Helga Maria Wolf
Der Mai ist gekommen #
"Der Mai ist gekommen die Bäume schlagen aus Da bleibe, wer Lust hat mit Sorgen zu Haus! …"
Genau 180 Jahre sind vergangen, seit Emanuel Geibel, einer der bekanntesten deutschen Dichter der Spätromantik, sein "Wanderlied" verfasste. Es passt zum "Wonnemond", wie der fünfte Monat des gregorianischen Kalenders in der Monatsliste Karl des Großen im 8. Jahrhundert hieß. "Wunnimanot" stand für Weidemonat. Nun wurde das Vieh ins Freie getrieben. Die schöne Jahreszeit war nach den "Eisheiligen" - Pankratius, Servatius, Pankratius - und der "nassen Sophie" in der Monatsmitte nicht mehr aufzuhalten.
Abhängig vom Ostertermin können Christi Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam in den Mai fallen. Im "Marienmonat"finden Maiandachten statt. In der Barockzeit entstanden, feierten sie ihre Blüte im "marianischen Jahrhundert", zwischen den Dogmen von 1854 (Unbefleckte Empfängnis) und 1950 (Leibliche Aufnahme in den Himmel). Üppig geschmückte Altäre und sentimentale Lieder ließen sie vielen Gläubigen als Inbegriff eines "schönen" Gottesdienstes erscheinen.
Die Bräuche im Mai zeigen sich allerdings oft alles andere als heilig. Das beginnt schon am Vorabend des Monatsersten. Er war in den Dörfern eine gefürchtete Unruhnacht. Vor 80 Jahren schrieb der Heimatforscher Leopold Teufelsbauer (1886-1946): "Wie nun draußen in der Natur alle Lebenskraft erwacht und sich oft stürmisch entfaltet, so scheint es auch im Menschenleben, das manchmal mit seinen Kräften nicht hauszuhalten weiß und sich austoben will … Wagen wurden zerlegt und mit Mist beladen auf die Hausdächer gestellt, Firmentafeln umgehängt, Arbeitsgeräte auf Bäume gezogen und anderes." Solche Rüge traf unbeliebte Dorfbewohner und wurde auch "Philippeln" genannt, weil bis 1955 die Apostel Philipp und Jakob am 1.Mai im Kalender standen. Eine andere Aktion der Burschen, das Ziehen von Steigen zwischen den Häusern von Verliebten, erfreute sich in letzter Zeit besonderer Beliebtheit. Wer in der jüngsten Vergangenheit Anfang Mai feldforschend im Weinviertel unterwegs war, konnte kilometerlange "Maistriche" verfolgen. Im Unterschied zu früher, und zum Ärger der Bürgermeister und Straßenverantwortlichen, werden die Spuren nicht mehr einfach mit Kalk gepinselt, sondern man füllt eine Kalk-Öl-Mischung in ein Fass, und lässt dieses während der nächtlichen Traktorfahrt ausrinnen. Früher mussten die jungen Frauen die Zeichen der Schande beseitigen, bevor sie jemand am nächsten Morgen bemerkte.
Männern vorbehalten war hingegen die Ehre, in dieser Nacht eine Maitafel an das Haus gehängt zu bekommen. Das beobachtete in den 1970er Jahren der Volkskundler Werner Galler als neuen Weinviertler Brauch. Er schrieb: "Sie sind prächtig mit Bändern geschmückt, auch mit Tannenreisig verziert, und tragen Aufschriften wie: 'Ein dreifaches Hoch von der Burschenschaft'." Die Tafeln ersetzten die Ehrenbezeugung durch Maibäume. Sie brachten mehr Trinkgeld und waren rasch anzubringen. Maibäume für die Honoratioren erforderten viel Aufwand, der von auswärts arbeitenden Pendlern nicht zu leisten war, auch konnte man auf asphaltierten Gehsteigen ohne besondere Vorrichtungen keinen Baum mehr aufstellen, konstatierte Galler.
Der Maibaum auf dem Hauptplatz hat nicht das Geringste mit einem heidnisch-germanischen Frühlingskult zu tun. Er ist einer aus der großen Familie der Festbäume, zu der u. a. Kirtagbaum, Hüterbaum, Sonnwendbaum oder die Bäumchen zur Dachgleiche zählen. Maibaum-Feste in den heute bekannten Formen mit Volkstanz etc. sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Die flächendeckende Verbreitung des Brauches setzte im 20. Jahrhundert ein. Leopold Schmidt (1912-1981) bewies in seinem Werk "Volkskunde von Niederösterreich", dass es sich um eine mittelalterliche, städtische Gepflogenheit handelt: Bald nach der ersten bekannten Nachricht (Aachen, 1224) erfährt man von einem Maibaum am Babenbergerhof in Wien. Das Aufstellen und Schmücken war, ebenso wie das anschließende Fest, eine Pflicht der weltlichen Obrigkeit. Als Herzog Leopold IV., der Glorreiche, anno 1230 starb, klagten die Wiener: "Wer singet uns nu vor / zu Wienn auf dem Chor / als er vil dicke hat getann / der viel tugendhafte man ? / Wer singet uns nu raien / wer zieret uns nu die maien ?"
