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Auf alten Wegen#

Identität ist keine Folklore-Veranstaltung#

von Martin Krusche

Wenn wir wissen wollen, wer wir sind, nützt es, sich ein wenig danach umzusehen, was unsere Leute gemacht haben. Ich meine das in einem bestimmten Sinn. Mein Lebensraum ist wesentlich von zwei Arten der Spuren durchzogen. Da sind jene flüchtigen, die ungezählten Schritte der Menschen vieler Generationen, von denen wir nichts mehr wissen. Die können wir bloß erahnen. Und dann jene greifbaren Spuren, die uns in allerhand Gegenständen und Bauwerken hinterlassen wurden.

Das halbe Querschiff von Pischelsdorf. (Foto: Martin Krusche)
Das halbe Querschiff von Pischelsdorf. (Foto: Martin Krusche)

Keine von beiden Versionen sollte zu esoterischen Deutungen mißbraucht werden, sondern lädt uns ein, dieses Kommen und Gehen zu begreifen, in dem sich jene Umbrüche ereignen, die uns gelegentlich zu schaffen machen, ohne die es aber keine Entwicklung gibt.

Wir kennen freilich auch immaterielles Kulturgut, wie es uns etwa in Sprechweisen oder in manchem Brauchtum geläufig ist, wie es als erworbenes Wissen weitergegeben werden kann. Doch das ist sehr flüchtig.

Wer weiß denn noch, was die eigenen Großeltern zu Fragen des Alltags oder zur Lage der Welt gedacht und debattiert haben? Woher wissen wir, was die Menschen vor hundert, vor zweihundert Jahren bewegt hat. Was hatten subalterne Schichten denn überhaupt mit dem Eliten von Adel und Klerus an gemeinsamen Themen?

Es ist bemerkenswert, mit welcher Intensität kommerzielle Instanzen Selbstgebrautes über all das breiten, darüberlegen, um dann doch einzelne Werke oder Positionen aus vergangener Zeit herauszustreichen, soweit sie sich als vermarktbar erweisen. Damit meine ich, „Die Vergangenheit“ und „Unsere Kultur“ wird permanent bewirtschaftet. Und das oft in sehr verkürzter Form, zum Teil bloß in Form kühner Behauptungen, die sich nicht belegen lassen, keiner seriösen Prüfung standhalten. Gerade was Kategorien wie „Unsere Heimat“ angeht, kursieren verblüffende Machwerke.

Im Zusammenhang mit unseren Anliegen bezüglich einer regionalen Wissens- und Kulturarbeit kommen diese Angelegenheiten unweigerliche zur Sprache und zur Diskussion. Ich hatte schon geraume Zeit mein Faible für Sammlungen und Museen gepflegt, um mir Gegenstände anschauen zu können, die heute nicht mehr zu unserem Alltag gehören; Dinge, von denen ich gelesen hab, von denen man mir erzählte.

Wetterturm in Harl an der Apfelstraße. (Foto: Martin Krusche)
Wetterturm in Harl an der Apfelstraße. (Foto: Martin Krusche)

Dabei kam mein Augenmerk zwangsläufig auch auf Bauwerke, die mir über besondere Aspekte auffielen. Jüngst etwa, als unsere aktuellen Recherchen nach Straden führten. Auf diesem Hügel zwischen vulkanischen Kegeln steht ein kleines Dorf, das über vier Kirchen und Wehrbauten verfügt. Dort wurde eine der Kirchen direkt auf eine ältere gebaut, nicht etwa auf deren Fundamente, sondern auf eine intakte Kirche, die heute noch begangen werden kann. Ein bauliches Kuriosum mit einem Turm, der offenbar nicht recht weiß, wo er nun hingehört.

Ebenso merkwürdig die Friedhofskirche von Pischelsdorf. Man meint, einen Rumpf vor sich zu haben, von dem das Hauptstück weggebombt wurde. Allein die Höhe des Gebäudes und die Größe der Fenster signalisieren über ihre Proportionen, daß hier eine Menge Bausubstanz fehlt. Es ist der einsame Seitenarm einer großen Kirche, deren Hauptschiff und deren anderer Seitenarm nie gebaut wurden. Was blieb, ist also ein halbes Querschiff. Welche Demonstration von verrutschenden Machtverhältnissen!

