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Bild 'beuys'

Die Genres und die Begriffe#

(Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst)#

Von Martin Krusche#

(Vorlauf) Ich nutze Beuys als einen Angelpunkt in meiner Konzentration auf diese drei Genres: Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst. In der Praxis regionaler Wissens- und Kulturarbeit will ich das mit Sozialgeschichte und Zeitgeschichte verwoben sehen. Als Kind habe ich noch die historische Trennung von „Eliten- und Popularkultur“ kennengelernt.

Diese Sichtweise wurde als eine Art Distinktions-Maschinerie genutzt; in der Polarisierung von Hochkultur und Volkskultur. Dazwischen galt so allerhand als „Schmutz und Schund“, wurde abgetan. Nehmen wir nun Beuys als Anlaß, um unsere Begriffe von all dem zu überprüfen, denn wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden.

Ich schätze an der zwiespältigen Persönlichkeit von Joseph Beuys, weil uns in der Befassung mit seiner Arbeit und seinem Weg so viel Vertrautes unterkommt. Vertrautes, mit dem er nicht bloß seine Kritik am damaligen Status quo ausdrückte, sondern auch selbst Anlaß zur Kritik bietet.

Kritik, das bedeutet im Kern: vergleichen. Bei der Orientierung nützt das allemal. Kritik heißt nicht a priori: bewerten. Aber das machen wir erfahrungsgemäß gerne, weil wir es gewohnt sind, die Dinge der Welt hierarchisch zu ordnen. (Ich bin da keine Ausnahme.)

Die Arbeit von Beuys gehört zu meiner mentalen Infrastruktur, aber nicht an prominentester Stelle. Ich habe in früheren Arbeitsschritten über das Hervorheben einiger exponierte Werke folgende vier Persönlichkeiten betont: Kasimir Malewitsch, Paul Jaray, Richard Buckminster Fuller und Andy Warhol. (Diese subjektive Gewichtung steht natürlich für ein größeres Ganzes.)

Embleme und Kräftespiele#

Das schwarze Quadrat, der Stro(h)mlinienkörper, die Sphäre (Bucky Ball) und die Campbell Suppendose stehen bei mir als Embleme für eine Landkarte der Bedeutungen, in die sie eingetragen sind.

Der Weg dahin handelt von drei bedeutenden Kräftespiele, die mich in meinen kulturellen Auffassungen geprägt haben. Dada, Fluxus und Pop. Unterwegs war mir klargeworden, daß dabei auch die Russische Avantgarde sehr wirksam ist. Dazu kam das Industriedesign, zu dem ich sehr lange keine preiswerten Fachbücher finden konnte, um mich kundig zu machen. Dann, ab der breiten Nutzbarkeit von Gußeisen, sind Handwerk, Industrie und Kunst auf prägnante Art verwoben.

Kasimir Malewitsch: „Schwarzes suprematisdtische Quadrat“, 1915 bei „Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei 0,10“ (Null–Zehn) gezeigt. (Foto: Tretyakov Gallery, Public Domain)
Kasimir Malewitsch: „Schwarzes suprematisdtische Quadrat“, 1915 bei „Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei 0,10“ (Null–Zehn) gezeigt. (Foto: Tretyakov Gallery, Public Domain)
Biosphäre Montreal („Geodesic dome designed by Buckminster Fuller at the Montreal Biosphere museum, Foto: Ralf Roletschek, GNU FDL)
Biosphäre Montreal („Geodesic dome designed by Buckminster Fuller at the Montreal Biosphere museum, Foto: Ralf Roletschek, GNU FDL)

Deshalb ist mein Arbeitsschwerpunkt auf Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst gerichtet. Dabei kombiniere ich vorzugsweise Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft. Das hat als strukturellen Rahmen drei Sektoren: Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Dazu habe ich aktuell (Sommer 2022) nun diese drei Themen in Zusammenhang gestellt: Welt, Wildnis und Kunst; als Reaktion auf die von Karl Bauer herbeigeführte Gleisdorfer Ausstellung mit Werken von Joseph Beuys. Da offenbart sich also mein Faible für Dreier-Gruppen von Begriffen, die ich zum Raster meiner Konzepte mache. Eine kleine Liste:

  • Volkskultur, Popkultur, Gegenwartskunst
  • Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft
  • Staat, Markt und Zivilgesellschaft
  • Welt, Wildnis und Kunst

In Sachen Volkskultur#

Dazu ist heute immer noch einige Klärungsarbeit nötig. Es liegt derzeit ein neuer Bericht des Landes Steiermark über „Gelebte Volkskultur“ vor. Aus dem Inhaltsverzeichnis schließe ich, daß dieses gesamte Ressort noch stark an den Genres einer vorindustriellen bäuerlichen Gesellschaft orientiert ist. Daran wäre heute mindestens zu bestaunen, daß diese Genres inzwischen stark unter bildungsbürgerlicher Patronanz stehen.
Andrew Warhola jr. (rechts), zwischen 1929 und 1932, mit Bruder John und Mutter Julia. (Foto: Public Domain)
Andrew Warhola jr. (rechts), zwischen 1929 und 1932, mit Bruder John und Mutter Julia. (Foto: Public Domain)

