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unbekannter Gast

Notiz 004: Prometheus 3.0#

(Über den Zweiten Kentaurischen Pakt)#

von Martin Krusche

Die vorige Notiz begann mit den Worten „Ich bin Jahrgang 1956, gehöre also zu jener Generation, in der sich schon Youngsters eigene Autos leisten konnten, weil genug billige Gebrauchtwagen herumstanden. Das hatte es davor noch nie gegeben.“ Diese Passage wäre zu ergänzen mit: Ich bin ein Kind des Kalten Krieges.

Nach ersten Vorgesprächen werden nun einige Punkte greifbarer. (Foto: Martin Krusche)
Nach ersten Vorgesprächen werden nun einige Punkte greifbarer. (Foto: Martin Krusche)

Das heißt, ich wuchs mit einer bipolaren Weltsicht auf, in der die Begriffe Ost und West ideologisch massiv belegt waren. Solche zweiwertigen Deutungskonzepte kamen auch in unserer Vorstellung von Kultur zum Tragen: E und U. Ernstes und Unterhaltung.

Durch meine Kindertage geisterte auch noch ein Zwischenwesen, die „Leichte Muse“. Darin spiegelte sich der Effekt, daß subalterne Schichten in manchen Dingen an den höhergestellten Kreisen Maß nahmen, sich an ihnen orientieren.

Ist Ihnen der Begriff Ernste Musik noch vertraut? Das U der Unterhaltung hatte dann übrigens eine inferiore Unterkategorie: Schmutz und Schund. Damit zeigt sich die nächste Zuschreibung von Belang: Ich bin ein Kind der Popkultur.

Das ist jenes soziokulturelle Phänomen, von dem die Bündelung „E und U“ aufgebrochen wurde, um in die Tonne getreten zu werden. Solche Betrachtungen müssen nun nicht überwertet werden. Aber ich habe vor Jahren begonnen, mich den Zusammenhängen von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst zu widmen. Dafür ist solche Reflexion nützlich.

Das betrifft übrigens auch meinen unerwarteten Gast, den ich vorerst nicht namentlich nenne. Wir haben kürzlich nur vage erwogen, uns einer elektrischen Angelegenheit zu widmen. Dem folgte nun ein ausführlicheres Arbeitsgespräch zur Elektrifizierung eines speziellen Artefakts.

In diesem Zusammenhang spielt meine Facebook-Notiz „glaubensfragen“ eine Rolle. Darin heißt es an einer Stelle: „klar scheint mir bloß: pure elektro-autos, wie ich sie derzeit fahren kann, sind mehr eine pr-maßnahme als eine zukünftige basis massenhaft individueller mobilität. eine art platzhalter des themas.“ (Quelle)

Diese Ansicht gründet auf der Tatsache, daß ich laufend mit Profis aus der Automotive-Branche spreche, unter denen niemand ist, der den Vollelektriker für die Zukunftslösung hält, während dem Verbrenner noch ein längeres Leben beschieden sein soll.

In einer weiteren Notiz – „so ein wochenende“ – war dann vom Besuch des unerwarteten Gastes zu erzählen und von unserer Debatte einzelner Aspekte des Themas. Dabei legte mein Gast seine Ansicht dar, daß die uns vertrauten Kraftfahrzeuge von vollelektrischen Varianten abgelöst werden würden, ganz egal, welche Verkehrskonzepte sich für unsere individuelle Mobilität auf Massenbasis durchsetzen werden: „die wirtschaft, so mein gast, setze nicht auf das klügste, sondern auf das profitabelste. also würde es vermutlich richtung vollelektrischer fahrzeuge gehen. da hätte man dann wieder was zu verkaufen, das gewinne verspricht.“ (Quelle)

Der Zweite kentaurische Pakt wurde womöglich schon formuliert. (Foto: Martin Krusche)
Der Zweite kentaurische Pakt wurde womöglich schon formuliert. (Foto: Martin Krusche)

Ich halte das für einen guten Ausgangspunkt, um die gemeinsame Arbeit voranzubringen: zwei einander widersprechende Ansichten. Ein weiterer Punkt liegt in der Vorstellung, wir hätten bald elektrische Fahrzeuge zur Verfügung, deren Batterien eine Energiedichte haben, die für rund 400 Kilometer Reichweite gut ist und sich in 30 bis 60 Minuten auf wenigstens 80 Prozent laden lassen.

Es gilt als geklärt, daß Lithium-Ionen-Batterien inzwischen Old School sind und den Anforderungen der nahen Zukunft nicht genügen. Daher soll Graphit (für die negative Elektrode = Anode) durch das Halbmetall Silizium ersetzt werden.

Aus welchem Rohstoff läßt sich reines Silizium gewinnen? Aus Quarzsand. Was wir bisher von Lithium-Ionen-Akkus kennen, gibt einer durchschnittlichen Elektrokarre eher begrenzte Reichweite. Siehe zu meinen diesbezüglichen Erfahrungen: E-Caring: Der Auftakt (Zügige Bürokratie, zaghafter Zugang)

Silizium-Akkus, so lese ich, haben das Potential, jetzige Packungen in der Kapazität um 300 bis 500 Prozent zu übersteigen. Elektroautos mit Reichweiten von über 1000 Kilometern sollten dann kein Problem sein.