Wehrbauten sind in der Oststeiermark übrigens sehr wichtig gewesen, da das Leben im Grenzgebiet höchst unsicher war. Die Bedrohungen durch Reiterhorden, allerhand Freischärler, auch durch osmanische Verbände, waren ebenso unausweichlich, wie Krisenfälle des eigenen Adela, etwa jener Konflikt, die Andreas Baumkircher mit seinem Kaiser austrug.

Baumkircher und Johann von Stubenberg schlugen sich mit den Truppen von Kaiser Friedrich III. im Rahmen einer legitimen Fehde um ausstehende Geldbeträge. Das betraf in der Region vor allem die Städte, Hartberg, Fürstenfeld und Feldbach. Der heute leider unvollständige Feldbacher Tabor spielte dabei eine wichtige Rolle als Schutzraum für die Bevölkerung. Der Tabor in Weiz, erheblich kleiner, ist ebenso sehenswert. Mich beeindruckt an diesen Bauten vor allem einiges an ästhetischen Qualitäten, die sich aus der Funktion ableiten, wo für Zierrat kein Anlaß war.

Kirche auf Kirche in Straden. (Foto: Martin Krusche)
Kirche auf Kirche in Straden. (Foto: Martin Krusche)
Der restliche Tabor von Feldbach. (Foto: Martin Krusche)
Der restliche Tabor von Feldbach. (Foto: Martin Krusche)
Ein Bollwerk in Fürstenfeld. (Foto: Martin Krusche)
Ein Bollwerk in Fürstenfeld. (Foto: Martin Krusche)

Ähnlich bewegt die Geschichte der Stadt Fürstenfeld, deren Pfeilburg eine stattliche Sammlung beherbergt, umgeben von Resten einstiger Wehrbauten (Basteien). Man möchte annehmen, das sei alles Geschichtskram, einem Laienpublikum bestenfalls als „Heimatkunde“ anzudienen, nebenbei noch nützlich, falls man für Muttertag ein nettes Ausflugsziel braucht, das nicht gar so sehr nach purem Vergnügen riecht. All diese Orte sind durch zahlreiche Wege verbunden, an denen wir ein komplexes Zeichensystem finde. Eine ziemlich dichte Folge von Klein- und Flurdenkmälern, also Wegkreuze, Bildstöcke, aber auch profane Artefakte, die uns etwas erzählen.

Ludersdorf: Das Sakrale und das Profane in enger Nachbarschaft. (Foto: Martin Krusche)
Ludersdorf: Das Sakrale und das Profane in enger Nachbarschaft. (Foto: Martin Krusche)

Aber das sind vor allem auch sinnlich erfahrbare Eindrücke jener Kräftespiele, von denen hier die Mentalität der Menschen geprägt wurde. Zu den mehrheitlich kleinen Selbstversorgerwirtschaften gab es eher wenige Betriebe mit gewinnträchtigen Sonderkulturen, etwa Obst, Wein und Hopfen. Die Obrigkeit nahm vom Ertrag was nur ging, nahm Steuern, Sonderabgaben, Arbeitsleistungen.

Was immer in dieser Gegend gebaut und geschaffen wurde, mußte die Bevölkerung mit Erfahrungen des Mangels und mancher Not bezahlen. Was dann erst einmal stand, konnte von den schon erwähnten Reiterhorden niedergebrannt werden. Menschen, Vieh, Saatgut und Ernte waren vielerlei Begehrlichkeiten ausgesetzt.

Ich erwähne das, weil solche Erfahrungen unsere Mentalitätsgeschichte über viele Generationen geprägt haben. Das ändert sich nicht in zwei, drei Generationen, auch wenn die Lebens- und Arbeitsbedingungen sich längst völlig gewandelt haben, mit jenen vor 70 oder 100 Jahren keineswegs vergleichbar sind.

Wenn wir also heute die Region durchstreifen, um uns historische Stätten anzusehen, um Sammlungen und Museen zu besuchen, dann ist das einer verfeinerten Betrachtung der Hintergründe unserer Gegenart gewidmet.

Dabei entstehen erfahrungsgemäß etwas andere Bilder, als sie uns von Werbeagenturen und diversen regionalen Managements als Stimmungsbilder angeboten werden. Bliebe eine interessante Debatte auf dem Notizzettel, nämlich darüber, welche Arten der Vermarktung diesen Themen zuträglich sind und welche in die Richtung eines fragwürdigen Gebrauchs gehen, der diskussionswürdigen Zwecken dient.


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