Helga Maria Wolf
Schenken & Heischen#
Wer an Weihnachten denkt, denkt an Geschenke. Im Einzelhandel macht der Anteil des Weihnachtsgeschäfts - jener Umsatz, der das Normalmaß von Jänner bis November übersteigt - drei Prozent des Jahresumsatzes aus. Wenn sich auch Weihnachten als besinnliches Familienfest mit dem Christkind und seinem Baum erst im Biedermeier entwickelt hat, wurden doch schon Jahrhunderte früher zu diesem Termin Gaben überreicht. Im 13. Jahrhundert brachten die Wiener ihrem Herzog Schmuckstücke, Rinder, Brot und anderes zu Weihnachten. Im 14. Jahrhundert ließ die Stadt Wien dem Landesfürsten, seiner Frau und Beamten Geschenke übergeben. 1418 bestanden die "Weihnachtskleinodien", damals Pflichtabgaben, aus vergoldeten Silberbechern. 1504 erhielt der österreichische Kanzler eine größere Geldsumme.
Den Kindern brachte der Nikolaus einige bescheidene Geschenke. Anfang des 19. Jahrhunderts bestanden Nikolausbäumchen und Christbaum nebeneinander. 1814 wurde das erste „Christbaumfest nach Berliner Sitte“ in Wien aktenkundig. Der geschmückte Baum befand sich in der Familie des Bankiers Nathan Adam Arnstein und seiner aus Berlin stammenden Frau Franziska. Fanny Arnsteins großbürgerlich-liberaler Salon bildete einen Mittelpunkt des Kultur-und Gesellschaftslebens. Ein Geheimpolizist, der sich unter den Gästen befand, berichtete am 26. Dezember 1814 über den „brennenden Weihnachtsbaum“: „Bei Arnsteins war vorgestern nach Berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses. Alle gebetenen, eingeladen Personen erhielten Geschenke oder Souvenirs vom Christbaum.“ Deutsche Bürgerfamilien und Adelige, die zur Kongresszeit nach Wien kamen, zählten zu den Innovatoren des Christbaum- und Christkindbrauchs. Viel zitiert in diesem Zusammenhang ist Prinzession Henriette von Nassau-Weilburg, die Gattin Erzherzog Carls, in deren Wiener Stadtpalais 1816 einer der ersten Christbäume stand. Erzherzog Johann (1782-1859) äußerte sich kritisch zum Schenkbrauch. Nach der Bescherung im Haus seines Bruders vertraute der "Steirische Prinz" 1823 seinem Tagebuch an: „In früherer Zeit, als ich klein war, gab es ein Kripperl, welches beleuchtet war, dabei Zuckerwerk - aber sonst nichts. Nun ist kein Kripperl mehr! Wir sahen einen Grassbaum mit vielem Zuckerwerk und Lichteln und ein ganzes Zimmer voll Spielereien aller Art und wahrlich manches sehr Schönes und vieles, welches in wenigen Wochen zerschlagen, zertreten, verschleppt sein wird und welches gewiß 1000 Gulden gekostet. ... Ich fand mich so einsam und keinen frohen Blick konnte ich mehr machen."
Die Kritik am Schenkfest hat also Tradition, dennoch waren es im 19. Jahrhundert vor allem reiche Adelige und Bürger, die in Waisenhäusern arme Kinder beteilten. Historische Schilderungen solcher Aktionen verhehlen nicht die eigene Befriedigung über das gute Werk, "…denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück," meinte Goethe. Beim Schenken und Heischen herrschte das ungeschriebene Gesetz "do ut des" (lat. Ich gebe, damit du gibst.) Diese Rechtsformel für gegenseitige Verträge und Grundsatz sozialen Verhaltens kommt aus der Antike. Die Römer opferten und huldigten ihren Göttern, weil sie einen Gegendienst erwarteten. Die archaische Denkstruktur findet sich auch bei den Votivgaben christlicher Heiligenverehrung.
