Armenbibel#
Eine Armenbibel (Biblia pauperum) ist nicht, wie Gelehrte seit dem 18. Jahrhundert fälschlich behaupteten, ein Bilderbibel für Analphabeten. Vielmehr handelte es sich im Mittelalter um einen bilderlosen Auszug aus der Heiligen Schrift, der für Bettelmönche und arme Kleriker gedacht war. … Vom Inhalt her handelt es sich um einen didaktisch-erbaulichen Text, dessen Verständnis aufgrund der Kürze und des sehr komplexen Aufbaus eine theologische Vorbildung erfordert, schreibt Karl Forstner, der Herausgeber der jüngsten Faksimile-Ausgabe der Salzburger Armenbibel. Lesen im strengen Sinn kann man sie nicht, weil sie keinen kontinuierlichen Text bietet. Es handelt sich nur um erläuternde Texte, die erst im Zusammenhang mit den Bildern und Schriftbändern zu einer Aussage verschmelzen. Das Konzept ist, eine Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament herzustellen. Ausgewählte Begebenheiten aus dem Ersten Testament sollen als Vorbild (Typus) auf Christus (Antitypus) hinweisen, der das Vorbild bei weitem übertrifft. Dieses Denken in Analogien war seit der Spätantike in der Literatur und Kunst bekannt. Ein herausragendes Beispiel ist der Verduner Altar im Stift Klosterneuburg. Das Emaille-Kunstwerk wurde im Jahr 1181 geweiht. Nach der Erfindung des Buchdrucks um 1450 zählten die Armenbibeln - nun mit Holzschnitten illustriert - bis in das erste Viertel des 16. Jahrhunderts "sogar zu den Bestsellern dieser Druckgattung."
Die "Salzburger Armenbibel" aus dem Benediktinerstift St. Peter dürfte um 1370 entstanden sein. Die auf Pergamentblättern angefertigte Handschrift umfasst 36 Bildgruppen. Jede setzt sich aus zwei mal drei Feldern zusammen. Das Hauptbild (Antitypus) steht in der Mitte der unteren Reihe, flankiert von den alttestamentlichen Vorbildern. Darüber befinden sich links und rechts Überschriften (Titulus) in roter Farbe und schwarz geschriebene, erklärende Texte, das Mittelstück bilden Propheten mit Spruchbändern, die das Hauptbild betonen. Die Bilder sind kolorierte Federzeichnungen, wobei der Maler bemüht war, das Geschehen durch Mimik und Gestik zu verdeutlichen. Jede Seite enthält zwei Bildgruppen. Texte und Darstellungen sind nach einem strengen Schema harmonisch aufgeteilt. Durch die Anordnung in thematischen Vierergruppen konnten einige geläufige Szenen aus dem Leben Jesu nicht in die Chronologie aufgenommen werden, wogegen weniger bekannte (wie die apokryphe Überlieferung …) hinzugekommen sind, um Vierergruppen zu vervollständigen. Das Leben Jesu bildet den roten Faden der Szenen: Verkündigung, Geburt Christi, Anbetung der Weisen, Reinigung, Flucht nach Ägypten, Sturz der Götzen, Bethlehemscher Kindermord, Rückkehr aus Ägypten, Taufe Christi, Versuchung Christi, Verklärung Christi, Gastmahl Simeons, Auferweckung des Lazarus, Einzug in Jerusalem, Vertreibung der Händler, Abendmahl, Verschwörung, Judas verkauft Christus, Judaskuss, Christus von Pilatus, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung, Seitenwunde, Grablegung, Aufbrechen der Hölle, Auferstehung, Besuch des Grabes, Christus als Gärtner, Christus erscheint den Jüngern, ungläubiger Thomas, Himmelfahrt Christi, Pfingstwunder, Krönung Marias, Weltbrand, Jüngstes Gericht.
Im Frühjahr 2020 ist im Verlag Anton Pustet eine neue Faksimile-Ausgabe der Salzburger Armenbibel erschienen. Sie enthält auch eine aktualisierte Einführung von Dr. Karl Forstner, dem langjährigen Leiter der Salzburger Universitätsbibliothek, seine akribische Übertragung und Übersetzung des lateinischen Textes.
Quelle:
Sbg. Armenbibel