“1782 sünd wir aufgehoben worden”: Die Chronik des Benediktinerinnenstiftes Göß#
bearbeitet, erläutert und herausgegeben von
Dr.Günther Jontes
Anmerkung: Im Folgenden ist nur der erste Abschnitt (Seiten 1- 8) zur Einstimmung zu lesen. Das ganze Werk kann hier (natürlich kostenlos) als vollständiges Buch gelesen werden.
Einleitung
Diese Schenkung geschah in der Grafschaft Liupina seines Vaters Otachar. In seinen Anfängen nahm Göß eine ganz prominente Stellung ein: Als Gründer tritt gemeinsam mit seiner verwitweten Mutter Adala und seiner Schwester Kunigund Aribo III. auf, der als Diakon der Salzburger Kirche und Kapellan Kaiser Heinrichs II. das Stift aus seinem erblichen Eigentum entläßt und es in dessen Gewalt übergab, womit dieses - wenn auch nicht für allzu lange Zeit - zur einzigen je in Österreich existierenden Reichsabtei wird. Dies geschah mit Urkunde vom 1.Mai 1020, deren Siegel die älteste Goldbulle eines römisch-deutschen Kaisers darstellt. In diesem Jahr muß Göß schon kurze Zeit existiert haben. Ein eigentliches Gründungsdatum ist allerdings nicht überliefert. Beide genannten Pergamenturkunden befinden sich in der Allgemeinen Urkundenreihe des Steiermärkischen Landesarchives und zählen mit zum kostbarsten Besitz dieses größten österreichischen Landesarchives.
Aribo war einer der einflußreichsten Kirchenfürsten und Politiker seiner Zeit. Unter Kaiser Heinrich II. war er auch Erzkanzler für Deutschland, unter Konrad II. auch für Italien. 1021-1032 bekleidete er die Würde eines Erzbischofs von Mainz.
Das Benediktinerinnenstift Göß entwickelte sich wegen seiner auf den Hochadel ausgerichteten Exklusivstellung zu einem der an Grundbesitz reichsten Klöster des Landes, das zudem in einigen Epochen sich zu einem wichtigen Erziehungsinstitut steirischer Adelstöchter entwickelte. Aus deren Fundus erwuchs auch der Ordensnachwuchs der Chorfrauen, zu denen sich als dienende Kräfte auch die aus bürgerlichem und bäuerlichem Milieu stammenden Laienschwestern zugesellten.
Zahlreiche Grundschenkungen, in der Frühzeit auch noch von kaiserlicher Seite, schufen nicht nur eine große Grundherrschaft, sondern führten auf diesen Territorien auch zur Installierung von Pfarren, die dem Stift bis zu dessen Aufhebung 1782 auch inkorporiert blieben: St.Andrä zu Göß, Maria am Waasen zu Leoben, St.Veit am Veitsberg ober Proleb, St.Dionysen bei Bruck a.d. Mur und Tragöß. Der materiell ertragreiche Besitz reichte vom Ennstal bis in die Untersteiermark und umfaßte außer den Bauerngütern und Meierhöfen auch Almen, Forste, Mühlen und Weingärten. Er war in sogenannte Ämter gegliedert, denen Amtsleute vorstanden, die u.a. für die Erfüllung der Untertanenpflichten in Form der Zehente, Steuern, Sonderabgaben und Robotleistungen verantwortlich waren. Göß verfügte nicht nur über die “kleine”, patrimoniale Gerichtsbarkeit, sondern auch über den Blutbann und konnte deshalb auch Todesurteile aussprechen und vollstrecken, was tatsächlich auch zuweilen geschah.
Eine derart große Grundherrschaft mußte auch über eine entsprechend effektive Verwaltung verfügen. Um über ein verläßliches Besitzverzeichnis zu verfügen, ließ Äbtissin Anna von Herberstorf 1450 das große Haupt-Urbar anlegen, in dem alle damals abgabepflichtigen Untertanen mit ihren Zinsleistungen vermerkt sind. Diese Pergamenthandschrift führte in der Tradition des Klosters den bezeichnenden Namen “die Wahrsagerin”.
Die Verwaltung der weltlichen Angelegenheiten, der Temporalien des Stiftes, besorgte ein Stab von besoldeten Beamten, die für Rechtssprechung, Finanzen, Organisation, Archivpflege, Bauwesen, Vorratshaltung und Verkehr mit den Untertanen zuständig waren. Dazu kamen Musiker, Sänger, stiftische Handwerker und zahlreiches weibliches Haus- und Küchenpersonal von der Hühnerdirn bis zur Apothekerin.
