Die Quest 2018#
(Eine Linie durch verschiedene Terrains)#
von Martin KruscheIch hab vor rund einem Jahr hier andeutungsweise davon erzählt, daß ich bei meinem Faible für prozeßhafte Entwicklungen eine sehr konkrete Vorstellung von kollektiver Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz habe. Ich bevorzuge die Verwendung des Begriffes Provinz, weil er mehrheitlich negativ konnotiert ist und längst einer Neudeutung bedarf. Es hat damit zu tun, wie sich die uns umgebende Info-Sphäre technologisch radikal verändert hat.
Diese technologiegestützten Umbrüche nenne ich deshalb radikal, weil ich vermute, daß sie so weitreichend sind, wie jenes einst in der Antike von Sokrates beklagte Durchbrechen der Schriftkultur, die ihn zur Überzeugung brachte, wir würden in einem erschreckenden Maß vergeßlich werden.
Der Text „Die Quest: Wir und die Welt“ berührte einen Teil unserer Arbeit in diesen laufenden Prozessen abseits des Landeszentrums. Wir sind demnach noch nicht darüber hinweggekommen, das Landeszentrum als Referenzpunkt anzuführen und folglich das Denkmodell „Zentrum/Provinz“ zu revidieren, Aber es kommt voran.
Der genannte Text beginnt mit den Worten: „Wie wissen wir, wer wir sind? Wir erzählen einander die Welt, über die wir Erfahrungen gesammelt haben. Im Kontrast zu dem, was uns fremd ist, fällt es leichter zu begreifen, was uns ausmacht.“ Es bleibt bei der Auffassung, daß dies als ein kulturelles Unterfangen geführt werden soll, um eine mögliche Gegenposition zur bewährten Strategie der Selbstdefinition durch Feindmarkierung zu erproben, weil diese alte Strategie stets Feindschaft gebiert. Das sind keine Agenda der Kunst, aber der Kulturarbeit.
Nun habe ich eine Reihe von ersten Gesprächen geführt, die uns heuer zur Praxis führen sollen. Das waren im Moment vor allem einmal Begegnungen mit dem Typographen und Buchgestalter Ekke Wolf (Typic), mit Edith Hemmrich und Mark Blaschitz vom SPLITTERWERK. Da waren Winfried Lehmann und Helmut Oberbichler vom Aprilfestival, verstärkt von Ewald Ulrich (Fokus Freiberg). Siehe zu den drei Letztgenannten übrigens: „Die schlanke 125er“!
Diese Themenlinie, „Die Quest“, habe ich im Sommer 2016 begonnen, hab 2017 den Abschnitt II eröffnet und den Auftakt zu Abschnitt III, der momentan in Arbeit ist, erreicht. Das berührt unter anderem ein bemerkenswertes Zeitfenster: 1918 – 1938 – 2018, vom Ende des Großen Krieges über den Anschluß an Nazi-Deutschland zu dieser Europäischen Union, die von Fragen nach ihrer Selbstdefinition erschütterten ist, die sich Umwälzungen und Problemen stellen muß, welche kein Nationalstaat für sich bewältigen könnte.
Mit Lehmann, Oberbichler und Ulrich bin ich nun schon eine Weile im Einvernehmen und wir sorgen für lebendige Berührungspunkte in jenen kulturellen Schritten, die wir aus je eigenen Interessenslagen ganz verschieden setzen. Das ist ein feiner Prozeß mit unterschiedlichen Konjunkturen, denn wenn man uns an einem Tisch sieht, fällt unbedingt auf, daß wir unterschiedlicher kaum sein könnten. Solche Praxis des Kontrastes ist anspruchsvoll, weil dabei eine Art Fließgleichgewicht zwischen den vier Neigungsschwerpunkten, Vorgangsweisen, Interessenslagen zustande kommen muß.
Dabei bietet für mich derzeit vor allem Ewald Ulrich ein paar Anknüpfungspunkte, in denen ich selbst nicht ausreichend sachkundig bin. Er ist einerseits seit vielen Jahren intensiv mit kulturellen Phänomenen der Steinzeit befaßt. Das ist die Ära, in der sich beim Menschen das symbolische Denken als eine Eigenheit, die der Spezies evolutionäre Vorteile bring, breit durchgesetzt hat.
Ulrich ist andrerseits ein versierter Unternehmer im Bereich computergestützter Systeme, daher überaus kompetent, was den Stand dieser Entwicklungen angeht. Das nützt uns bei einem Teilthema, für das wir vier ein reges Interesse teilen: Was wird aus dem Handwerk und wohin führen uns die aktuellen technischen Umbrüche in dieser Sache?
