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Helga Maria Wolf

Anfang, Ende und die Zeit dazwischen#

Foto: Doris Wolf
Foto: Doris Wolf

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der hilft, zu leben", schrieb Hermann Hesse (1877-1962). Zum Jahreswechsel nehmen viele den Zauber wörtlich. Sei es im Sinne des "Guten Omen" (Wie der Anfang, so das Ganze) mit dem Verschenken von Glückssymbolen oder Orakeln wie dem Bleigießen. Man hofft und wünscht, gut "hinüber zu rutschen".

Jedem Anfang geht aber üblicherweise ein Ende voraus, und dazwischen liegt eine Phase des Übergangs. So könnte man vereinfacht die Theorie der Rites de Passage des französischen Ethnologen Arnold van Gennep (1873-1957) darstellen. Bei den Übergangsriten oder Schwellenbräuchen unterschied er drei aufeinander folgende Etappen: (1) Trennung - die Phase der Ablösung vom vorherigen Zustand, (2) Zwischenstufe / Schwelle / Liminalität - die gefährliche Phase zwischen "schon" und "noch nicht", eine problematische Zeit der Rollenlosigkeit, in der die neue Identität angeeignet werden soll, (3) Aufnahme / Umwandlung - die Phase der Neuintegration. Obwohl die systematische Studie schon 1909 erschien, wurde sie erst 1986 in Deutsche übersetzt und entfaltete seither ihre Breitenwirkung.

Als erster deutschsprachiger Volkskundler nahm Paul Sartori (1857-1936) schon 1910 in seinem Buch "Sitte und Brauch" auf den damals neuen Forschungsansatz Bezug. Sartori schrieb über "Die Hauptstufen des Menschendaseins", dass die ersten Übergangsrituale Mutter und Kind gleichermaßen betreffen: "Beide sind einstweilen noch eins. Zu den Trennungsbräuchen, durch welche die Mutter von ihrer bisherigen Umwelt geschieden wird, gehören z.B. mancherlei Verbote (Tabus), denen die Schwangere, die strenge Absonderung, denen die Wöchnerin unterworfen wird. Zu den Aufnahmebräuchen die mit reichen Speisungen verbundenen Besuche anderer Frauen, Kirchgang und Aussegnung der Wöchnerin. Als weitere Trennungsbräuche kann man die Reinigung des Kindes, vielleicht auch das Niederlegen auf die Erde und das Wiederaufheben des Neugeborenen betrachten. Aufnahmebräuche dagegen sind Namengebung und Taufe samt dem damit verbundenen Taufschmause. Zwischen der Trennung vom alten und der Aufnahme in den neuen Zustand liegt nun für die Mutter sowohl wie für das Kind ein bedenklicher und gefahrvoller Zwischenzustand, während dessen beide keinen rechten Halt haben und allen möglichen Einflüssen ausgesetzt sind, gegen die sie nach Kräften geschützt werden müssen."

"Sequenzen im Rahmen eines Zeremonialkomplexes", wie Van Gennep formulierte, finden sich bei vielen Lebens- und Kalenderfesten. Die katholische Kirche zeichnet die klassischen "Knotenpunkte des Lebens" mit dem Empfang bestimmter Sakramente aus: Der Täufling wird zum Christen. Erstkommunion und Firmung markieren wichtige Entwicklungsphasen und zunehmende Integration in die Glaubensgemeinschaft. Die Hochzeit galt früher als "der" Wendepunkt des Lebens. Die "Sterbesakramente" sollten den Übergang in ein besseres Jenseits ermöglichen.

