren konnte, mußte gehen.)
Oder man hatte eine vertretbare Wegstrecke zu einem interessanten Arbeitsplatz. Stichwort Puchwerk, genauer: die Puchwerke AG, aus welcher die historische Steyr-Daimler-Puch AG hervorging. (Das wurde schließlich Magna Steyr.)
Alois Schwarz hat seine Lehre absolviert, „Autoelektrik hab ich noch mitgelernt“, das gibt es so heute nicht mehr. Seine spannendste Zeit hatte er offenbar in der G-Klasse-Produktion, wo er in der „Nacharbeit“ tätig war. Das bedeutet, wenn ein Wagen vom Band lief, konnte es versteckte Mängel geben.
Keine Probleme, die in der Konstruktion wurzeln, sondern Unwägbarkeiten, die unterwegs auf der Montagelinie vorkommen. „Das heißt: Fehler suchen, die bei der Produktion entstehen.“ Dabei trainiert man gleichermaßen Sachkenntnis und Abstraktionsvermögen. Vorsichtig ausgedrückt: es sollte eine gute Intuition entwickelt werden, wo man denn suchen muß, wo Fehler sein könnten, denn sonst würde der Betrieb steckenbleiben.
Die private Ordnung#
Ich denke also, es wäre passend, den Mann akkurat zu nennen. Das ist eine spezielle Art der Effizienz, die sich auch darin ausdrückt, daß er die Dinge, Teile und Werkzeuge auf eine bestimmte Art anordnet. Praktische Platzwahl. Flüssige Abläufe. Die Effizienz ist bei ihm sachlich angelegt. Das heißt nämlich nicht: mehr Arbeit in weniger Zeit erledigen. Sowas wäre Maschinen-Logik.Jedes Projekt ist eine Herausforderung. Da gibt es nur Umwege, keine Abkürzungen. Alois Schwarz: „Manche finden die viele Arbeit furchtbar. Ich tu es gerne. Hab dann aus dem alten Blech wieder was gemacht. Wenn mir eine Schraube nicht paßt, steht ich halt 20 Minuten an der Poliermaschine, bis es paßt.“
Die Effizienz von Schwarz hat raffiniertere Zusammenhänge. Der alte Hintergrund: ein Bauernbub hat kein Spezialwerkzeug, kann niemanden fragen, muß Mängel seiner Maschinen so bewältigen, muß auch improvisieren. Es ist kein Geld da, um es in die Fachwerkstatt zu tragen. Darin wurzelt vielleicht seine Neigung: „Ich will den Fehler selber finden.“
Wenn Alois Schwarz ein altes Fahrzeug restauriert, ist klar, daß sich der Gegenwert an nötiger Arbeitszeit auf keinem Markt in Geld lukrieren läßt. „Die Arbeitszeit krieg ich nie mehr herein.“ Das hat interessante, weil soziokulturelle Konsequenzen. Allein dieser Aspekt führt schon zu Situationen, die „Werkstolz“ zulassen. Ein etwas alter Begriff für jenes gute Gefühl, daß man – wie oben erwähnt – eine Sache um ihrer selbst willen gut machen wollte.
Youngtimer#
Man nimmt Hürden, setzt Anstrengung ein, erarbeitet ein gutes Ergebnis. Das schafft Befriedigung und Selbstbewußtsein. Wenn man weiß, wer man ist und was man kann, wird man eher nicht für Neid und Eifersucht anfällig sein. Eine soziale Qualität. Außerdem schafft man so rollendes Kulturgut, das uns sonst verlorenginge.In diesem Segment wirken ja keine potenten Institutionen mit großen Budgets. Dazu müßte es schon um alte Rennwagen mit prominenter Historie gehen, um die Karossen von Staatsoberhäuptern und Filmstars, oder um andere exklusive Hochpreis-Fahrzeuge. (Mercedes-Benz 600 Pullman gegen Steyr-Fiat 600, na, wie würde das ausgehen?)
Die einstige Massenware der Nachkriegszeit, wo heute vor allem von der „Youngtimer-Szene“ gesprochen wird, wären wohl mehrheitlich schon verrottet, wenn da kein Enthusiasten zur Sache gingen, die Arbeitszeit und Geld dafür einsetzen, ohne daraus materiellen Profit zu holen. Es gibt eben auch immateriellen, also symbolischen und emotionalen Profit. Schwarz: „Wenn ich es anschau, hab ich eine Freude und sag mir: Das hab ich gemacht. Das kommt aus meinen Händen.“
- Alle Fotos: Martin Krusche
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