Notiz 015: Saubere Werke schaffen#
(Der Tätowierer Herbert Hoffmann)#
von Martin KruscheDer deutsche Tätowierer und Fotograf Herbert Hoffmann wurde 1919 geboren, verließ uns 2010. Im Jahr 2008 konnte ich ein Gespräch mit ihm führen, das ich hier auf drei Clips (am Seitenende) verteilt habe. Wir hatten vor diesem Gespräch korrespondiert. Ich hatte ihn dabei gefragt, ob er sich dem Kunstfeld zurechnet.
Seine Antwort darauf: „Ich verstehe mich eher als Handwerker, der mit Fleiß und Liebe zur Freude seiner Freunde und seiner Kunden saubere Werke schafft. Um einen Anspruch auf Kunst zu erheben, fehlte mir eine künstlerische Ausbildung etwa auf einer Hochschule oder Akademie für Zeichnen und Malerei. Meine Hauptaufgabe sah ich darin, zunächst ‚den trocken gelegten Acker zu bestellen‘ in der Form, dass ich die Menschen aufklären und ihnen die Tätowierung nahe bringen musste.“
Ich fand interessant, was Hoffmann „saubere Werke“ nennt. Kurz vor unserem Gespräch hatte ich einen Tischler, kaum jünger als Hoffmann, zu solchen Zusammenhängen befragt. Josef Luckerbauer (†) war einst persönlicher Lieferant der Familie Thonet, shließlich Kustos des sehenswerten Thonet-Museum von Friedberg tätig. Er hatte mich mit seinen Ansichten über Formen und Funktionen überrascht, also fragte ich ihn, wie es komme, daß ein Tischler in der entlegenen Oststeiermark so offenbar profunde Sachkenntnisse und ästhetische Erfahrungen habe.
Luckerbauer meinte, ich hätte wohl keine besonders hohe Meinung von Tischlern. Ein Mißverständnis, erwiderte ich, Tischler zu sein bedeute heute ja vor allem, daß man Preßspanplatten zusammenschießt, da werden solche Kompetenzen wohl kaum gefordert. Er nickte. Das Handwerk werde kaum noch gefragt und daher auch nicht bezahlt. Er würde immer noch Kurse besuchen, die seinen Beruf betreffen, und ... Stilkunde studieren. Stilkunde. Ein Orientierungssystem. Zurück zu Hoffmann.
Ein kleiner Überblick#
Hoffmann entstammt einer begüterten Familie aus Pommern. Es heißt, seine Erziehung sei puritanisch und streng gewesen. „In meinen jungen Jahren wurde das Tätowieren aus politischen Gründen geächtet und verboten. Ich hätte sehr gerne eine Tätowierung gehabt, doch ich musste sehr lange warten – bis ich 1949 als über Dreißigjähriger aus Krieg und Kriegsgefangenschaft zurückkam.“Er setzte seine Passion zuerst als Fotograf um. Hoffmanns Fotos Tätowierter aus den Fünfzigerjahren sind Zeitdokumente von Rang. Bald danach begann er, selbst zuzustechen: „Ich bin vielen älteren und alten Tätowierten begegnet, von denen ich das Handwerk erst gelernt habe. Ich durfte mich auch gleich an ihnen versuchen.“
Hoffmann bildete sich bei professionellen Tätowierern in England, Dänemark und den Niederlanden weiter. „Mit denen wurde ich bald Freund, bis ich mich nach zehnjähriger Lehr- und Amateurzeit auf eigene Beine stellen konnte.“
Im Jahr 1960 kaufte Hoffmann am Hamburger Berg im Stadtteil St. Pauli ein Tätowiergeschäft. (Dort habe ich ihn Ende der 1970er durch den Publizisten Bernd Lubowski kennengelernt, der mich in meiner Hamburger Zeit mit wesentlichen Leuten verschiedener Genres bekanntgemacht hat.) Als die Läden seiner älteren Kollegen nach und nach schlossen, wurde daraus die „Älteste Tätowierstube in Deutschland". Sie galt als die erste Adresse in unserem nördlichen Nachbarland.
„Zu mir kamen Kunden jeden Alters. Einige waren noch zu jung, die musste ich auf später vertrösten, aber es waren auch viele Rentner dabei, Menschen mit siebzig, achtzig und neunzig Jahren. Ein 91-Jähriger war mein ältester Kunde. Aus Bewunderung und Respekt habe ich alle über Siebzigjährigen gratis tätowiert.“
Hoffmann umreißt die Intentionen dieser Community: „Mit der Tätowierung wollen wir unsere Besonderheit, unsere Einmaligkeit und unsere Persönlichkeit bekunden. Wir tun das, was uns gefällt und was niemand anderem weh tut. Wir leben unser Leben – dieses Bewusstsein ist in der immer mehr zur Unpersönlichkeit drängenden Welt eine Abwehr.“
1981 übersiedelte er mit seinem Lebensgefährten Jack, „damals schon über 83 Jahre alt“, in die Schweiz. Sein berufliches Engagement war immer auch gegen die vielfältigen Ressentiments gerichtet, denen Menschen ausgesetzt sind, wenn sich ihre Tätowierungen nicht verbergen lassen.
„Meine Bemühungen gingen dahin, dass die Tätowierung wieder toleriert oder möglichst gesellschaftsfähig würde. Viele Zufälle kamen mir zu Hilfe, so dass ich heute mit Genugtuung sagen kann: meine Saat ist sehr gut aufgegangen.“ Seit Hoffmann tätowiert ist, ist er auch mit sich selbst im Reinen: „ Ich fühle mich wohl, unabhängig und befreit.“
Post Scriptum#
Später erreichte mich noch ein schönes Kompliment: „Hallo Martin, Ich bin ein enger Freund von Herbert und habe (erst jetzt!?!) dein Video gesehen. Kompliment, ein nicht ganz alltägliches Interview mit ihm!! Obwohl ich ihn sehr gut kenne und ihn zu Conventions begleite und auch zuhause unterstütze, kenne ich seinen ganzen Lebenslauf aus dem FF, ist dein Video eines der schönsten die es gibt von ihm. Und ich habe 100 gesehen und war selber auch schon bei ca. 50 internationalem dabei. ... Viele Grüsse Oli & Luana Mathisy“- Alle Fotos: Martin Krusche
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