Göß war ein beschauliches Kloster. Ursprünglich als Witwensitz der Stifterin Adala angelegt und von deren Tochter Kunigund als erster Äbtissin geleitet, bewahrte es sich lange bestimmte Eigenheiten in der Lebensführung der Nonnen, die erst späte Visitationen und reformierende Eingriffe von Seiten der Kirche und des Staates als ungebührlich und nicht mit der Ordensregeln eines Benediktinerinnenklosters vereinbar abschafften. So wurde etwa die strenge Klausur erst in der Neuzeit eingeführt. Die frühen Nennungen der Nonnen, stets der Äbtissen weisen Göß tatsächlich als ein Stift unversorgter Töchter hauptsächlich des landbürtigen Adels aus. Georg Matthäus Vischers Kupferstich von 1680 ist noch mit “Das hoch adeliche Iungfraw Closter Göss” überschrieben. Erst seit 1618 finden auch Bürger- und Bauernmädchen Zugang, erreichen aber nie den Status einer Chorfrau, sondern verbleiben ihr Leben lang Laienschwestern und dienen im wahrsten Sinne mit dem übrigen weltlichen Personal als Arbeitskräfte zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Ordnung des Stiftes.
Der heute gesehen einzige praktische Wert des Nonnenstiftes bestand in der Erziehung ebenfalls wieder adeliger Mädchen, aus dem wiederum der Ordensnachwuchs an Novizinnen rekrutiert wurde. Geringes Engagement in Tätigkeiten öffentlichen Nutzens war dann auch 1782 mit ein Grund zur Aufhebung des Klosters, dessen Besitz in eine Staatsherrschaft verwandelt wurde.
Zwar waren Göß einige Pfarren inkorporiert, deren Pfarrer von der Äbtissin eingesetzt wurden. Allein, auch im Frauenkloster selber war natürlich Seelsorge, geistliche Begleitung und Ausübung der zahlreichen liturgischen Erfordernisse vonnöten. Unter einem Pater Supremus standen eine Reihe von Kaplänen, die mit ihm für Gottesdienst, Beichte und anspruchsvollere geistige Tätigkeit wirkten. Seit der Mitte des 17.Jahrhunderts kamen diese Geistlichen hauptsächlich aus dem Benediktinerstift Admont.
Für die Kenntnis der Geschichte von Göß von besonderer Bedeutung ist dabei P.Marcellinus Preinmann, der am 9. Oktober 1645 als erster Admonter hierher kam und hier zehn Jahre lang wirkte, bis er 1655 wieder in sein Kloster zurückberufen wurde. Ihm verdanken wir, daß unter der Äbtissin Maria Johanna von Kollonitsch mit der Abfassung der Stiftschronik begonnen wurde. Zwar stellt er sein Licht unter den Scheffel, wenn er meint, daß die hohe Frau die Verfasserin sei und er nur mit “kleiner Mithilfe” seinen Beitrag geliefert habe. Gewiß aber verkörpert er das intellektuelle Element dieses Unterfangens, das natürlich die Bereitschaft der Äbtissin voraussetzte und die ihm auch die Urkundenschätze des Stiftsarchives zugänglich gemacht haben wird, aus denen die Geschichte von Göß von den Anfängen bis zu seiner Ankunft geschöpft wurde.
Eigenes Erleben der Äbtissin Kollonitsch spricht allerdings sehr deutlich, wenn die Chronik über den Tod und das Begräbnis deren Vorgängerin und die eigene Wahl und Weihe berichtet. Dies sollte sich auch in der Folge fortsetzen, wenn nach dem Abgang Pater Preinmanns namentlich nicht mehr ausgewiesene Chronisten berichten, unter denen sich der Diktion nach auch gebildete Nonnen als Chronistinnen befunden haben müssen.
Eine Chronik bedeutet eine annähernd regelmäßig fortgesetzte Niederschrift von zeitgenössischen Ereignissen. Sie bezieht sich auf Territorien, Lokalitäten, Geschlechter, Institutionen und ist wegen des sich in ihr jeweils spiegelnden Zeitgeistes stets nur als mehr oder weniger objektive Geschichtsquelle für die Nachkommenden zu betrachten. Annalen dieser Art gibt es bereits seit der Antike. Das europäische Mittelalter hat eine große Zahl solcher Schriftdenkmäler hervorgebracht, von denen die meisten aus Gründen der damaligen Bildungsstruktur in Klöstern entstanden sind. Für die Steiermark und ihr Umfeld ist das am Leobener Dominikanerkloster von unbekannter Hand niedergeschriebene “Chronicon Anonymi Leobiensis” von nicht geringer Bedeutung.