Ganz ähnlich verhielt es sich mit den Initiationsbräuchen verschiedener Handwerker. In der streng reglementierten Karriere vom Lehrling zum Meister nahm die Aufnahme in die Gruppe der Gesellen einen besonderen Rang ein. Bei den Buchdruckern musste der "Cornute" einen Hut mit Hörnern tragen. Diesen wurde er erst los, nachdem er nach überstandenem "Depositionsspiel" geschworen hatte, niemandem die schlechte Behandlung dabei zu vergelten. Danach wurde er mit Rosmarin bekränzt und vom Lehrherrn feierlich freigesprochen. 1771 ließ Kaiserin Maria Theresia die "albernen Gebräuche" abschaffen. Doch die Buchdrucker erfanden einen neuen Brauch, das Gautschen. Der Begriff bezeichnet das Entwässern bei der Papiererzeugung, in diesem Fall die "Taufe" des Ausgelernten. Die Salzburger Metzgergesellen wurden am Faschingsonntag im Hof zu St. Peter durch den Sprung in den Holzbottich von den „Sünden“ während der Lehrzeit „rein gewaschen“ und konnten beim anschließenden Fahnenschwingen ihre Kraft unter Beweis stellen. Um 1900 berichtete der Chronist Karl Fajkmajer von der "einfältigen und rohen Prozedur", nach der die junge Gesellen eine Taxe für die Gesellenlade und die Bewirtung der Anwesenden bezahlen mussten: "Die Tischler nannten es Hobeln, wobei sie symbolisch die entsprechende Arbeit an drm Lehrjungen vornahmen. Bei den Bindern hieß es Schleifen, bei den Weißgerbern und Kleinuhrmachern Taufen."

Zu den biographisch bedeutsamen Zäsuren kommen eine Reihe von Zeiten und Daten im Kalender, die Schwellen markieren - und Bräuche, die sie bewältigen helfen. Nach dem Fasching zeigt der Heringsschmaus am Aschermittwoch, dass nun die Fastenzeit anbricht. In der Osternachtfeier, der ritenreichsten Liturgie, wandelt sich die Trauer der Karwoche zur Freude über die Auferstehung Christi. Kathrein stellt den Tanz ein, bevor der Advent, früher eine "geschlossene Zeit", in der Unterhaltungen und Hochzeitsfeiern verboten waren, beginnt. Dieselbe Funktion des Festes vor einer Fastenzeit erfüllte Martini mit Gans- und Weingenuss.

Anlässlich der Jahrtausendwende machte sich der Marburger Ethnologe Andreas Bimmer Gedanken zu "Von Übergang zu Übergang". In einem Vortrag im Österreichischen Museum für Volkskunde fragte er im Hinblick auf das mehr als hundertjährige Dreischrittmodell: "Ist Van Gennep noch zu retten?" Soziale Lebensabläufe hätten sich geändert: "Die Lebensbereiche, die Van Gennep mit den Übergängen bezeichnet hatte, existieren auch heute noch. Es sind nur Übergänge in neue Teilwelten geworden, ein Teil verbleibt noch im alten Lebensbereich, etwa der Kindheit, der andere geht über in die Schulphase usw. Die Van Gennep'sche Dreiheit von Trennung, Übergang und Aufnahme ist nicht mehr total, nicht mehr eindeutig, keine Reise ohne Wiederkehr, kein vollständiger Eintritt in eine in sich geschlossene Sphäre." Dieser Meinung ist auch die em. Jenaer Ordinaria Christel Köhle-Hezinger, die ihre Antrittsvorlesung dem Thema "Willkommen und Abschied. Zur Kultur der Übergänge in der Gegenwart" gewidmet hatte. Sie formulierte: "Die Übergänge haben zugenommen, sie sind jedoch weniger eindeutig geregelt" und sie beobachtete eine zunehmende Unfähigkeit, Willkommen und Abschied zu feiern. Anfang und Ende als unverrückbare Fixpunkte - wie im Brauch - würden zunehmend vermieden.

Andererseits sind neue Rituale entstanden, die Phasen markieren, die im Leben früherer Generationen keine Rolle spielten, wie Führerscheinerhalt, Scheidung, Berufswechsel oder Pensionierung. Hier wäre auch das aufwändige Feiern runder Geburtstage zu nennen, obwohl sich das Leben dadurch nicht ändert. Lebensgeschichtliche Übergänge sind von gemischten Gefühlen begleitet. Es herrschen Hoffnung, Erwartung und Freude, Unsicherheit, Angst und Zweifel. Rituale können helfen, Übergange in eine offene Zukunft besser zu bewältigen - auch in ein neues Jahr, von dem niemand weiß, was es bringen wird.

Erschienen in: Schaufenster Kultur.Region


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