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Helga Maria Wolf

Fratschlerinnen#

Gemüsemarkt Am Hof, nach einem Holzschnitt von Emma Bormann

Ein Thema zieht sich durch sieben Jahrhunderte Marktleben: Die Ablehnung des verteuernden Zwischenhandels, und das nicht nur in Wien sondern beispielsweise auch in Nürnberg. Johann Joachim Becher (1635-1682), der im 17. Jahrhundert Wirtschaftsberater des Kaisers Leopold I. war, unterschied zwischen Vorkauf (zeitlich und örtlich vom Marktverkauf verschieden) und Fürkauf (spekulativer Aufkauf eines Warenvorrats). Doch schon 1340 war in einer Verordnung Herzog Albrecht II. (1298-1358) im Zusammenhang mit dem Fischhandel vom Vorkauf die Rede. 1504 setzte Wien einen Marktrichter ein, „der den fürkauf weere“. Menschen aus den unteren sozialen Schichten versuchten ebenso vom Zwischenhandel zu profitieren wie bürgerliche Gewerbetreibende, die Dienerschaft des Kaiserhofes, Soldaten und ihre Frauen. Das Thema blieb bis ins 19. Jahrhundert aktuell.

Die Autoren des 1844 von Adalbert Stifter herausgegebenen Sammelbandes „Wien und die Wiener“ schildern beredt das Vorgehen der Greißler, die in Gruppen auftraten und Landmädchen und Bauernburschen einschüchterten, um billig an die Ware zu kommen: „Auf diese Weise fährt das Triumvirat fort, die Waare zu schimpfen, und die Bauerndirne zu beängstigen, bis sie sich nach und nach bewogen fühlt, den schlauen Händlern ihr Obst zu einem Spottpreis zu überlassen, fürchtend, dass sie späterhin gezwungen sein würde, es noch wohlfeiler zu verkaufen, oder dasselbe unverkauft wieder nach Hause tragen zu müssen." Weder mit Strafen noch mit Bürokratie ließ sich der Zwischenhandel verhindern. 1569 war von Bescheinigungen („schriftliche Kundtschafften“) die Rede, mit denen Obrigkeiten auf dem Lande bestätigen sollten, was, wann und von wem erworben und in der Folge auf dem Markt verkauft wurde. Ablöser in und vor der Stadt sollten „abgeschafft unnd nimmer gestatt werden.“ In diese diskriminierte Gruppe fielen „die Manns- vnd Weibspersonen, so nit aygen oder Bestandgärten haben, sondern das Grien, Kraut, Salat, Rättich, Kren, auch Obst und dergleichen, von andern die es selbs erbawen und allher bringen, fürkauffen, und wieder hingeben.“

Die Marktordnung von 1571 sprach von verbotener „fürkhauffung oder Fretschlerei“. 1744 wurde den Geflügelhändlern verboten, übrig gebliebene Ware „an Frätschler und derley hausirende Leut weiter abzugeben“. Der Archivar Alexander Gigl folgerte daraus: „Die ‚Frätschler‘ wären Leute, die sich vagierend auf den Märkten einfinden und die Waaren im Verkaufe zu erhaschen suchen, um sie dann meist hausirend im Kleinverkaufe mit gewissen Zinsen absetzen zu können.“ Lexers mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch vermerkte unter dem Stichwort „vreten, vraten“ so viel wie „herumziehen, quälen, plagen“. Das Wörterbuch der Brüder Grimm nannte Fratschlerin „eine Handelsfrau, Trödelfrau, Höckerin, die mit geläufiger Zunge zum Kauf antreibt“. Hier ist jedoch die weibliche Gruppe der Ablöserleute gemeint, die „stets und entschieden als die unbefugtesten angesehen wurde.“

In der Barockzeit waren die Fratschlerinnen das erklärte Feindbild der Behörden und der (bürgerlichen männlichen) Konkurrenten. Was in vielen Schilderungen auffällt, ist die abwertende Einstellung gegenüber Frauen, für die der bescheidene Handel eine Existenzfrage war. Glaubt man zeitgenössischen Klagen, so waren sie mit einer Mischung aus Bauernschläue und krimineller Intelligenz begabt. Die Ablöserinnen, hieß es in einem Bericht der niederösterreichischen Regierung, würden den Bauern bis vor die Linien entgegengehen, ihnen die Waren en gros abnehmen und dann als Verkäuferinnen aus erster Hand auf dem Markt erscheinen. Die Marktwache, so Alexander Gigl, bemerkte die Täuschung oft nicht oder „sie war wohl oft zu ohnmächtig gegenüber dem leidenschaftlichen Auftreten der Ablöserinen, deren eigenthümlichen Waffen von den öffentlichen Organen nicht erwidert werden konnten , daß die Wache selbst oft gezwungen ist, diese Weiber, welche durch ihr Heulen das Volk zum Mitleide bewegen, loszulassen, um keinen Auflauf zu erregen.“

