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Wissens- und Kulturarbeit, Teil 1#

Hintergründe des oststeirischen Projektes Dorf 4.0#

von Martin Krusche

Ich bin nun im Kulturbereich seit einigen Jahren mit einer Kooperation befaßt, die ihre Besonderheit darin hat, daß drei Bürgermeister in drei Dörfern sich darauf einlassen, längerfristig ein prozeßhaftes Geschehen mitzutragen, das inzwischen einen Themenbogen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst ausleuchtet. Das ereignet sich in einer Ära, wo Events, Wow-Effekte, wo große Gesten alles übertönen, was leiser und konsequenter nach Bestand sucht. Es ist eine ungewöhnliche Situation, deren Vorgeschichte ich hier in mehreren Schritten etwas herausarbeiten möchte.

Beim 2017er Kunstsymposion auf Schloß Freiberg. (Foto: Martin Krusche)
Beim 2017er Kunstsymposion auf Schloß Freiberg. (Foto: Martin Krusche)

Damit ist ein Aspekt des Langzeitprojektes „The Long Distance Howl“ berührt, welches 2003 begonnen wurde und auf 20 Jahre angelegt ist. Die Wurzeln all dessen liegen in den Siebzigern. Im Jahr 1979 publizierte der deutsche Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann seine Streitschrift „Kultur für alle“ (Perspektiven und Modelle). Schon 1971 war die „Pädagogik der Unterdrückten“ des Brasilianers Paulo Freire erschienen. Im Jahr 1985 hat der Österreicher Hans Haid die Arge Region Kultur gegründet, mit der ich ab 1988 näher zu tun hatte. Haid ist bis heute ein einflußreicher Denker, der seine Überlegungen zum Kulturgeschehen stets auch in der Praxis erprobt hat.

Eine 1978er Kunstveranstaltung auf Schloß Freiberg. (Foto: Archiv Martin Krusche)
Eine 1978er Kunstveranstaltung auf Schloß Freiberg. (Foto: Archiv Martin Krusche)

Das sind ein paar Referenzpunkte, die zu einer Orientierung in der Zeit nützlich sein mögen. Wer, wie ich, in den 1950ern geboren wurde, konnte sich in den 1970ern an einem weltumspannenden Diskurs über Fragen des Kulturbetriebs orientieren. Das führte zu kontrastreichen Praxisformen, die Anfang der 1980er nicht mehr bloß in den Zentren konzentriert blieben.

Davor ist übrigens in den 1950ern im Haus von Maler Hannes Schwarz in Weiz das Forum Stadtpark konstituiert worden. Dabei waren vor allem 1920er Jahrgänge im Spiel, wie Schwarz selbst, also Menschen, die den Nazi-Faschismus miterlebt hatten. Es gab demnach ein reges geistiges Leben, in dem verhandelt und geklärt werden konnte, wie in einer Demokratie nun Prozesse vorankommen sollen, daß möglichst eine ganze Bevölkerung am öffentlichen sozialen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen möge. Es ereignete sich als ein Fluß der Auseinandersetzung mehrerer Generationen miteinander.

Es hatte, wie angedeutet, eine globale Dimension, wobei ich mich vor allem an starke Denkanstöße aus Lateinamerika erinnere. Diese Anregungen kamen nicht nur durch Bücher, sondern auch durch Reisende und durch Menschen, die aus verschiedenen Praxisformen der Entwicklungshilfe nach Österreich zurückgekommen waren. Aber auch die Junta Griechenlands oder der Bürgerkrieg in Nordirland sorgten für Eindrücke von greifbaren Gefährdungen einer Demokratie. Selbstverständlich hatte in all jenen Jahren der Kalte Krieg ebenfalls eine enorme Wirkung auf uns.

Der Volkskundler Hans Haid. (Foto: Anton-kurt 2008, Public Domain)
Der Volkskundler Hans Haid. (Foto: Anton-kurt 2008, Public Domain)

Diese Entwicklungen, spätestens ab dem Ende der 1980er Jahre durch eine Reihe technologischer Innovationen essentiell verstärkt, eröffneten uns auch abseits der Landeszentren Erfahrungsräume, die über jede Dorfgrenze hinausreichten. Dabei war ein Spektrum offen, das die ganze Breite der Möglichkeiten zwischen privaten Erfahrungen und historisch relevanten Ereignissen zugänglich machte. Diese Situation ergab sich aus einer Mischung von persönlicher Mobilität und Medientechnologien.

Das verknüpfte Provinzorte mit ganz neuen Potentialen. Die eben erwähnten und fast mühelosen Zugänge zu privaten Erfahrungen wie zu historisch relevanten Ereignissen halte ich für entscheidend, wenn man verstehen möchte, wodurch jenes soziokulturelle Phänomen, das Entstehen der Initiativenszene, zwischen den 1970ern und 1990ern seine Kraft erhielt. Das waren dann, um ein Beispiel zu geben, kontrastreiche Momente wie etwa, daß einerseits die Gleisdorferin Sigrun Wolf bei einem Besuch in ihrer Herkunftsstadt vom alltäglichen Leben und von den Verhältnissen in Neapel erzählte, was für unsere Maßstäbe die Färbung von Abenteuergeschichten hatte.

