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Bildnisse#

Zum Projekt „Ich bin eine Geschichte“#

von Martin Krusche

In unseren Bildwelten, wie sie sich via Internet ausbreiten, regiert über weite Strecken das Selfie. Ein Selbstbildnis, das vorzugsweise per Smartphone erstellt wird. Und wo jemand noch andere Menschen einbeziehen oder die Umgebung zeigen möchte, kommt eventuell ein Selfie-Stick ins Spiel. Das ist eine handliche Stange, die etwas mehr Abstand zwischen dem Telephon und seinem Objekt herstellt.

Fotograf Franz Sattler mit einem Selbstportrait des Malers Albin Schrey. (Foto: Martin Krusche)
Fotograf Franz Sattler mit einem Selbstportrait des Malers Albin Schrey. (Foto: Martin Krusche)

Wir kennen seit der Antike Portraits, die einem konkreten Menschen individuell zuordenbar sind. Exponierte Personen herrschender Eliten wußten beizeiten diverse Künstler für repräsentative Zwecke zu beschäftigen. Das war oft mit innenpolitischen Strategien verknüpft. Ahnengalerien sollten Dauer und Legitimität ausdrücken.

Ab der Renaissance weiteten ökonomisch und politisch erfolgreiche Bürger dieses Feld rasant aus, machten sich und ihre Frauen zum Gegenstand von Bildern. Menschen aus subalternen Schichten waren dafür nicht vorgesehen.

Albrecht Dürer ist etwa dreizehn Jahre alt gewesen, da er sich nach seinem Spielgelbild selbst zeichnete. Er notierte auf dem Blatt: „Dz hab Ich aws eim spigell nach mir selbs kunterfet Im 1484 Jar Do ich noch ein kint wad. Abricht Dürir“

Selbstbildnis des Albrecht Dürer. (Grafik: Public Domain)
Selbstbildnis des Albrecht Dürer. (Grafik: Public Domain)

Diese Zeichnung gilt als erstes autonomes Künstlerselbstportrait der Kulturgeschichte Europas. Etwa 350 Jahre später entstand in Amerika das erste uns bekannte Selbstportrait in Form einer Fotografie. Es zeigt uns den Fotopionier Robert Cornelius.

Mit dem Kodak Brownie von George Eastman, einer schlichten Box, die es schon ab 1888 gab, wurde das Fotografieren auch für Amateure ohne besondere Kenntnisse und Fertigkeiten möglich. Die technische Entwicklung bis zu den bei uns allgegenwärtigen Smartphones mit ihren erstaunlich leistungsfähigen Fotofunktionen hat freilich alte Techniken des Portraitierens nicht aus der Welt geschafft.

Der amerikanische Fotograf Robert Cornelius im Selbstbildnis. (Foto: Public Domain)
Der amerikanische Fotograf Robert Cornelius im Selbstbildnis. (Foto: Public Domain)
Das prominente Affen-Selfie: Selbstportrait mit Equipment von David Slater. (Foto: Public Domain)
Das prominente Affen-Selfie: Selbstportrait mit Equipment von David Slater. (Foto: Public Domain)

Wir treiben heute in Fluten der Selbstdarstellung. Gerade weil es nun jeder kann und jede tut, noch dazu oft mit einem kleinen Repertoire von populären Posen und Gesichtsausdrücken, gewinnen aufwendigere Verfahren wie die Zeichnung oder das Gemälde eine neue Bedeutung. Das ist einer des Aspekte, dem wir in einem Teilbereich des Projektes Ich bin eine Geschichte nachgehen.

Ein anderer Aspekt beleuchtet den Auftritt des „gemeinen Volkes“ in solchen Zusammenhängen. Ein Portrait von sich und seinen Leuten im trauten Heim? Für meine Großeltern war das keineswegs selbstverständlich; zumindest für jenen eher proletarischen Teil, der mit dem Handwerk und der Eisenbahn zu tun hatte. Dagegen ließen sich gut situierte bürgerliche Kreise selbstverständlich Portraits bei Profis im Studio anfertigen.

