Wie die Firmen „arisiert“ wurden#
Der Boden für die antijüdische Stimmung im Land war schon lange vor der Machtübernahme der Nazis aufbereitet worden. Daher konnten beim „Anschluss“ jüdische Geschäfte sofort „arisiert“ werden.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Sogleich nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland wurden gut gehende jüdische Firmen auch in Graz „arisiert“, schlecht gehende hingegen wurden liquidiert, um eine lästige Konkurrenz loszuwerden. Aber dazu gibt es eine lange Vorgeschichte.
„Schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren wurden bei uns Judenkataster erstellt und Flugblätter ,Kauft nicht bei Juden’ verteilt“, berichtet Gerald Lamprecht vom Centrum für Jüdische Studien an der Uni Graz. Die ideologischen Weichen für das Kommende waren bereits gestellt. „Die antijüdischen Feindbilder sind so selbstverständlich, dass die menschenverachtenden Maßnahmen der Nazis als gegeben hingenommen und nicht als massiver Einschnitt empfunden werden“, hält auch der Grazer Historiker Dieter Binder in „Spurensuche zur steirisch-jüdischen Geschichte 1945-1955“ fest.
Somit konnte die „Arisierung“ nach dem „Anschluss“ im März 1938 sofort durchgeführt werden.
Die wilde Übernahme#
Lagerbestände wurden ausgeräumt, die Täter bereicherten sich, die Opfer traten in den Hintergrund, verschwanden in der Emigration oder in den Lagern. „Schließlich wächst diese ,wilde Arisierung’ der Obrigkeit über den Kopf, man versucht sie ab April 1938 auf eine rechtliche Basis zu stellen, eine Vermögensverkehrsstelle wird geschaffen, kommissarische Verwalter werden in den jüdischen Geschäften eingesetzt, in der Regel hochverdiente Illegale, die eigentlichen Eigentümer haben nichts mehr zu reden“, so Lamprecht.
Die Idee dahinter war klar: Den Juden sollte jede wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen und sie selbst zur Auswanderung gezwungen werden. Wobei sie ihr Vermögen zurücklassen und dafür noch verschiedene Steuern zahlen mussten. „Von 523 Betrieben im Bereich Handel und Gewerbe wurden in der Steiermark 88 ,arisiert’ und 413 liquidiert, der Rest stand unter kommissarischer Verwaltung.“
Ab 1939 sah sich das Reichswirtschaftsministerium veranlasst, statt „Arisierung“ den Begriff „Entjudung“ zu verwenden, um nicht den Schein zu erwecken, dass es sich um einen bloßen Akt der Aneignung handelte. Der Verkaufserlös der „entjudeten“ Firmen lag meist weit unter dem Verkehrswert und wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, zu dem nur die Vermögensverkehrsstelle Zugriff hatte. Die „Verkäufer“ mussten um alles, was sie zum Leben benötigten und was eigentlich ihnen gehörte, bitten. Jetzt wurden auch eigens für sie erfundene Steuern schlagend, wie Reichsfluchtsteuer, Sühneabgabe oder Judenvermögensabgabe, wobei allein Letztere 20 bis 30 Prozent des Gesamtwerts betrug. Die Prozesse der Beraubung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung fanden in aller Öffentlichkeit statt. Die „Tagespost“ berichtete ausführlich darüber, „Arisierungsanzeigen“ waren täglich zu lesen.
Die Reichspogromnacht (verniedlicht auch „Reichskristallnacht“ genannt) vom 9. auf den 10. November 1938 mit ihrer „spontanen“ Zerstörung aller Synagogen und vieler jüdischer Geschäfte im ganzen Deutschen Reich beschleunigte die Arisierungsvorgänge. Auch in Graz wurde die Synagoge niedergebrannt. Mit Kriegsbeginn im September 1939 ging die Vertreibungspolitik der Juden durch die Nazis dann endgültig zur Vernichtungspolitik über.
Was in Graz passierte#
1938 wurde das Herrenbekleidungsgeschäft Wilhelm Spielmann in der Annenstraße 34 vom Fehringer Schneidermeister Josef Knilli, der schon im Februar 1934 als illegaler Nazi wegen „politischer Betätigung“ zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war, übernommen. Das Schuhhaus Bally von Armin Spitz in der Herrengasse wurde von der Firma Baumgartner arisiert. Das Kaufhaus Simon Rendi am Joanneumring ging an die Wiener Firma Hübl. Bloß Kastner&Öhler blieb innerhalb der Eigentümerfamilie. Die jüdischen Familienmitglieder traten ihre Teile an die „arischen“ ab und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die alten Besitzverhältnisse sofort wieder hergestellt.
„Das Jahr 1945 ist keine Stunde null“, betont Dieter Binder desillusionierend, „die Steiermark kehrte gleichsam in einen antisemitischen Bewusstseinszustand vor Auschwitz zurück.“
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