Andrerseits konnte ich aus einigen Gesprächen mit Osvaldo Puccio Huidobro, dem damaligen Botschafter Chiles in Wien, eine Situation herbeiführen, in der er (am 11. Juni 1999) nach Gleisdorf kam, um mit uns in einer Veranstaltung Fragen nach Identität und Nationalität zu debattieren. Puccio ist der Sohn von Luis Osvaldo Puccio Giesen, einem vormaligen Privatsekretär des Präsidenten Salvador Allende. Beide, Vater und Sohn Puccio, befanden sich 1973 in der Moneda, als Pinochet mit seinem Militärputsch durchschlug, was für die Männer entsprechend bittere Konsequenzen hatte.

Einladung zur Dialogveranstaltung. (Foto: Archiv Martin Krusche)
Einladung zur Dialogveranstaltung. (Foto: Archiv Martin Krusche)
Osvaldo Puccio Huidobro. (Foto: Foto: Gobierno de Chile 2006, Public Domain)
Osvaldo Puccio Huidobro. (Foto: Foto: Gobierno de Chile 2006, Public Domain)

Um es ausdrücklich zu betonen, die Besonderheit jener Jahre lag unter anderem in der wunderbaren Möglichkeit, die Denkanstöße für neue Entwicklungen nicht bloß aus Büchern zu beziehen, sondern auch von Menschen zu erhalten, die Akteurinnen und Akteure mancher wichtiger Ereignisse gewesen waren.

Was man im Rückblick als freie, wahlweise autonome Initiativenszene beschreiben kann, hatte sich Ende der 1970er herauskristallisiert, war Mitte der 1980er quer durchs Land sehr lebhaft geworden. Das bedeutet vor allem, kulturelle Angebote und Kunstvermittlungen ging nicht mehr bloß von Institutionen aus. Kunstbegeisterte Privatpersonen hatten sich zunehmend hervorgetan. Teils setzten einzelne Menschen neue kulturelle Impulse in einem Ort, teils formierten sich Gruppen, Vereine. Schließlich entstanden auch mehr oder weniger haltbare Kooperationen mit den Kommunen, die Wirkung entfalteten.

Man kann es in einigen Publikationen nachlesen. Ab den Jahren 1985/86 gab es im Bezirk Weiz eine zunehmende Dichte von Kulturveranstaltungen, die der Gegenwartskunst gewidmet waren. Dabei erschienen Literatur, Malerei und Jazz besonders exponiert. Das erklärt sich vor allem damit, daß Menschen aus der Region eigene Vorlieben in ihrem kulturellen Engagement zum klingen brachten.

In Folge 9 der „Zeitschrift Gleisdorf“ notierte Historiker Siegbert Rosenberger auf Seite 393 zum Jahr 1986 ein Detail, das man leicht übersehen und unterschätzen kann. Eine Bürgerversammlung debattierte im März 86 die Einführung eines Kulturbeirats, der sich einerseits aus Privatpersonen, andrerseits aus je einem Mitglied der Fraktionen im Gemeinderat zusammensetzen möge. Dieser Kulturbeirat konstituierte sich am 24. April 1986.

Die Notiz von Siegbert Rosenberger zur Gründung des Kulturbeirates.
Die Notiz von Siegbert Rosenberger zur Gründung des Kulturbeirates.

Der Kulturbeirat war etliche Jahre aktiv, drückte aus, was der Begriff Politik eigentlich meint. Er leitet sich von zwei Kategorien her, der Polis (Gemeinwesen) und dem Politikós (Staatsmann). Erst im Wechselspiel von Gemeinwesen und Staatskunst entsteht Politik. Heute haben wir dabei das Zusammenwirken der drei Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft im Blick. Der Staat tritt durch Politik und Verwaltung auf. Geschäftsleute, Unternehmerinnen und Unternehmer, sind dabei aktiv, Privatpersonen und Vereine ebenso.

Im günstigsten Fall tun sich Politik und Verwaltung nicht selbst als primäre Kräfte des Kulturgeschehens hervor, sondern begleiten und verstärken das Engagement der Zivilgesellschaft. Wo das Wünschen noch etwas wiegt, werden sich inspirierte Menschen aus allen drei Sektoren über Inhalte, Aufgaben und Vorhaben verständigen, werden darüber Debatten führen, sich ab und zu gemeinsame Aufgaben wählen und bei deren Erledigung zusammenarbeiten.

In solchen Zusammenhänge wurde die Zeit vom Ende der 1980er zum Ende der 1990er eine spezielle Ära, in dem Österreich kulturell neue Strukturen erhielt, deren Grundlangen im Jahrzehnt davor entwickelt und erprobt worden waren. Dabei wurde die „Meko 99“ zu einer speziellen Markierung. Die Linzer Medienkonferenz von 1999 machte deutlich, daß mit der Verbreitung von Internetzugängen und dem Fall des österreichischen Rundfunkmonopols die kulturellen und politischen Karten neu gemischt wurden.