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Kontinuität#

Kontinuitaet

Während sich bei Siedlungen oft Jahrhunderte lange Kontinuitäten feststellen lassen, ist dies bei Bräuchen nicht der Fall. Sie kommen nicht unverändert von den Germanen oder - weil diese jetzt nicht mehr "salonfähig" sind - von den Kelten. "Die Postulierung einer jahrtausendealten Kontinuität entsprang im 19. Jahrhundert nicht reiner Fabulierlust, sondern war ideologisch motiviert und entsprach einem Bedürfnis der Zeit. Einerseits erfolgte es parallel zur Entstehung von Nationalstaaten und musste die Identität des Staates begründen helfen. Andererseits spielte die Rückorientierung auf einen 'idealen' Urzustand eine wichtige Rolle in einer durch technischen Fortschritt, Individualisierung und gesellschaftlichen Umbruch verunsicherten bürgerlichen Gesellschaft" , schrieb Paul Hugger (1930-2016), em. Ordinarius für Volkskunde an der Universität Zürich. "Die deutschen Volkskundler hofften, jene Lebensformen und Glaubensinhalte frühgermanischer Kultur erschließen zu können, die keine schriftliche Überlieferung festgehalten hatte. In Frankreich suchten die Folkloristen Analoges zur keltischen Vorzeit. In kühnem Sprung über Jahrhunderte und Jahrtausende nahm man dabei Kontinuitäten an, eine Kette der Überlieferung, zu der die Zwischenglieder allerdings weitgehend fehlten. Das Heidnische, Vorchristliche faszinierte, man vernachlässigte gänzlich den Umstand, daß zwischen jenem angenommenen oder erträumten Urzustand und der Gegenwart eine christliche Kulturphase lag." 

Die Entstehungsursachen von Festen sind meist sehr komplex, die Entstehungwege unklar. Leander Petzoldt, em. Innsbrucker Ordinarius für Europäische Ethnologie, unterscheidet zwischen Tradition und Kontinuität: Während Motive und Strukturen in einer langen Tradition stehen können, lassen sich Bräuche nicht kontinuierlich über Jahrhunderte hinweg zurückführen. Viele waren z.B. durch Seuchen, Missernten, Kriege, obrigkeitliche Verbote, geänderte wirtschaftliche Voraussetzungen oder mangelndes Interesse lange Zeit unterbrochen und wurden unter anderen Vorzeichen wieder aufgenommen. Wie Bräuche entstehen, sich verändern und vergehen, unterliegt Wechselwirkungen, die von der Ethnologie im Einzelfall zu untersuchen sind. Darauf haben der Schweizer Germanist und Volkskundler Eduard Hoffmann-Krayer (1864-1936) und sein deutscher Fachkollege Hans Naumann (1886-1951) hingewiesen. Von Naumann stammt die bekannte Theorie vom „gesunkenen Kulturgut“ (1922 - Oberschichten erfinden Kulturgut, das später von den nicht innovativen Unterschichten übernommen wird) und vom „primitiven Gemeinschaftsgut“ (das von „unten“ kommt). Hoffmann-Krayer betonte (1930) die „fortwährenden fluktuierenden Wechselwirkungen zwischen Individuum und Masse“. Adolf Spamer (1883-1953) sah schon 1924 die „Untersuchung der Kombinations- und Umstilisierungsprozesse“ als wichtigste Aufgabe der Volkskunde.


Quellen:
Paul Hugger: Fest und Brauch - ewig jung, ewig aktuell. In: Feste im Alpenraum. Schweiz, Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich. Zürich 1997. S. 10 - 23.
Leander Petzoldt: Feste und Feiern in Baden-Württemberg. Karlsruhe 1990. S. 15.

Bild:
Halloween, ein Fest, bei dem Kontinuität besonders gern behauptet wird. Englisches Pub mit Plastikdekorationen, Wien 19. Foto: Helga Maria Wolf, 2007


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