Helga Maria Wolf#
Traditionen - Generationen - Innovationen#
Am 8. Juli soll beim Stadtbrunnen in Heidenreichstein ein generationsübergreifendes Spektakel vor sich gehen. Sechs Lehrlinge der dort ansässigen Druckerei werden gegautscht. Zugleich feiert die Firma ihr 110-jähriges Bestandsjubiläum und die Gemeinde 90 Jahre Stadterhebung. Seit dem Vorjahr steht der Initiationsbrauch der Jünger der "schwarzen Kunst" auf der UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes.
Wie ein roter Faden zieht sich bei den Bewerbungen zur Aufnahme in diese Liste die Weitergabe von Generation zu Generation. Buchdrucker und Schriftsetzer gibt es in dieser Form nicht mehr, aber ihr Berufsbrauch lebt. Während der Gautschmeister einen traditionellen Spruch rezitiert, werden die "Gäutschlinge" gepackt und mehrmals in einem Bottich untergetaucht. Das Ritual der Gesellentaufe sollte sie von allen Sünden der Lehrzeit reinwaschen. Besonders spektakulär wirkt es, wenn die Ausführenden in historischer Gewandung ihrer Ämter walten, wie an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, wo sich FOL Ing. Bernhard Honkisz sehr für das Gautschen engagiert und ihm ein Buch gewidmet hat.. In Niederösterreich findet der Brauch in den Druckereien oder als öffentlicher Event statt, wie in Kuffern. Dort wirkt KR. Ingeborg Dockner, Obfrau des Fachverbandes Druck in der Wirtschaftskammer Österreich, als Geschäftsführerin und Eigentümerin einer Druckerei. "Die Jungen sehen das nicht als altvaterisch an, sondern als eine gute Sache. Es hat noch nie jemand gesagt, dass er nicht mitmacht", freut sich die Prinzipalin. In Heidenreichstein wird sie als Gautschmeisterin fungieren und eine eigene "Gautschgruppe" mit historischen Kostümen und Hellebarden mitbringen. Sie darf das ehrenvolle Amt ausüben, weil sie die "schwarze Kunst" als Schriftsetzerin in Hollabrunn erlernt und sich selbstverständlich der "Wassertauf" unterzogen hat. Für Ingeborg Dockner ist der Brauch wertvolles Kulturgut, "kein Spiel und Spaß", aber ein Fest der ganzen Gemeinde, bei dem Feuerwehr und Blasmusik aufmarschieren.
Apropos Blasmusik: Ingeborg Dockner ist auch Obfrau der Bezirksarbeitsgemeinschaft St. Pölten. Zur ARGE gehören 29 Vereine mit 1300 Aktiven zwischen 8 und 80 Jahren. "Mehr als die Hälfte Jugendliche", freut sich Dockner, die seit langem Klarinette und Saxophon spielt. "Wo sonst kommen verschiedene Generationen so in Kontakt und verfolgen ein gemeinsames Ziel?" Der Stellenwert des Musizierens sei "nach wie vor ungebrochen. Ich finde, dass jede Gemeinde, die einen Musikverein hat, sich glücklich schätzen kann.“ Der Niederösterreichische Blasmusikverband, der heuer sein 70 Jahr-Jubiläum feiert, zählt in seinen 500 Mitgliedskapellen mehr als 25.000 aktive Mitglieder. Dabei spielen die Musikschulen eine wichtige Rolle. Oft geben die Eltern ihre Begeisterung an die Kinder weiter, wie auch bei der Trachtenkapelle Lengenfeld. Ihre Homepage beginnt mit der Vorstellung zweier junger Flötistinnen, bei denen das Musizieren in der Familie liegt. Emely ist die Tochter des Flügelhornisten Franz Pichelmayer. Die Eltern von Elisabeth, Rupert und Claudia Markl, spielen Flügelhorn bzw. Querflöte. Ihr Großvater, Alfred Knappel, ist Posaunist. Die Trachtenkapelle Lengenfeld besteht seit 1982. Der Klarinettist Otto Schwarzinger war Gründungsmitglied und langjähriger Kapellmeister. 2017 übernahm das Amt sein Sohn Martin Schwarzinger. Das Motto des Musikvereins lautet "Tradition, Gemeinschaft, Leidenschaft".
Das gilt auch für viele andere Kapellen, wie die Südböhmische Blasmusik in Brand-Nagelberg, die als Immaterielles Kulturerbe gelistet ist. Ein wichtiges Argument für die Aufnahme ist der generationenlange, enge musikalische Austausch mit tschechischen KollegInnen. Die grenzüberschreitende, bis heute anhaltende Zusammenarbeit führte zur Entstehung einer eigenen Spielweise und trug u. a. zur Verbreitung der bekannten Südböhmischen Polka bei.