Heischebräuche dienten der Verbesserung der Lebensverhältnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen. Doch auch die Armen wollten nicht nur nehmen, sondern etwas darbieten, häufig waren dies Sprüche oder Lieder, mit denen sie Glück- und Segenswünsche verbanden. Zeugnisse des Sternsingens aus dem 16. Jahrhundert berichten von Kindern, die von Haus zu Haus zogen und die gesammelten Gaben ihren Not leidenden Familien heimbrachten. Auch Schüler und Studenten zwang die wirtschaftliche Notlage zu Heischegängen. Bald erhielten sie Konkurrenz durch Handwerksburschen, Tagelöhner und abgedankte Soldaten. Heischebräuche gab es das ganze Jahr über: Neujahrsansingen, Lichtmesssingen, Ratschen, Pfingstkönigs-Umzug, Martinisingen, Anklöckeln, Frisch- und G'sund-Schlagen. Solche Sammelumgänge waren Bräuche rechtlichen Charakters. „Sie bettelten nicht, sie heischten nur", schrieb Johann Wolfgang von Goethe anlässlich der Kaiserkrönung in Frankfurt. Der Lehrbuch-Klassiker „Deutsches Privatrecht" betont, dass das germanische Recht eine Schenkung stets als Schuldvertrag behandelte: Jede Gabe mußte durch eine Gegengabe gelohnt werden. "Geschenke binden Gelenke", sagte ein deutsches Sprichwort. Das "soziale Bindemittel" verursacht nicht nur Verpflichtung und Abhängigkeit, es bestätigt auch Beziehungen. Wie zwischen Kindern und Paten, von denen diese zu Ostern und Allerheiligen "Godenkipferl" erhielten. Kirchlicherseits wurde das Patenamt als geistliche Verwandtschaft definiert, die sogar die Blutsverwandtschaft übertraf. Das aussterbende Wort Angebinde entstand aus dem Brauch, (Geld-) geschenke in ein Tuch einzubinden. Dies war besonders beim Tauftaler üblich, den der Pate dem Täufling als traditionelle Gabe brachte. Der Firmpate spendierte die obligate goldene Uhr.
Geschenke spielen oft beim "Brauch ohne Glaube" eine Rolle, wie der Volkskundler Leopold Schmidt (1964) festgestellt hat. Er spricht vom Valentinstag und Weltkindertag, nennt den Muttertag, "eines der merkwürdigsten Feste der neueren Zeit", schreibt von dessen "sentimentalen Aspekt der glaubenslosen Bürgerwelt" und der "Travestierung durch die Geschäftswelt in Form eines 'Vatertages'." Er formuliert: "Immerhin … sind auch solche 'Tage' in den Bereich des Brauchtums gerückt. Das intellektuelle Streben, diesen Tagen einen moralischen Sinn zu geben, ist dabei besonders bemerkenswert. Fast jedes dieser neuen Feste schöpft seine Begründung aus irgendeiner Falte des schlechten Gewissens."
Für den Valentinstag gibt es viele "Ursprungslegenden" und jedes Jahr erfinden die Floristen neue. In Wahrheit wurde er 1947 von „Fleurop“ in Frankreich und Belgien eingeführt. In Deutschland setzte sich der stark beworbene Muss-Schenktag für Blumen nur langsam durch. Erst 1973 konnte sich das Fachorgan der Blumenbinder über den guten Geschäftsverlauf am „Tag der Freundschaft" freuen.
Noch neueren Datums ist hierzulande Halloween, ein Fest, an dem sich die „Geister scheiden“. Es wird seit langem in den USA mit Kürbis-Dekorationen, Parties und maskierten Heischegängen gefeiert. Durch massenmediale Vermittlung eroberte Halloween vor mehr als einem jahrzehnt auch Österreich. Inzwischen kennt hierzulande jedes Kind den Spruch „Trick or treat”: Wer keine Süßigkeiten schenkt, muss mit Streichen rechnen. Der Unterschied zum alten Heischerecht ist auffällig. Es fehlt die Gegenseitigkeit (Reziprozität). Bei traditionellen Heischegängen herrschte Einverständnis über diese spezielle Art des Bettelns. Die Besuchten gaben, vielleicht unwillig, aber weil es eben so Brauch war und weil sie sich als Reiche dazu verpflichtet sahen. Sie lieferten den Umherziehenden meist keinen Grund zu Missfallenskundgebungen. Halloween hingegen wird nicht als Brauch empfunden, sondern als „Unsitte", weil man nichts dafür bekommt. Dass die Umherziehenden Sachbeschädigungen verüben, wenn man ihrem Wunsch nicht entspricht, ist allerdings nicht so neu, wie man glauben würde. Schon 1673 wurde aus Bayern berichtet, dass "viel unnützes Gesindel" als Sternsinger umgehe und die Untertanen "beschwere". Brot reichte ihnen meist nicht als Gegengabe, sie verlangten Geld, "ansonsten sie gleich mit dem Abbrennen und anderem sehr bedrohlich sind."
Erschienen in der Zeitschrift "Granatapfel", Dezember 2011