Ich habe Ulrich bei der Gelegenheiten gefragt, ob in seinem Betrieb die Werkstatt für feinmechanische Aufgaben eine Zukunft habe. Seine Antwort fand ich sehr überraschend: „Wenn es im Moment zu mühsam ist, etwas zu programmieren, laßt man es von einem Menschen anfertigen.“ Ansonsten könne der Feinmechaniker sich mit der Maschine nicht mehr messen.
Das ist ein äußerst brisanter Hinweis auf aktuelle technische Entwicklungen, an denen Ulrich im Augenblick vor allem den Mixed 3D-Druck faszinierend findet. Der handelt von Produktionsvorgängen, bei denen eine Maschine verschiedene Werkstoffe kombiniert, die in der Ausführung eines Gegenstandes jeweils noch verschiedene Eigenschaften erhalten können. Wo früher Einzelteile aus verschiedenen Werkstoffen erzeugt und anschließend zusammengebaut wurden, läßt sich heute zunehmend mehr in einem Arbeitsvorgang produzieren, vor allem auch in kleinen Stückzahlen oder einzelnen Exemplaren.
Vielleicht ist das eines der radikalsten Details zeitgemäßer Entwicklungen unserer Industrien. Die Industrielle Revolution wurde so lange ganz wesentlich über Serienfertigung, über die Verknüpfung von hohen Stückzahlen und günstigem Preis bestimmt. Derlei ändert sich gerade mit enormen Konsequenzen.
Das sind einige der Aspekte, die im heurigen Aprilfestival auf Schloß Freiberg (Ludersdorf, Oststeiermark) ihre Wirkung in den thematischen Fundamenten zeigen werden, wie sie dann beispielsweise in „Die Quest“ eine Rolle spielen, während Lehmann sein Auswahl aus Arbeiten mehrerer Kunstschaffender entfaltet. Zugleich beginne ich mit Ekke Wolf zu klären, wie sich beleuchten und zeigen läßt, was Schrift eigentlich bedeutet und was ein konkreter Schriftfont kann. Typographie und das Layout von Drucksorten sind bedeutende Themen mit ihren Wurzeln in den Anfängen der Massenkultur. Der Buchdruck, wie ihn Johannes Gutenberg in der Mitte des 15. Jahrhunderts eingeführt hat, schuf einen der verläßlichsten Datenträger, den wir kennen, und begründete das, was wir heute als die Literariät ganzer Völker erleben. (Ein recht junges kulturelles Phänomen.)
In einen anderen Genre finde ich mich bei meiner Auseinandersetzung mit Blaschitz und Hemmrich vom SPLITTERWERK, deren Domäne die Architektur ist, deren Denk- und Entwicklungsarbeit aber ohne all die anderen Genres der Kunst nicht auskäme. Auch bei ihnen gibt es diese konkrete Form der kollektiven und prozeßhaften Arbeit, die mir wichtig ist. Dazu gehört heute ihr „Project Space“ als deutlich markierte Zone eines Geschehens. Das ist ein Raum, den ich, wie unsere Debatte zeigte, durchaus im Sinn der klassischen Wunderkammer verstehen darf. Eine Kategorie des Sammelns, Verdichtens und Zeigens, die ich in meiner Quest auch schon eine Weile nutze. (Etwas sammeln. Sich sammeln… Nuancen!)
Im „Project Space“ des SPLITTERWERK gab es bisher zwei Stationen, die erste mit Arbeiten von Fotograf Paul Ott, die zweite mit Beiträgen von Architekt Sir Peter Cook, woraus sich eine Situation ergab, die in eine dritte Station kippte. Ich werde daher nun die vierte Station prägen, wobei dann Text und Sprache vorrangig sind. Der Arbeitstitel dieser Station lautet „Ikarus auf Asphalt. Das Rasen. Ein Text.“ Den ersten Satz für diesen Abend habe ich schon festgelegt: „Der Himmel verspricht uns bloß Seligkeit, die Hölle dagegen das Feuer.“
Das hat natürlich seine Schnittstellen zu den anderen Themenbereichen, die wir derzeit in unterschiedlichen Situationen und Kombinationen bearbeiten. Wo sich all das berührt, ist von einem geistigen Leben die Rede, welches nach zweierlei verlangt: 1) inspirierte Menschen, die ihre Wißbegier lebendig halten, 2) Kontinuität. Es ist gerade dieser Zusammenhang, der dann auch -- gestützt auf die aktuelle Mediensituation, unsere Info-Sphäre -- das alte Denkmuster „Zentrum/Provinz“ umbricht, aufhebt.
Anmerkung: Das Projekt „Die Quest“ ist von einer Zusammenarbeit zwischen dem Kultur.at: Verein für Medienkultur und dem Labor Kunst Ost getragen, um von da aus in andere Kooperationen zu verzweigen. Das hat zwei textbezogene Hintergründe im Austria-Forum: