Herkules der Musen#
Öffentliche Gepflogenheiten#
Karl VI. kehrte nach Wien Ende Januar 1712 als spanienversessener Habsburger an den Wiener Kaiserhof zurück. In seinem Reisegepäck war etwas Abstraktes dabei: Das Spanische Hofzeremoniell, das wie das Französische, alles regelte – von Kleidervorschriften, Anreden, Verbeugungen, allgemein schwarze Trachten entsprechend spanischer Granden angezeigt – sogar das Mobiliar musste spanisch angehaucht sein. Erdrückend war der Umstand, dass es sogar die personelle Rangfolge bis zum kaiserlichen Machtzentrum inklusive die Raumabfolge in der Hofburg regelte. Dieses eigenartige Hofzeremoniell hatte der Habsburger nur neu mitgebracht.
Das vielstrapazierte Hofzeremoniell war keine alleinige Erfindung spanischer Könige gewesen, sondern kam Mithilfe der zugeheirateten Fürstinnen und Fürsten vom Burgunder(-Herzogs)hof. (Phillipp II. starb 1598. Vor ihm regierte Karl V.]) und endlich – durch die Verbindung der spanischen Habsburger und der österreichisch-deutschen Habsburger nach Österreich bzw. an den Wiener Kaiserhof.
Allerdings fiel Hofkennern die bescheidene Ausstattung der kaiserlichen Gemächer auf. Kaum Prunk. Die Wohnräume, so beobachtete Montesquieu, waren ziemlich schlicht gehalten. Höchsten Teppiche lagen im Korridor. An den Wänden wenigstens ein Spiegel. Der Monarch trug einfache Kleidung. Montesquieu war vom Versailler Hof anderes gewohnt. In den Sommerresidenzen Laxenburg und Favorita war "legere" Kleidung "deutscher" Provenienz gefragt. Jenes Hofzeremoniell war gleichwohl keine Einführung Karls VI. Der frühere Kaiser Rudolf II. führte – seit 1576 – an seinen Höfen in Prag und Wien die strenge Spanische Etikette sowie Tracht der leicht kugeligen Hosen ein. Die Tracht eines iberischen Granden war generell schwarz. Diese Farbe galt als Symbol der Trauer, Nüchternheit und Zurückhaltung. Karl VI. wirkte mit dieser Kostümierung irritierend auf die Umgebung und verströmte eher eine unbarmherzige Gedrücktheit, die so manchen zartbesaiteten Mitarbeiter bei Hofe wahrlich abschreckte. Um die Mächtigkeit seiner Person zu umreißen, stand der Kaiser in Schuhen mit erhöhten Absätzen, wodurch er kerzengrade herabblicken konnte. Irgendwie eine formvollendete Eskalation des Größenwahns. Audienzen konnten schwierige Angelegenheiten werden. Sein Fluidum der Distanziertheit strapazierte die Zeitgenossen. Einmal, im Juli 1730, platzte dem Kaiser der spanische Kragen – vermutlich wegen der Sommerhitze – und verlangte flehentlich innerhalb einer gewährten Audienz vom Librettisten Pietro Metastasio, anstatt einer dreifachen Verbeugung ein saloppes Auftreten. Eine hochoffizielle Begegnung mit dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. einen Monat später in Prag verlief wegen dem steifen Zeremoniell so ziemlich schwierig. Das mag auf uns heute lächerlich wirken. In dieser Atmosphäre wurden weltbewegende oder belanglose Entscheidungen getroffen. Dank diesem Zeremoniell konnte sich der Habsburger-Kaiser vom normalen Fürsten, vom gewöhnlichen Individuum gesellschaftlich besser unterscheiden ...
Residenzen#
Auch dass der Fürst als Machtmensch eine entsprechende Residenz brauchte war eminent wichtig. Die alte Hofburg der Renaissance war, wenn alten Abbildungen Glauben geschenkt wird, eher eine mit dicken Mauern versehene dunkle Bruchburg … Die Frage war nicht was repräsentieren nicht ist, sondern eine Angelegenheit nicht vorhandener Finanzen, und diese wieder vorhanden zu machen.Angesichts der Prachtentfaltung spanischer Könige der vergangenen Jahrhunderte – El Escorial! – gingen die Überlegungen des Habsburgers dahin ein bis nunmehr noch nie gesehenes glanzvolles Residenzgebäude zu realisieren. Gezielt schien Karl VI. wohl nicht an Verwirklichung einer an einem Ort fixierten, festen Residenz gedacht zu haben. Wie auch immer: Sein Kaiserleben spielte sich in den Wohn- und Jagdschlössern von Wien und Umgebung ab: Alte Hofburg, Favorita, Laxenburg,
(Kaiser-)Ebersdorf (Wien-Simmering), Halbturn (damals Féltorony, Ungarn / Burgenland) und eventuell Brandeis an der Elbe / Brandýs and Labem – ein einst von Kaiser Rudolf II. bewohntes Renaissanceschloss aus dem 16. Jahrhundert – bei Prag.