Solche Momente sind nicht neu. Als Carl Ritter von Ghega die Trasse der Semmeringbahn plante, kamen darin Steigungen vor, für die es erst einmal keine Lokomotiven gab, mit denen die Strecke zu bewältigen gewesen wären. Der Techniker ging aber von der erwartbaren Entwicklung aus und rechnete mit einem entsprechenden Innovationsschub im Lokomotivenbau. So ist es gekommen.

Was nun den Komplex Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst angeht, haben wir in den letzten Jahren einiges erarbeitet, worauf sich aktuelle Vorhaben stützen. Was die Volkskultur in einem allgemein geläufigen Sinn angeht, ist derzeit das Projekt Wegmarken (Ein kulturelles Zeichensystem) startklar. Zum Thema siehe auch: Volkskultur (Beiträge zu einer notwendigen Debatte. Eine kleine Übersicht)

Sie befinden sich hier im Bereich Mythos Puch VII, was das Teilthema Volkskultur in der technischen Welt betrifft, wie ich es im Sinn des gleichnamigen Werkes von Ethnologe Hermann Bausinger verstehe. Was die Gegenwartskunst angeht, ist derzeit Tesserakt (Ein Projekt des Konsortium 18) maßgeblich. Mit der Arbeitsebene Am Fluß (Eine Erkundung) werden diese Bereiche verknüpft, was die Aspekte der Popkultur einschließt.

Bild 'mythos004d'
Bild 'mythos004c'
Bild 'mythos004e'

Nun sei verraten, daß wir in diesem neuen Abschnitt von Mythos Puch auch erwogen haben, ein Artefakt zu bauen, das sich real fahren läßt. Ein möglicher Dimensionssprung. Ein früheres Projekt, das in Kooperation mit Ewald Ulrich (Ana-u) und seinem Team entstand, drehte sich um ein autonomes Elektrofahrzeug mit Omni-Wheels. Siehe dazu: Fiat Lux reloaded (Ein Artefakt, der nächste Abschnitt). Dieses Vehikel war ausreichend groß, um seine Inhalte zu tragen, nicht aber eine Person.

Nun setzen wir zu dieser weiteren Entwicklung an, in der ich etwas sehe, was sich als „Zweiter Kentaurischer Pakt“ deuten ließe. Was wir bisher als Kentaurischen Pakt angesehen haben, handelt von rund fünftausend Jahren, in denen das Pferd die wichtigste Tempomaschine des Menschen war. Der „Hafermotor“ ist mit seinen Zugkraft bis zum Zweiten Weltkrieg unverzichtbar gewesen.

Momente, Motive, Markierungen. (Foto: Martin Krusche)
Momente, Motive, Markierungen. (Foto: Martin Krusche)

Heute betrachten wir Pferde anders und bestaunen mitunter, was erlebbar wird, wenn sich ein Mensch diesem Tier anvertraut. Es ist nicht bloß immer noch eine Basis außergewöhnlicher Mobilität, es erlaubt auch eine raffinierte Beziehung.

In meinem Essay Vom Steirerwagerl zum Puch G (Fahren, fahren, fahren in steirischer Prägung) kommt jenes imposante Gemälde vor, das den Ulanen-Oberst Rodakowski während einer Reiterattacke in der Schlacht bei Custozza zeigt. Das ist eine spektakuläre Variante des Kentraurischen Paktes, die sich durch die umfassende Mechanisierung des Krieges ab 1914 erledigt hat.

Die klassische Reiterattacke. (Foto: Martin Krusche)
Die klassische Reiterattacke. (Foto: Martin Krusche)

Ob dermaßen kriegerisch angelegt, ob praktisch umgesetzt oder in einer liebevollen Beziehung zu diesen Tieren eingelöst, der Mensch vertraut sich dabei einem klugen und sensiblen Tier an.

Von diesem Bild gehe ich aus, wenn ich nun einen Zweiten Kentaurischen Pakt für möglich halte, in dem sich der Mensch in seinem Wunsch nach individueller Mobilität einer „klugen” elektrischen Maschine anvertraut. (Der Bruch ist eklatant.)

Ich bin sehr zurückhaltend, was den populären Begriff „Künstliche Intelligenz” angeht, weil mir scheint, damit sei an eine Maschinenversion menschlicher Intelligenz gedacht. Das ist eine ganz unscharfe Terminologie, die mir wenig nützt. Aber es mag sein, daß sich das Kürzel KI für die „weichen“ Kompetenzen von Maschinen etablieren wird.

Ich rede also lieber von Maschinenintelligenz, die ja vorerst nur das betrifft, was Maschinen beitragen, um Menschenprobleme zu lösen. Zur Erinnerung, in den frühen Tagen der Mikrocomputer, also jener Geräte, die wir heute PC nennen, waren noch drei Kategorien im Gespräch: Hardware, Software, Wetware. Also Geräte, Programme, und das „Nasse Zeug“ meinte den Menschen.

Wir erleben ja inzwischen, daß sich Maschinen auch sehr gut mit sich selbst befassen können, um ihre Möglichkeiten zu entwickeln. Da ist also etwas über den Horizont heraufgekommen, mit dem wir uns beschäftigen sollten.

Mary Shelley nannte ihren später überaus populär gewordenen Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“. Wir haben nun gewissermaßen Prometheus 3.0 auf dem Set. Der ist nicht von Fleisch und Blut.