Ich halte das für ein soziokulturelles Kuriosum, um nicht zu sagen: eine kulturelle Anomalie. Da ist es plausibel, daß breite Schichten mit ihren Leidenschaften auf andere Felder ausweichen, wo sie nicht von „gebildeten Leuten“ belehrt werden. Da schlägt dann unter anderem die Stunde der Unterhaltungsindustrie. Die vier Hauptthemen des steirischen Volkskultur-Berichtes:

  • 1) Volkskulturelle Verbände
  • 2) Kulturelles Erbe
  • 3) Volkskultur Gemeinsam Gestalten
  • 4) Verbandsübergreifende Highlights

Unter 4) Verbandsübergreifende Highlights finde ich dann a) „Aufsteirern“ und b) „A steirische Roas“ gelistet. Das sind (in meinen vertrauten Kategorien) Zugeständnisse an a) die Unterhaltungsindustrie mit ihren Bedingungen für große Events und an b) eine von schwieligen Händen und Schweißgeruch befreite kulturelle Volkskultur-Auffassung. „Aufsteirern“ erscheint mir übrigens konsequent entlang der Erfahrungen mit dem Zusammenbrechen alter Horizonte entwickelt. (In diesem Sinn halte ich das Spektakel für genuin.)

Was liegt eben erst hinter uns? Das Aufbrechen geschichtlich tradierter (sozialer) Bindungen. Die individuelle Mobilität und moderne Kommunikationstechniken haben das Kleinräumige einstiger Kulturformen von „Nicht-Eliten“ – die sogenannte Volkskultur - geöffnet, auch aufgerissen.

Mir ist nicht bekannt, daß sich davor die Subalternen, die Proletarischen, die angeblich „einfachen Leute“ selbst als Subjekte von „Volkskultur“ bezeichnet hätten. Technologie und Wirtschaftspraxis veränderten die Lebensformen ab der Optimierung der Dampfmaschine rasant. Aus Andachtszeit (für die man von der Arbeit freigestellt war) wurde die Freizeit.

Wie verhalten sich nun unsere Begriffe zu den Angelegenheiten, die sie bezeichnen? (Semantik!) Interessenshomogenität in einer Massengesellschaft? Wir das beispielsweise mit der erwähnten Leiste „A steirische Roas“ darzustellen versucht? Das kann ja nicht sein. Kommunikation und Handeln im gemeinsamen Feld sind hier ein klar codiertes Nischenereignis. Leben wir in einem Stückwerk von sozialen und kulturellen Nischen?

Dialektik?#

Wer heute noch versucht, unsere kulturelle Situation mit den zwei Begriffen und Genres 1) Volkskultur und 2) Hochkultur zu beschreiben, hat wenigstens ein halbes Jahrhundert verschlafen. Die Umfassende Mechanisierung des Lebens warf uns eben erst aus den Konventionen und vertrauten Abläufen einer vorindustriellen bäuerlichen Gesellschaft hinaus. (Unter uns leben noch Leute, denen die alte agrarische Welt mit ihrer Kargheit vertraut war.)
Zum Werk von Paul Jaray: der 1934er „Jawa 700 Jaray“, gemalt von Milan Tošnar (Archív Libor Tošnar, CC BY-SA 4.0)
Zum Werk von Paul Jaray: der 1934er „Jawa 700 Jaray“, gemalt von Milan Tošnar (Archív Libor Tošnar, CC BY-SA 4.0)

Die populäre Opposition „Dorf/Großstadt“ ist wenig nützlich, um den Status quo der Oststeiermark darzustellen. Hier können wir am Beispiel vieler Dörfer sehen, daß sich Aspekte der agrarischen Welt, der Industrialisierung und des urbanen Lebens verbunden, verwoben und etabliert haben.

Nicht zuletzt, weil erst die schrittweise Industrialisierung jene gutbezahlten Jobs brachte, die eine vorherrschende Mehrzahl von kleinen Selbstversorgerwirtschaften der bäuerlichen Welt niemals bieten konnte. Der Bedarf an Gütern und Dienstleistungen dürfte mit der wachsenden Kaufkraft Hand in Hand gegangen sein. So kam für breitere Kreise ein Wohlstand, der vorher ausgeschlossen war.

Es sind längst weitere Horizonte gefallen und wir finden uns permanent mit einem Themenpaket befaßt, das als „Die Welt“ überschrieben werden kann. Uns erreichen und beschäftigen globale Zusammenhänge. Das Werk und das Engagement von Beuys lassen sich als ein exemplarisches Kräftespiel dieses Aufbrechens und Aufbruchs beschreiben.

Volkskultur und Hochkultur sind heute bloß noch zwei der verfügbaren und wirksamen Symbolwelten, die jeweils von vielen Leuten geteilt werden; zwei unter mehreren. Es ist alles wesentlich komplexer geworden. Dialektischer? Dem und den offenen Fragen sollten sich die inspirierten Leute in einer oststeirischen Kleinstadt gewachsen zeigen, denn Provinz muß nicht „provinziell“ heißen.