Also, mehrere Residenzen, die abwechselnd als Regierungszentren (im Heiligen Römischen Reich) dienten, die der Kaiser anpassen oder gleich neu erbauen ließ. In der Hofburg gab laut Wienerischen Diarium (1732) einen "Spanischen Saal". Wahrscheinlich wurde der Saal schon unter Kaiser Ferdinand – Bruder Karls V. – eingerichtet. Wahrscheinlich diente dieser Saal für Festivitäten oder ähnliches. Nachdem die Ära Kaiser Karls VI. endgültig vorbei war, wurde der besagte Saal seiner Funktion erledigt. Offenbar dürfte diese Halle niemanden in der Familie Habsburg sonderlich behagt haben. Außerdem gab es so einen ähnlichen Saal sowieso im Schloss Ambras bei Innsbruck.Adelige Zeitgenossen – so etwa Prinz Eugen von Savoyen und andere –, hauptsächlich Subalterne des Kaisers richteten ihre palais- und schlossgebundenen Wohnlandschaften schon etwas pompöser und generöser ein. Soweit Geld vorhanden war. Das Jagdschloss Augarten, die "alte Favorita" diente als Witwensitz der Kaiserin Eleonore Magdalena. Höchstens die Gartenanlage ließ der Kaiser durch Jean Trehet instandhalten.
Für das Ressort betreffend Bauwerke und Güter im kaiserlichen Besitz war seit 1716 Gundacker Graf Althann als ordentlicher "Generalbau-Direktor" zuständig. Zuvor diente dieser unter Prinz Eugen in militärischen Funktionen. Althann erreichte eine Verselbstständigung seines Generalbauamtes. 1717 bis 1719 ließ der Kaiser durch den Genueser Johann Lucas Hildebrandt die "Geheime Hofkanzlei" – Sitz der Geheimen Konferenz – erbauen. Heute ist dieses Gebäude nach baulichen Erweiterungen das Bundeskanzleramt. Der Kaiser erhob den Architekten 1720 in den Reichsadelsstand und 1723 zum Hofbaumeister. Allerdings akzeptierte der Wiener Hof den älteren Fischer von Erlach, Johann Bernhard, der längst gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit gelungenen Bauten in Salzburg gewaltiges Aufsehen gemacht hatte. Sehr zum Ärger Hildebrandts, der stets hoffte entsprechende Aufträge vom Kaiser zu erlangen. Nach dem Ableben Johann Bernhard Fischers von Erlach 1723 erbat sich Hildebrandt endlich eine Berücksichtigung als kaiserlicher Hofarchitekt. Karl VI. hätte ihn gewiss dazu erwählt. Doch statt seiner wurde der junge Fischer von Erlach bevorzugt. Aber um diesen nicht vor dem Kopf zu stoßen, musste das Ansuchen Hildebrandt ohne Beweggründe abgelehnt werden. Hildebrandt hatte während seiner Bautätigkeit am Areal der Hofburg offensichtlich, vorgebliche Unregelmäßigkeiten zu verantworten. Damals reichte eine Andeutung einer angeblichen Missetat um einen Menschen gesellschaftlich in Missgunst zu bringen. Ein ruinierter Ruf war nicht mehr wiederherstellbar. Intrigen und Brotneid waren an der Tagesordnung des Kaiserhofes. Stets reichte eine leise Andeutung, eine typische österreichische Gewohnheit. (Noch heute stürzen Politiker oder mehr oder weniger bekannte Prominente dank solcher bösartiger Offenheit ins Bodenlose.) Immer stand die finanzielle Entlohnung, die ja doch fürstlich war, im Vordergrund. Außerdem stand der Genueser sowieso im Dienst des Savoyers als dessen Leibarchitekt geriet als Opfer in den Wettstreit zwischen Karl VI. und Prinz Eugen um die schönste Architektur.Wenn es einen österreichischen Barockstil geben soll, dann ist die Suche vielleicht vergebens. Dazu sind die Stilformen viel zu italienesk, zu südländisch und wahrhaft liebenswert sympathisch. Der Architekturstil des 17. und 18. Jahrhunderts auf habsburgischen Boden (Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich, Niederösterreich, Innerösterreich, Böhmen und Ungarn) fällt eher unter die Kategorie "Süddeutscher Barock", der sich wieder aus Reflexionen der italienischen und französischen Baukunst – mit leichter Vorwegnahme des Klassizismusstils – zusammenspielte. Der südländische Stil wanderte nahezu bis in den Norden Europas und ging mit dem französischen Flair eine unnachahmliche Architekturauffassung ein, die jegliche geographische und nationale Zuordnung überflüssig macht.
