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Helga Maria Wolf

Crossover#

Beim Wiener Wiesn-Fest, Foto: Doris Wolf
Beim Wiener Wiesn-Fest, Foto: Doris Wolf

In vielen Lebensbereichen sieht man sich Trends und Gegentrends gegenüber, der Megatrend scheint Crossover (Überschneidung, Verschmelzung) zu heißen. Es gibt Crossover-Fahrzeuge, -Bands, -Küche, -Software, -Einrichtungsstile und viele Beispiele aus der Volks-, Volx-, Weltmusik, "Trachten" oder Bräuche.

Ab Mitte der 1980er Jahre kam es zur wechselseitigen Beeinflussung von Volksmusik, Austropop, Rockmusik etc. und zur Entwicklung der Weltmusik mit verschiedensten Elementen. (Neue Volksmusik, Volxmusik). Der steirische Volks Rock'n'Roller und Hitparadenstürmer Andreas Gabalier (* 1984) ist ein Musterbeispiel für Crossover, in der Musik wie in der Kleidung. Modisch gestylt tritt er mit seiner Harmonika in der Lederhose auf und eilt von Erfolg zu Erfolg. Hingegen erregte die LaBrassBanda, die 2014 zum 124. Gautrachtenfest in Ruhpolding eingeladen wurde, beim Ehrenvorsitzenden des Bayerischen Trachtenverbandes Unmut wegen "Traditionsbruchs". Die klassisch ausgebildeten Mitglieder der Band treten in Lederhosen und barfuss auf. Sie bezeichnen ihre Neue Volksmusik ironisch als Bayerischen Gypsy Brass, Funk Brass oder Alpen Jazz Techno.

Oft scheint es, als wäre Althergebrachtes verschwunden. Doch manches taucht völlig unerwartet aus dem Untergrund wieder auf und erreicht sogar einen Medienhype. Ein aktuelles Beispiel sind "Trachten", oder Mode, die sich so nennt. Tracht kommt von Tragen, und bedeutete jede Art von Kleidung, nichts Besonderes. Der Volkskundler Franz Lipp stellte fest, dass "zwischen 1780 und 1830 die … Regional- manchmal auch Lokaltrachten sich erst richtig entwickelten und formierten." Es war die Zeit, in der die Reiseschriftsteller ausschwärmten, um Land und Leute kennen zu lernen (z.B. Friedrich Anton Reil 1835) und die Biedermeiermaler (z.B. Ferdinand Georg Waldmüller, 1793-1865) Feste und Alltag naturalistisch darstellten. Idealistisch und ideologisch suchten die Bürger - wie bei den Bräuchen - das vermeintlich Reine, Alte, Unverdorbene, Ursprüngliche auf dem Lande. Es war aber auch schon die Zeit industriell erzeugter Textilien. Anders als bei den - manchmal todernst gemeinten - pflegerischen Bemühungen der Vergangenheit ist der heutige Umgang mit dem "Gwand" spielerisch und lustbetont. Die Grazer Modedesignerin Lena Hoschek (*1981) stellt Pin-up-Girls und Dirndl in den Mittelpunkt ihrer Kollektion mit dem "eigenständigen Trachtenlabel Tradition". Daneben gibt es viele österreichische Gemeinden, die sich - von Fachleuten beraten - um eine eigenständige "authentische" Tracht bemühen.

Auch Supermärkte und Trachtenoutlets bieten Dirndln und Lederhosen an. Man trägt sie mit viel Spaß bei einschlägigen Events, wie dem Wiener Wiesn-Fest. 2015 kamen 300.000 Besucher (12 % Touristen) auf die Kaiserwiese beim Riesenrad im Prater, davon nach VEranstalterangaben "95 % in Dirndl & Lederhose". Der Event, der sich als "Österreichs größtes Brauchtums- und Volksmusikfest" bezeichnet, bietet laut Homepage "Gepflegtes Brauchtum, zeitlose Tradition und eine angeborene Geselligkeit. Gelebt von fröhlichen Menschen mit einer kunterbunten Dialektvielfalt. … Heimat eben. ... Ohne Kitsch, dafür sehr ehrlich." Das Fest ist ein Paradebeispiel für Crossover, weil es für jeden etwas bietet, Traditionelles ebenso wie Partystimmung und viele Innovationen mit bekannten Elementen. Die Geschäftsführerin Claudia Wiesner nannte in einem Interview als Grundidee, "Brauchtum zu pflegen und das Land in die Stadt zu holen. In einer immer schnelllebig werdenden Welt sehen wir eine Sehnsucht nach Beständigkeit, die oft in den traditionellen Werten bzw. in den Wurzeln gefunden wird. … Es ist schön, seine Wurzeln zu kennen oder zu erkunden, Bräuche zu pflegen und trotzdem mit modernen Einflüssen in Einklang zu bringen. " Das Fest dauerte 18 Tage und umfasste drei Festzelte und vier "Almen". 1900 Musiker/innen sorgten bei 400 Stunden Live-Musik für Stimmung. Das Fest erwirtschaftete eine Umweg-Rentabilität von 20 Mio. Euro, aufgrund der "Trachten" rund 6 Mio. für die Bekleidungsindustrie.

Bräuche werden veränderten Gegebenheiten angepasst, einzelne Elemente verschwinden, verbinden sich mit anderen, es entsteht etwas Neues. Bräuche sind flexibel und hybrid. Die Europäische Ethnologie sieht kulturelle Erscheinungen als Prozesse, die "ausgehandelt" werden. In einem aktuellen Fachbuch, "Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaften", betont der deutsche Ethnologe Dieter Kramer die "gern übersehene Spaßkomponente" bei Bräuchen von Jugendlichen. Sie spielt bei Crossover-Bräuchen wie den "Krampusperchten" eine Rolle. Die meisten dieser Gruppen entstanden Ende des 20. Jahrhunderts, in ihren Homepages berufen sie sich aber gerne auf die "Tradition". Etliche Gruppen treten mit ihren professionellen Shows in Wiener Einkaufsstraßen auf. Oft stecken Mitglieder von Sportvereinen hinter den schweren Holzmasken. Traditionellen Vorbildern nachempfunden, sind diese viel schauriger als die alten Larven.

Je globalisierter die Lebenswelt wird, umso mehr besinnt man sich auf regionale Eigenheiten. Für die Verschränkung von Globalität und Lokalität wurde der Begriff Glokalisierung geprägt. Der Markt reagiert darauf mit Ethnomarketing.

Besondere Bedeutung beim Crossover kommt den neuen Medien zu. Der kanadische Medientheoretiker Marshall Mc Luhan (1911-1980) hat schon 1962 den Begriff Global Village geprägt. Er bezieht sich auf die moderne Welt, die durch elektronische Vernetzungen zu einem "Dorf" zusammenwächst.

Erschienen in "Granatapfel"


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