Ab den 1940er Jahren verschob sich das markant, denn die Amateurfotografie breitete sich bei uns rasant aus. Handliche Fotoapparate aus jenen Tagen sind heute noch bei Liebhabern im Umlauf. In meiner Kindheit, in den 1960er Jahren, konnte ich erleben daß die Portraits als Grafiken oder Gemälde längst nicht mehr Domäne Herrschender und wohlhabender Kreise blieben. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler befaßten sich auch mit Menschen ohne jede Prominenz. Ihre Arbeiten tauchten auch in kleinbürgerlichen Haushalten auf.

Die Box von Eastman. (Grafik: Public Domain)
Die Box von Eastman. (Grafik: Public Domain)

Doch die Fotografie überrannte alles. Dem diente sich ein sehr einfallsreicher Handel an, von dem alle nur denkbaren Arten von Bilderrahmen und Bildhaltern angeboten werden.

Dazu kamen allerhand elektronische Varianten für digitale Medien und jüngere Drucktechniken, mit denen auch Einzelstücke erschwinglich werden, machen einen großen Teil unserer Gebrauchsgegenstände zu geeigneten Bildträgern. Das wird zu diversen Jubiläen reichlich ausgenützt. Kaffeeschale, Foto-Puzzle, Schlüsselanhänger, Wanduhr, Schneidbrett, alles kann preiswert mit Gesichtern versehen werden.

Wenn wir nun über die Markierung 1918-2010 auf die Republik Österreich blicken, uns zugleich das 20. Jahrhundert vergegenwärtigen möchten, ist es sehr reizvoll, dieses Thema herauszustellen: Menschenbildnisse und ihre verschiedenen medialen Formen. Ich habe mich dabei in unserem Projekt während des ersten Abschnitts für Doppel-Features entschieden.

Technologiesprünge (von links): Baby Brownie, Kodak Retina, Kodak Instamatic. (Foto: Martin Krusche)
Technologiesprünge (von links): Baby Brownie, Kodak Retina, Kodak Instamatic. (Foto: Martin Krusche)

Das bedeutet, ich führe Situationen herbei, wo Menschen zu einem Bildnis werden, während sie ein Bildnis mit sich haben. Damit lassen sich Vergangenheit und Gegenwart anschaulich in Beziehung setzen. Dabei können lokale Momente herausgearbeitet werden. Aber ich mag auch einige jener Punkte aufstöbern, wo sich Weltgeschichte und Regionalgeschichte berühren.

Schon die ersten Stationen belegen, daß in dieser Reihe von Doppel-Features auch sehr gut sichtbar wird, wie Menschen ohne jede Prominenz die Bühnen einer gehobenen Wahrnehmung betreten haben. Das verzahnt sich mit anderen Personen, die etwa mit öffentlichen Ämtern betraut waren oder in einem Gemeinwesen exponiert dastanden.

Amt und Würden: Richard Mayr wurde 1890 in den steirischen Landtag entsandt. (Foto: Martin Krusche)
Amt und Würden: Richard Mayr wurde 1890 in den steirischen Landtag entsandt. (Foto: Martin Krusche)

So ist hier als Titelbild der Fotograf Franz Sattler zu sehen, wie er ein Selbstbildnis des Industriearbeiters Albin Schrey hält. Beide, Sattler und Schrey, sind durch ihre künstlerischen Ambitionen über die Grenzen banaler Alltagsbewältigung hinausgeschritten.

Über ästhetische Erfahrungen und langfristige Übung ihrer Kompetenzen haben sie jeweils ein Stück jenes Bodens bereitet, auf dem auch abseits des Landeszentrums, in der Provinz, ein anregendes geistiges Leben gedeiht.

Derlei ereignet sich freilich nicht bloß über künstlerische Mittel, sondern wird oft in Alltagsszenen ganz unprätentiös sichtbar, erfahrbar. Die erste Serie an Ergebnissen wird nicht nur im Internet aufgeblättert, sondern heuer auch im Rahmen des 2018er Kunstsymposions als Ausstellung gezeigt.

Bild 'symp2018_600'