Eine Klosterchronik bildet für die jeweiligen Zeitgenossen gleichsam den Mittelpunkt des Wissens über die eigene Geschichte, die Stellung innerhalb eines territorialen Gefüges und die damit verbundene Bedeutung, die sich an sich ja schon in der langen Zeit seines Bestehens äußert. Sie ist an und für sich nicht für Außenstehende geschrieben, ist sie doch für gewisse Belange, soweit diese darin verzeichnet wurden, für die Klosterleitung ein Medium der schnellen Information, das ein Suchen nach Urkunden, Privilegien, Besitzverzeichnissen, Personenstandsquellen erspart. Darüber hinaus erlaubt sie auch, sich über von außen das Stift tangierende Ereignisse in Kenntnis zu setzen.
Chronik bedeutet in erster Linie Fortschreibung von Ereignissen. Der Ehrgeiz von Chronisten ging jedoch oft auch in die Richtung, die Ereignisse vor dem Einsetzen dieser eigenen Aufzeichnungen zu schildern. Dann ist es nicht mehr eigenes Erleben und Erfahren, sondern hier muß das Studium der alten Quellen einsetzen, die in eine zeitliche Reihenfolge gebracht und nach Inhalt und Aussage kompiliert von der Geschichte etwa eines Klosters seit seiner Gründung berichten.
In Göß war es nicht anders und man spürt, wie trocken und tastend sich die Schilderungen der ersten Jahrhunderte der Stiftsgeschichte gestalten, die sich nur auf die Interpretation von Urkunden stützen können. Immerhin beweist Pater Preinmann seine Fähigkeiten im Lesen, Verstehen und Interpretieren der ältesten Schriftquellen des Stiftsarchives, die zu seiner Zeit zum Teil ja auch schon mehr als 700 Jahre alt waren. Er beschreibt, soweit er “darüber etwas finden konnte”, wie er sich ausdrückt und geht auch ganz im Sinne eines Chronisten auf “denkwürdige Ereignisse” ein und zwar bis in die Zeit herauf, wo das lebendige Erinnerungsvermögen der Äbtissin Maria Johanna von Kollonitsch seit deren Klostereintritt einsetzt und somit zur effektiven Chronik wird.
Das Stiftsarchiv Göß ist eines der besterhaltenen und vollständigsten des Landes. Die Chronikschreiber konnten sich daher auf einen großen Fundus von Schriftquellen stützen. Jedoch sind anscheinend auch Überlieferungen dramatischer Ereignisse mit eingeflossen, die sich hartnäckig in der mündlichen Tradition des Klosters gehalten haben müssen wie etwa die Ereignisse des Gottesplagenjahres 1480, in welchem die Türken praktisch vor den Klostermauern standen und die Errettung aus dieser Gefahr ins Legendenhafte verklärt Eingang in die Stiftschronik fand.
Die innere Struktur der Gösser Chronik ändert sich im Laufe der Zeit. Die Schilderungen vor 1640 beziehen sich auf die Äbtissinnen, deren Besitzerwerbungen und Privilegienerlangungen. Sie berichten von den finanziellen Schwierigkeiten, die durch erhöhte Abgaben an den Staat wegen der zahlreichen Kriege und Abwehrmaßnahmen entstanden und beginnen bereits auch, wiederum aus Archivquellen geschöpft, über Personelles zu berichten. Hinzu treten in verstärktem Maße Bauangelegenheiten und wirtschaftliche Details der Grundherrschaft. Auch Reformation und Gegenreformation hinterlassen ihre Spuren, wenngleich Göß nie wie andere steirische Stifte sich dem Protestantismus angenähert hat.
Die in Anspruch genommene eigene Bedeutung spiegeln auch die Schilderungen von Besuchen fürstlicher Personen und des dadurch verursachten Repräsentationsaufwandes. Einsetzung oder Tod von Herrschern, Päpsten und Bischöfen finden den ihnen zukommenden Platz. Seit der Zeit der Äbtissin Kollonitsch wird dann vor allem der rechtlichen Seite des Status von Stift und Vorsteherin gegenüber staatlichen und kirchlichen Mächten viel Raum gegeben. Tod, Begräbnis, Wahl und Weihe werden in allen Einzelheiten wortreich geschildert, Visitation und Eingriffe der politischen 0brigkeit eifersüchtig beobachtet. Aufzeichnungen über das spirituelle und Alltagsleben sind reich schätzenswerten Details zur Kunst- und Kulturgeschichte des Klosters.
