„Auf nach Pensionopolis!“#
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts galt Graz als Pensionopolis der Habsburgermonarchie. Alte Militärs und hohe Beamte, reiche Witwen, Adelige und Künstler kamen in die Stadt, um hier bei hohem Komfort gut und billig leben zu können.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hieß es von Graz, dass jeder ankommende Zug der Südbahn pensionierte Offiziere in Bataillonsstärke ausladen würde. Das war natürlich übertrieben, hatte aber einen wahren Kern. Denn im 19. Jahrhundert war die Idee der Pensionopolis aufgekommen. Das heißt, dass sich kleine und mittlere Städte in angenehmer Lage, mit gutem kulturellem Angebot und ebensolcher Infrastruktur als Wohnort um pensionierte Beamte und Militärs bemühten. Angesprochen sollten sich aber auch Rentiers jeden Alters fühlen, also Personen, die wohlhabend genug waren, dass sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen mussten. Als Pensionopolis wurden damals in Deutschland Baden-Baden, Freiburg im Breisgau oder Wiesbaden bezeichnet, im Habsburgerreich Graz.
Hier ließ es sich bei hohem Komfort gut und billig leben, kein Vergleich zu Wien, Prag oder Budapest. Trotz aller Provinzialität strahlte die Stadt, in der ein kaiserlicher Statthalter residierte, mit ihren Adelspalais, Kirchen, Verwaltungsgebäuden und Theatern noch immer den bröckelnden Glanz der alten innerösterreichischen Residenz aus. Das neue Eisenbahnnetz schloss Graz an Wien und Triest, an Cilli und Mürzzuschlag an. Was wollte man mehr? Und dazu kam die angenehme Wohnsituation, wenigstens für die sozial besser gestellten Einwohner: „In keiner Stadt findet man so anheimelnde Straßen, so schön gepflegte Anlagen wie Baumgrün und Wiesenmatten und so schöne, reizende Mädchen wie in Graz. Es ist sicher kein Wunder, wenn diese Stadt, die so viel Sehenswertes und Angenehmes bietet, ein oft aufgesuchtes Ziel vieler Fremder geworden ist...“, schrieb noch um 1900 Richard Werther, Autor von erotischen Romanen wie „Der Skandal in Graz“ oder „Der skandalöse Ball“.
Die Stadt hatte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch alle Mühe gemacht, ihren gutsituierten Besuchern angenehme Wohngegenden zu bieten. „Im Bereich der Elisabethstraße entstand ein aristokratisches Viertel, die Straßenzüge wurden planmäßig angelegt und öffneten sich zum Grüngürtel am Glacis“, berichtet Peter Wiesflecker in der vierbändigen Geschichte der Stadt Graz von 2003. „Die neuerrichteten Bauten, die über ausreichend repräsentativen Wohnraum verfügten, wurden zur bevorzugten Gegend von hochrangigen Militärs und jenem Teil des Adels, der nicht über eigene Palais in der Innenstadt verfügte.“
Und so stellte auch der Rechtsanwalt und humoristische Schriftsteller Daniel Spitzer 1881 fest: „Eine ganze pensionierte Walhalla Österreichs lebt in Graz“. In den Namen der alten k.u.k. Offiziere, die sich in Graz zur Ruhe setzten, spiegelt sich die bunte Völkervielfalt der alten Monarchie: Feldzeugmeister Alexander Csorich de Monte Creto und Emil Kussevich von Szamobar aus Kroatien, Feldmarschall Franz Conte Corti alle Catene aus Italien oder General Graf Sandor Kalnóky von Kórós Patak oder Feldzeugmeister Ludwig Benedek von Felsö-Eör aus Ungarn. Letzterer wurde als der unglückliche Feldherr bekannt, der - gegen seinen Willen - mit der Führung der österreichischen Nordarmee gegen die Preußen betreut und am 3. Juli 1866 prompt bei Königgrätz vernichtend geschlagen wurde. Benedek nahm alle Schuld auf sich und zog sich verbittert in den Ruhestand nach Graz zurück, wo er in seiner Villa lebte, die sich an der Stelle befand, an der jetzt in der Beethovenstraße 8 die Bundesversuchsanstalt für Lebensmitteluntersuchung residiert. „Ich werde doch endlich nach Pensionopolis gehen“, hatte der in Ödenburg geborene Benedek angekündigt. Ebenfalls hier verlebte die Witwe des österreichischen Kriegsministers Sophie Gräfin de Baillet de Latour ihren Lebensabend, nachdem ihr Mann Feldzeugmeister Theodor Graf Baillet-Latour 1848 in Wien ermordet worden war. Ebenso hier zur Ruhe setzte sich der k.u.k. Konteradmiral und Hafenadmiral von Triest, Wilhelm von Breisach (1812-1894). Erzherzog Heinrich, ein Neffe Erzherzog Johanns, war als Divisionskommandeur in Graz und hatte seinen Wohnsitz in der nach ihm benannten Straße. Heinrich verliebte sich hier in die junge Leopoldine Hofmann, die als Sängerin in Graz Triumphe feierte. „Nach großen Schwierigkeiten und gegen den Willen Kaiser Franz Josephs konnte Heinrich seine Leopoldine heiraten, die allerdings erst nach Jahren als .Frau von Waideck' in den Adelsstand erhoben wurde“, schreibt Gerhard M. Dienes in der Landeschronik Steiermark.
„Auf dem Friedhof zu Graz hinterm eisernen Gitter,
da ruhen die alten Theresienritter,
Major, Oberstleutnant, General
bunt durcheinander mit Subaltern -
wie sie der Tod zu sich befahl,
die grauen pensionierten Herrn;
Haudegen, Radetzkys Schlachtkumpane,
armeeberühmte Grobiane
gelehrte Köpfe, Gamaschenknöpfe,
Strategen, Raufhänse, Kriegssoldaten...“
dichtete einst der altösterreichische Schriftsteller und Kabarettist Alexander Roda Roda mit einem Augenzwinkern. Auch Roda Roda selbst hatte sich 1933 nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland nach Graz zurückgezogen, wo er bis zum „Anschluss“ 1938 lebte.
Aber auch Johann Nestroy, der berühmte Schauspieler und Dichter von „Lumpazivagabundus“, „Einen Jux will er sich machen“ oder „Der Talisman“ wollte sich nach Graz in den Ruhestand zurückziehen. 1860 beauftragte er zu diesem Zweck einen Freund, in der Murmetropole ein Haus für ihn und seine Familie zu kaufen. Dieser fand das Haus Elisabethstraße Nr. 14 für Nestroys Pensionszeit passend, doch der Preis von 20.000 Gulden schreckte ihn ab. Doch Nestroy telegraphierte umgehend zurück: „Überglücklich! Freue mich wie ein Kind! Was Dir gefällt, gefällt uns auch!“ Und überwies sogleich den gesamten Kaufbetrag. Im November 1860 übersiedelte Nestroy mit seiner Frau nach Graz, wo er „bürgerlich“ lebte. In Briefen schilderte er seinen neuen Alltag im Ruhestand: „Morgentee, Friseur, Zeitungen lesen, Spaziergang, um Appetit zu bekommen, im Leonharder Wald oder auf dem Schloßberg, nachmittags Spielpartie im Kaffeehaus, abends Theater“, wo er eine ständige Loge abonniert hatte. Da er aber sein Leben lang panische Angst hatte, lebendig begraben zu werden, hatte er sich ausbedungen, dass er nach seinem Tode drei Tage lang im offenen Sarg aufgebahrt werden müsse. Sicher ist sicher. Am 23. Mai 1862 starb der Künstler und nach drei Tagen Aufbahrung wurde sein Leichnam nach Wien überführt, wo er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt wurde.
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