Das barocke Architekturschaffen beschränkte sich keinesfalls auf Wien allein. In Prag wirkte die Architektenfamilie der Dientzenhofer – Nikolauskirche auf der Prager Kleinseite. Im oberitalienischen Turin entstand unter Filippo Juvara die Superga. Ein Sakralbauwerk, das noch mit der von Jacob Prandtauer erdachten und erbauten Melker Stiftskirche und der von Karl VI. beschlossenen Karlskirche annähernd verglichen werden kann. 1720 begann Balthasar Neumann die Würzburger Residenz, die erst 1744 abgeschlossen werden konnte. Adelsschlösser in Böhmen und Ungarn zeugten von der Finanz- und Entschlusskraft der Ständevertreter. In Niederösterreich ragten die klösterlichen Baujuwele Melk, Göttweig, Dürnstein und Altenburg sowie Zwettl heraus. In der Steiermark die Klosterkirchen von Pöllau und Vorau sowie in Oberösterreich St. Florian bei Linz und Kremsmünster. In Salzburg dominierte schon längst das Barock nördlich der Alpen. In Bayern standen schon lange frühbarocke Bauten wie etwa die Theatinerkirche in München u. a. Monumente.
Auf ungarischem Boden kamen erst nach Ende der Osmanengefahr barocke Bauten zuwege. Aber stilistisch haben sie mit der Epoche Karls VI. nur oberflächlich zu tun.
Die Hofburg#
Die kaiserlichen Bauwerke zeichneten sich durch ihre diskrete Monumentalität und ernster Abgehobenheit mit Hilfe von übertrieben große Portale, Türen, Stiegen, Zierrat, Fenster und so fort aus. Sehen wir uns die Höhe und Größe der Eingangspforten an. Sie sind dreimal größer als normale Türen. Damit wurde der gesellschaftliche Status zwischen Kaiser und Adel sowie Normalsterbliche unterschieden. Vater und Sohn Fischer von Erlach schufen während der Epoche Kaiser Karls VI. bemerkenswerte Barockbauten in der Residenzstadt: die Hofstallungen ("Museumsquartier", Wien-Neubau), Hofbibliothek, die Reichskanzlei, die Winterreitschule (Sitz der von den Ahnen hinterlassenen Spanischen Hofreitschule). Anfang der 1730er Jahre umgestaltete Anton Ospel – mit Lorenzo Mattielli – das (ehemalige) Bürgerliche Zeughaus (Am Hof, Wien-Innere Stadt) mittels spanische Stilformen und obendrein das Regierungsmotto des Kaisers. Ursprünglich waren die Hofstallungen vom Kaiser für seinen Freund Johann Michael Graf Althann als Residenz – als Amtssitz des Oberststallmeisters – gedacht worden. Das imposante Gebäude mit seiner 354 Meter langen Hauptfront besaß eigene Wagenremisen für den 200 Karossen umfassenden kaiserlichen Wagenpark und bot einst 600 Pferden Platz. Die von Hildebrandt begonnene und vom jungen Fischer fertiggestellte Reichskanzlei diente bis 1806 als Sitz der Reichsbehörden.Die Spanische Hofreitschule#
Der großartige mächtige Saal im Innern der Winterreitschule wirkt wie ein Tempel und beinhält eine von 46 Säulen getragene Galerie. In der überbreiten "Kaiserloge" befindet sich an der rückwärtigen Wand ein großformatiges Reiterporträt Karls VI. Das Gemälde schufen Johann Georg de Hamilton und Johann Gottfried Auerbach (Porträt) nach 1734. Bekleidet ist der Herrscher in einem ritterlichen Halbharnisch und harrt, den Reiterstab in die Hüfte gestemmt, auf einem prächtigen Lipizzanerhengst. Wohl seinem Lieblingspferd, einen spanischen Apfelschimmel Néput … (Übrigens: Den Namen "Lipizzaner" gibt es offiziell erst seit 1786! Offenbar wurden die Pferde unter Karl VI. noch "Karster" genannt.) Eitelkeit war eine der verborgenen Schwierigkeiten des Menschen im Barock. Die Pferde auf den Repräsentationsbildnissen des Prinzen Eugen hatten zu kleine Köpfe und zu massige Körper … Karl VI. galt als blendender Reiter, vermutlich kannte er auch – über seine Reitlehrer – damals gängige Literatur. Leopold I. und Karl VI. brachten der Pferdezucht größtes Interesse entgegen. Das Hofgestüt Lipizza (östlich von Triest, Karst, heute Lipica, im Südwesten von Slowenien] erfuhr eine erste Zeit der Blüte. 