Aus Niederösterreich sind barocke Archivalien erhalten. So wurde in Eggenburg anno 1710 das Maibaum-Aufstellen nicht gestattet, weil man die Beschädigung des neuen Straßenpflasters befürchtete. Acht Jahre später erhielten die in der Stadt einquartierten Bayreuther Dragoner ein Trinkgeld für das Maibaumsetzen. Ebenso 1724 der Meier und seine Knechte in Asparn/Zaya, 1745 bekam der Kremser Ratsdiener einen "Ehrentrunk" für seine Mühe. Schon 1741 hatte ein Patent Maria Theresias das Aufstellen von Maibäumen verboten, um die Wälder zu schonen.
In Industriegemeinden ist der 1.Mai ein Fixpunkt im sozialdemokratischen Festkalender. Der dienstfreie "Tag der Arbeit" wird seit 1890 begangen. 1889 gedachte der Internationale Arbeiterkongress in Paris des Hundertjahr-Jubiläums der Französischen Revolution. Aus diesem Anlass wurde beschlossen, den 1. Mai als Weltfeiertag des Proletariats auszurufen. Manifestationen in allen Ländern sollten die Forderung nach dem Achtstundentag unterstützen. 1919 erhob die Nationalversammlung den früheren Streiktag zum allgemeinen Ruhe- und Festtag (Staatsfeiertag). Man begeht ihn mit Kundgebungen, Fackelzügen und Aufmärschen. 1955 führte Pius XII. das Fest "Josef der Werkmann" (Josef der Arbeiter) als Reaktion auf die Arbeiterfeiern ein. Der 1. Mai als Josefstag ist im liturgischen Kalender ein nicht gebotener Gedenktag.
Pfingsten nannte Leopold Schmidt "das eigentliche Frühlingsfest" mit Bräuchen, die sich auf das Leben und Arbeiten im Freien beziehen. Ab dem Wonnemonat konnte das Vieh draußen grasen und die "Halterbuben" wurden in ihre Pflichten eingeführt. Pfingsten war seit langem "ein stark markierter Termin", der dementsprechend auch als Zinstermin diente. Solche Tage forderten eine festliche Begehung heraus. Mit ihnen begann etwas Neues. "Daher also Pfingsten als Tag des frühen und rechtzeitigen Aufstehens. Weit verbreitet waren und sind Necknamen und Spottverse für Langschläfer an diesem Fest." Der Autor überliefert einen Spottvers, der um 1900 in der Gegend von Waidhofen an der Ybbs bekannt war: "Pfingstlucken steh auf / Reck d' Lukenauf d'Höh auf / Nimm an Besen, kihr aus / Nimm die Goaßl, treib aus / Treib auf'n grean Wasen / die Küah müssen grasen / Leg di nohmal nieder / Auf's Jahr bist es wieder!" . Mit dem Beginn der Weidesaison hat auch der "Pfingstkönig" zu tun. Die älteste Nachricht des Brauches in Niederösterreich geht auf das Jahr 1555 zurück. Im Weinviertel hat ihn Ende des 19. Jahrhunderts ein Schuldirektor revitalisiert. In Patzmannsdorf (Gemeinde Stronsdorf, Bezirk Mistelbach) wird ein Bub der letzten Hauptschulklasse verkleidet. Kegelförmig zusammengebundene Birkenzweige umhüllen ihn, an der Spitze stecken drei Pfingstrosen. Kinder führen die Gestalt durch den Ort, Trommler und Sammler begleiten sie. Alle 100 Meter drehen sie den Pfingstkönig, umtanzen ihn und heischen mit einem Lied. Am Ende werfen sie das Laubkleid in den Bach.
An der Eisenstraße ist das "Heiligengeistfangen", eine Bergwanderung zu einem Kreuz oder Marterl in den frühen Morgenstunden des Pfingstsonntags Brauch. Zur religiösen Andacht kommt die Freude über die wieder erwachte Natur. So wie es in Geibels Wanderlied heißt:
"Da singet und jauchzet Das Herz zum Himmelszelt: Wie bist du doch so schön, O du weite, weite Welt!"
Erschienen in: Schaufenster Kultur.Region, 2014