Ab 1772 waren die Fratschlerinnen von den Behörden zumindest geduldet. Von 1775 bis 1792 gab es Polleten (Bolleten) - nummerierte Berechtigungen zum Verkauf aller Gattungen Esswaren in und vor der Stadt. 1776 besaßen 1049 von 1386 Fratschlerinnen eine solche Erlaubnis. Die Marktbefugnisgebühr betrug 3 Gulden und keine weiteren Steuern. Damit verbunden waren Warnungen, wie davor, „den ursprünglichen Händlern und Eigenthümern bey oder vor oder inner den Linien abzupassen, denenselben entgegen zu gehen, ihnen die Waare abzulösen oder denenselben vorzukaufen, oder auch auf dem Markte durch unnöthiges Zudringen oder muthwillige selbsteigene Steigerung anderen schon im Kaufe begriffenen Personen die Waaren auszukaufen oder zu vertheuern“. Hielt man sich nicht daran, drohten Verhaftung, der Verlust von Ware und Erlaubnis sowie Marktverbot.

Der Aufschwung des Ablöserhandels störte die ansässigen Händler. Sie beschäftigten den Magistrat - und dieser die staatlichen Stellen - mit Beschwerden. 1781 legten der Bürgermeister und Rat Wiens einen „haarsträubenden Bericht über die überhandnehmende Vorkäuflerei und den Unterschleifhandel der Bollettenweiber“ vor, denen die Stadtväter die Teuerung anlasteten. Extremfälle wurden geschildert: In den frühen Morgenstunden kauften die Frauen den ankommenden Bauern „die Victualien all‘ ingrosso“ ab, manche zahlten im Voraus, um die Ware sicher zu bekommen. „An der Donau ist es nicht ohne Schauder anzusehen, wie diese Bolletenweiber den Obstschiffen, bevor sie ordentlich anlanden, in das Wasser entgegeneilen, und Tüchl oder andere Sachen auf das Obst hinwerfen, um das Einkaufsvorrecht zu behaupten.“ Die Polletenleute seien „so frech, die Kaufparteien von den Landleuten zu verdrängen oder zu steigern, und sie zu höhnen und zu schimpfen, wenn sie kaufen.“ Sogar der merkantilistisch-moralische Aspekt wird ins Treffen geführt: „Junge kräftige Leute aus Wiens Umgebungen kommen als Ablöserinen nach der Stadt, lungern dort ganze Tage müssig herum und gehen auf dem Lande ab, so dass dort keine Arbeitskraft selbst um hohen Lohn zu bekommen ist. So haben die Fabriken nicht genugsam Spinnerleute, welche lieber dem Fratscheln nachziehen.“ Ein Marktaufseher erstattete Meldung über vier Ablöserinnen, die einem Gärtner gemeinsam eine Butte voll Spinat abnahmen und um 300 % teurer weiterverkauften. Ein anderes Mal wurden neun Eierhändlerinnen die Polleten entzogen, weil sie sich auf der Seilerstätte als Bäuerinnen ausgaben, obwohl sie zu den Fragnern und Hausbesitzern zählten.

Die Polleten waren ursprünglich als eine Art Fürsorge für ältere Menschen gedacht. Doch das Gewerbe entwickelte sich anders als die Obrigkeit erhofft hatte, viele der Berechtigten kümmerten sich wenig um die ihnen auferlegten Einschränkungen. Nachdem die Klagen nicht verstummten, beschäftigte man den Kaiser mit der leidigen Frage. 1792 wurden die Polleten abgeschafft und Konzessionen für Marktstände erteilt. Die „Ständchenbefugnisse“ waren persönliche Befugnisse zum Verschleiß geringfügiger Waren. Sie dienten in erster Linie zur Aushilfe für arme Leute, die sich sonst keinen Unterhalt verschaffen konnten und denen das Kapital zur Einrichtung eines „Gewölbes“ fehlte. Neben unbürgerlichen Gewerbetreibenden konnten sich auch Zunftmitglieder darum bewerben. Die Jahresgebühr betrug 4 Gulden. 200 Stände sollten eingerichtet werden, 1795 waren es bereits 544, davon 62 auf dem Graben.

Die Betreiber von Ständen in den Vorstädten hießen Höckerleute. Hucke/r nannte man schon im Mittelhochdeutschen den Verkaufsladen ebenso wie den Kleinhändler oder die Kleinhändlerin. 1804 sollten die Marktrichter bei den Höckerständen „keinen jungen ledigen Weibspersonen“ dulden und „bloß diejenige Person, auf welche die Befugnis lautet, darf den Verkauf ausüben.“ Wohl aus Feuerschutzgründen durften Höckerinnen weder Maroni braten noch Gluttöpfe zum Wärmen aufstellen.

Aus: Helga Maria Wolf: Die Märkte Alt-Wiens. Geschichte & Geschichten Amalthea Signum Verlag Wien 2006, S. 22-26