1728 wurde der Ort Prestanegg im Karst zur Erweiterung des Gestüts Lipizza erworben; damals gab es etwa 150 Mutterstuten. Karl VI. legte da auch Wert auf Pferde spanischer Herkunft. Am 19. Mai 1728 hatte Kaiser Karl VI. in Laxenburg von Lipizza angekommene junge Pferde "in allerhöchsten Augenschein genommen". Allerdings war er kurzsichtig ... 1717 bis 1740 wurden im Gestüt des Schlosses Halbturn ebenfalls Pferde untergestellt sowie gezüchtet. Allerdings war die Pferdehaltung damals ziemlich im Argen und viele Pferde verendeten aus Schlamperei, die noch dazu vom Wiener Hof gesteuert wurde. Generell standen Lipizzaner im Einsatz für den kaiserlichen Wagenpark. Die berühmte "Hohe Schule" der Reitkunst besaß ihre Ursprünge aus der Militärreiterei und entwickelte sich in Verbindung mit Zeremoniell, Natur und Stil sowie Musik, echter Tradition und mit Stil altösterreichischen Flairs alles nach Etikette strengsten spanischen Hofzeremoniells. Sogar den weißen Pferden blieb kaiserliches Getue nicht erspart.Karls VI. Hoftiermaler Hamilton schuf in dessen Auftrag um 1725 eine Vielzahl an Pferdebildnisse – offenbar die Lieblingspferde des Kaisers, die auch skurrile Namen trugen: "Néput" (Neffe), ein spanischer Apfelschimmel, der braune "Cerbero" (etwa Schrecken, der grimmige Wächter) oder der spanische Rappen "Gitano" (entsprach einen beleidigenden Ausdruck für ein Mitglied der Roma; schlauer, drolliger Bursche). Diese Pferdebildnisse, die viel später von Johann Christian Brand um 1760 mit Landschaftshintergründe versehen wurden befinden sich teilweise im Schloss Schönbrunn (Wagenburg). Die Pferde des Kaisers trugen Brandzeichen an der Kruppe. Eine stilisierte Kaiserkrone und darunter ein großes "C", das für Carlos oder Carl stand. Ein von Johann Georg de Hamilton angefertigtes Pferdebildnis, das einen Kladruber Schimmel bot, zeigt ganz deutlich das Eigentümerzeichen beim Hinterteil über dem Lauf des Tieres. Die bereits unter Kaiser Leopold I. erwähnte Spanische Hofreitschule wird seit langer Zeit gern von Touristen aus aller Welt inspiziert. Das untere Erdgeschoss der Stallburg wurde unter Kaiser Karl VI. für die Hofreitschule genützt. Von dort konnten die Pferde zur Winterreitschule leichter gelangen.
Am 14. September 1735 eröffneten Kaiser Karl VI. und seine Ehefrau Elisabeth Christine - sowie mit Erzherzogin Maria Theresia - höchstpersönlich die zuvor fertiggestellte Winterreitschule. Sie war damals Gesprächsthema. Eine Reithalle mit freischwebender Deckenkonstruktion, 58 mal 17 mal 17 Meter, ausgestattet mit Galerie und an den Längsseiten Säulenarchitektur. Zu begutachten gab es 54 aus den kaiserlichen Gestüten nach Wien gebrachte Junghengste und ausgebildete Schulpferde. Heute achten die Bereiter (Bereiterinnen) und Eleven den Bauherren, indem sie vor seinem Reiterporträt – geradezu archaisch – ihren Dreispitz ziehen. (Zuletzt im Neujahrskonzert 2022 zu sehen!)Tatsächlich konnte der Kaiser bereits 1734 aus Geldmangels wegen des Polnischen Thronfolgekrieges den Ausbau der Hofburg zu einer seiner Person verherrlichenden Residenz nicht mehr fortsetzen. So erlosch allmählich auch die intensive und leidenschaftliche Bautätigkeit im Bereich der Wiener Hofburg. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Torso im Sinne der Reminiszenz auf verklungene glorreiche Tage im Stil der Fischer von Erlach höchstens ergänzt aber nicht mehr fertiggestellt ...