Ein stark rationalistischer Zug wird in der Chronik in der Endphase des Stiftes im 18. Jahrhundert deutlich. Den finanziellen Angelegenheiten in ihrer oft sehr komplizierten Verflechtung wird großes Augenmerk geschenkt. Und minutiös wird die stete Einengung der Selbstbestimmung des Klosters mit dem Einsetzen der rigorosen Reformen Kaiserin Maria Theresias in rebus ecclesiasticis protokolliert, die unter dem Schlagwort der Vernunft nicht nur in Liturgie und frommes Brauchtum eingreift, sondern auch den sozialen Bestrebungen im eigenen Umfeld einen Riegel vorschiebt.
Die Subjektivität der Chronik zeigt sich in der Tatsache, daß über eigene Schwierigkeiten, ja die aus anderen Quellen bezeugten internen Skandale des Stiftes hinweggegangen wurde. Auch die Gösser Annalen sollten als für die Nachwelt bestimmt fleckenlos bleiben.
Die regulären chronikalischen Aufzeichnungen enden mit 1778 noch vor dem Tode der vorletzten Äbtissin Maria Henrica von Poppen. Ihre Tod im darauf folgenden Jahr wird schon gar nicht mehr vermerkt, die Wahl der 40. und letzten Äbtissin Maria Gabriela von Schaffmann wird zwar von ungelenker Hand noch vermerkt, doch dann folgt der inhaltsschwere naiv-lapidare Satz: 1782 sünd wir aufgehoben worden. Amen.
Eine fast tausendjährige Klostertradition hatte damit im Zuge der josephischen Reformen ihr jähes Ende gefunden. Jede Chronik endet einmal mit dem Aufhören der betreffenden Institution. So war es auch in Göß. Aber die Gunst der Zeiten ließ diese Handschrift nicht wie so vieles andere Kulturgut im Orkus der Zeit verschwinden. Nach der Aufhebung waren die Klostergebäude Sitz einer Staatsherrschaft, Bischofsresidenz, nach den Wirren der Franzosenzeit, nach Abbruch zahlreicher Klosterbauten Privatbesitz, der in der Gründung einer bis heute existierenden Brauerei gipfelte. Die Gösser Stiftschronik hat trotzdem überdauert und ist im Gegensatz etwa zum berühmten romanischen Gösser Ornat sogar an Ort und Stelle seiner Entstehung geblieben, in der josephinischen Neupfarre Göß.
Das erwachte Geschichtsverständnis des 19. Jahrhunderts bediente sich der Handschrift wiederholt. Joseph v. Zahn publizierte sie buchstabengetreu. P. Jakob Wichner schöpfte seine Geschichte des Nonnenklosters 1892 aus ihr, ebenso der Gösser Kaplan Josef Theußl 1897/98. Eine Abschrift dieser Zeit erliegt unter der Signatur No.2590 in den Handschriftenreihe des Stmk. Landesarchives. Theußl vermerkte am Vorsatzblatt der Originalhandschrift, daß er im Besitz einer Abschrift in folio sei, die er von den Wiener Redemptoristinnen zum Geschenk erhalten habe. Als Zusatz teilt der zeitweilig als Kaplan in Göß wirkende nachmalige Dechant von Pöls und Historiker Karl Bracher, daß er diese Kopie “durch Schenkung” sein Eigentum geworden sei. Es dürfte sich um das Exemplar handeln, das im sogenannten Biermuseum der Gösser Brauerei aufbewahrt wird.
Sorgfältig gehütet erliegt nun das Original als ein letztes geistiges Erbe des ältesten Klosters der Steiermark im Archiv der Pfarre St.Andrä zu Leoben-Göß selbst. Pfarrer Mathias Keil hat sie dem Herausgeber in großzügiger und dankenswerter Weise zu Einsicht, Untersuchung und Publikation zur Verfügung gestellt. In dieser hier vorgelegten neuen Gestalt und in der Sprache unserer Zeit schlägt sie als ein Beitrag des Obersteirischen Kulturbundes zum 1100-Jahr-Jubiläum der ersten Nennung von Göß eine Brücke vom 10. zum 21. Jahrhundert.
Hier das gesamte Buch . Bitte ab Seite 9 "Kurzer Bericht über die Stiftung dieses fürstlichen Stifts Göß" weiterlesen!
Anhang: Einige Bilder zum Stift Göß, zum Teil aus dem Werk von Frau HR L.Jontes, zum Teil aus dem Privatbesitz von Professor G. Jontes.
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