Von den derzeit 147 Eintragungen im Nationalen Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes beziehen sich 29 auf Niederösterreich. Dazu zählt das "Ladumtragen" der Mistelbacher Hauerzunft. Diese besteht seit 1698, heute ist sie die letzte ihrer Art. Die Bruderschaft regelte die Rechte und Pflichten der Mitglieder, soziale und religiöse Belange. Bei ihren Zusammenkünften stand die "Hauerlade" (Zunfttruhe) im Mittelpunkt. Sie enthielt die Kassa und wichtige Dokumente. Diese, wie der originale Stiftungsbrief, haben sich erhalten. Jedes zweite Jahr wurde die Truhe in feierlichem Umzug vom Haus des "Zechvaters" zu seinem Nachfolger getragen. Jetzt pflegt man den Brauch in erneuerter Form beim Hauerkirtag. Nicht mehr nur Weinbauern sind daran beteiligt, sondern auch Musikanten, Kinder, VolkstänzerInnen, Weinkönigin und -prinzessinnen. Mehr als ein Drittel der Akteure sind junge Leute. Nur in Mistelbach gibt: es eine Cheerleadergruppe in trachtigen Jeans und Blusen. Die 18 Mitglieder geben beim Hauerkirtag akrobatische und tänzerische Darbietungen zum Besten. Eine der ersten Aufnahmen in das UNESCO-Verzeichnis betraf das "Schmieden in Ybbsitz". Manche Familien der "Schwarzen Grafen" sind seit vielen Generationen in diesem Gewerbe tätig. Schmieden war und ist in Ybbsitz eine Tradition der ganzen Gemeinde. Es brachte Wohlstand und prägte mit Festen und der Berufssprache die regionale Kultur. Hammerwerke bestimmten das Ortsbild. Daran konnten in den 1990er Jahren Kulturinitiativen anknüpfen, die durch Aktivitäten wie "FeRRUM, Welt des Eisens", den 3 km langen Themenwanderweg "Schmiedemeile", Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen die Marktgemeinde international bekannt machten. Seit langem engagiert sich der Metallkünstler, Schlosser- und Schmiedemeister Sepp Eybl dafür. Sein besonderes Anliegen ist es, "dass der Funke auf die Kinder überspringt." Als Sohn eines Formen- und Werkzeugmachers verbrachte er die Freizeit von Jugend an am liebsten in der väterlichen Werkstatt. Seine Erfahrungen konnte er im Flugzeugbau einsetzen, bevor er mit 40 Jahren beschloss, die künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Anfangs noch ohne Maschinen, schuf er kreative Tierskulpturen, revitalisierte dann ein Hammerwerk (vermutlich aus dem 15. Jahrhundert) und setzte zahlreiche Initiativen. Heute ist der "Eyblhammer" ein künstlerisches und kulturelles Zentrum und Sepp Eybl Herr über sechs Essen in verschiedenen Häusern. Hier gibt er u. a. Schnupperkurse für Kinder und Familien ebenso wie Spezialseminare. Bei den jüngsten TeilnehmerInnen beginnend, ist sein Hauptziel "die lebendige Auseinandersetzung zwischen alter Kulturform, Handwerk und neuer Kunst". Weitergeben und Weiterentwickeln von Wissen und Erfahrung betrifft viele Berufe. Manche Ausübende entschieden sich erst später, nach einer anderen Laufbahn, für den traditionellen Betrieb. Ein Beispiel ist eine Langenloiser Malerfirma. Der Senior, Franz Gilly, gab sein Beamtendasein auf, um das Handwerk zu erlernen. Er erzählt von den bescheidenen Anfängen der Firma, als der "Großvater", Josef Mayerhofer, als Anstreicher Küchenkasteln und Wohnzimmerschränke lasierte. Der Schwiegervater, Josef Mayerhofer jun. nahm die Malerei dazu. Dann heiratete Franz Gilly ein und übernahm 1994 die Firma. Seit drei Jahren leitet sie nun sein Sohn Florian Gilly. Dessen Tochter Laura, die 5. Generation, schließt demnächst die Berufsschule ab.
Solche Generationsfolgen kennt man normalerweise von Bauern. Am Poyerhof in Ried am Riederberg wird seit langem im Einklang mit der Natur gewirtschaftet. Nun setzt Markus Poyer als Biobauer Innovationen. Er verdankt die Begeisterung seiner Großmutter, der er gerne half. Als sich den Eltern die Frage "weiter machen oder verpachten" stellte, entschied sich der Sohn - inzwischen Baufachmann in einer großen Firma - für das Zurück zur Natur. Er besuchte die Bauernschule, stellte auf "Bio" und Direktvermarktung um. Die Homepage zeigt das Ehepaar Markus und Lisa Poyer mit seinen kleinen Kindern und deren Großeltern: Tradition von Generation zu Generation.
Vorgesehen zur Veröffentlichung in Schaufenster KulturRegion, 2022