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Karl Forstner(Hg.): Die Salzburger Armenbibel Codex a IX 12#

Bild 'Armenbibel'

Karl Forstner (Hg.): Die Salzburger Armenbibel Codex a IX 12. Verlag Anton Pustet Salzburg. 80 S., Faksimiledrucke, € 49,-

Von Faksimiledrucken mittelalterlicher Bilderhandschriften geht ein besonderer Reiz aus. Beim vorliegenden Werk beginnt dies schon beim Umschlag, auf dem sich die Spuren auf dem Original haptisch erfahren lassen. Die "Salzburger Armenbibel", aus dem Benediktinerstift St. Peter wurde vermutlich im 15. Jahrhundert in Salzburg gebunden. Die Holzdeckel sind mit rotem Leder überzogen und weisen einen schlichten Schmuck auf, von den Metallteilen sind nur noch ihre Spuren vorhanden. Der Faksimile-Wiedergabe des Codex a IX 12 folgen die aktualisierte Einführung von Dr. Karl Forstner, dem langjährigen Leiter der Salzburger Universitätsbibliothek, seine akribische Übertragung und Übersetzung des lateinischen Textes. Die neu bearbeitete und gestaltete Ausgabe des Werkes erfolgte unter Mitarbeit von Mag. Sonja Führer, Leiterin der Stiftsbibliothek in der Erzabtei St. Peter.

Eine Armenbibel (Biblia pauperum) ist nicht, wie Gelehrte seit dem 18. Jahrhundert fälschlich behaupteten, ein Bilderbibel für Analphabeten. Vielmehr handelte es sich im Mittelalter um einen bilderlosen Auszug aus der Heiligen Schrift, der für Bettelmönche und arme Kleriker gedacht war. … Vom Inhalt her handelt es sich um einen didaktisch-erbaulichen Text, dessen Verständnis aufgrund der Kürze und des sehr komplexen Aufbaus eine theologische Vorbildung erfordert, schreibt der Herausgeber. Lesen im strengen Sinn kann man sie nicht, weil sie keinen kontinuierlichen Text bietet. Es handelt sich nur um erläuternde Texte, die erst im Zusammenhang mit den Bildern und Schriftbändern zu einer Aussage verschmelzen. Das Konzept ist, eine Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament herzustellen. Ausgewählte Begebenheiten aus dem Ersten Testament sollen als Vorbild (Typus) auf Christus (Antitypus) hinweisen, der das Vorbild bei weitem übertrifft. Dieses Denken in Analogien war seit der Spätantike in der Literatur und Kunst bekannt. Ein herausragendes Beispiel ist der Verduner Altar im Stift Klosterneuburg. Das Emaille-Kunstwerk wurde im Jahr 1181 geweiht. Nach der Erfindung des Buchdrucks um 1450 zählten die Armenbibeln - nun mit Holzschnitten illustriert - bis in das erste Viertel des 16. Jahrhunderts "sogar zu den Bestsellern dieser Druckgattung."

Die Salzburger Handschrift umfasst 36 Bildgruppen. Jede setzt sich aus zwei mal drei Feldern zusammen. Das Hauptbild (Antitypus) steht in der Mitte der unteren Reihe, flankiert von den alttestamentlichen Vorbildern. Darüber befinden sich links und rechts Überschriften (Titulus) in roter Farbe und schwarz geschriebene, erklärende Texte, das Mittelstück bilden Propheten mit Spruchbändern, die das Hauptbild betonen. Die Bilder sind kolorierte Federzeichnungen, wobei der Maler bemüht war, das Geschehen durch Mimik und Gestik zu verdeutlichen. Jede Seite enthält zwei Bildgruppen. Texte und Darstellungen sind nach einem strengen Schema harmonisch aufgeteilt. Durch die Anordnung in thematischen Vierergruppen konnten einige geläufige Szenen aus dem Leben Jesu nicht in die Chronologie aufgenommen werden, wogegen weniger bekannte (wie die apokryphe Überlieferung …) hinzugekommen sind, um Vierergruppen zu vervollständigen. Das Leben Jesu bildet den roten Faden der Szenen. Jedoch wurde die Zahl der Bildgruppen im Laufe der Zeit von 34 bis auf 50 erweitert und der Text gewann an Bedeutung.

Der Salzburger Codex zählt zur "Kremsmünsterer Gruppe", zu der ähnliche Exemplare in Wolfenbüttel und Kremsmünster mit jeweils 36 Bildgruppen gehören. Das älteste dürfte die Wolfenbütteler Handschrift (wahrscheinlich aus dem 4. bis 5. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts) sein. Bei den beiden anderen erkannten Kunsthistoriker "moderne" italienische Stilelemente, die sie auch bei den Fresken in der Vorhalle des Gurker Doms fanden. Aufgrund der Vergleiche datieren Experten die Kremsmünsterer Armenbibel zwischen 1360 und 1370, die Salzburger wenige Jahre später. Sie besteht aus Pergamentblättern in der Größe von ca. 30,5 mal 22,8 cm und enthält die folgenden Themen: Verkündigung, Geburt Christi, Anbetung der Weisen, Reinigung, Flucht nach Ägypten, Sturz der Götzen, Bethlehemscher Kindermord, Rückkehr aus Ägypten, Taufe Christi, Versuchung Christi, Verklärung Christi, Gastmahl Simeons, Auferweckung des Lazarus, Einzug in Jerusalem, Vertreibung der Händler, Abendmahl, Verschwörung, Judas verkauft Christus, Judaskuss, Christus von Pilatus, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung, Seitenwunde, Grablegung, Aufbrechen der Hölle, Auferstehung, Besuch des Grabes, Christus als Gärtner, Christus erscheint den Jüngern, ungläubiger Thomas, Himmelfahrt Christi, Pfingstwunder, Krönung Marias, Weltbrand, Jüngstes Gericht.

Ohne die fundierte Einführung, Übertragung und Übersetzung von Karl Forstner wäre es heutigen Lesern kaum möglich, die Theologie des Mittelalters nachzuvollziehen. So aber ermöglicht die bibliophile Sonderausgabe einen Einblick in die Gedankenwelt vor fast sieben Jahrhunderten.

hmw


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