Ein Ausflug mit großen Folgen #
Wie aus einer Selbsthilfegruppe der geplagten Handelsdiener eine große Versicherungsgesellschaft wurde.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Am 7. Juni 1798 spazierten drei Grazer Handelsdiener, wie damals die kaufmännischen Angestellten genannt wurden, nach Petersbergen. Es war ein sonniger Sonntagnachmittag und sie unterhielten sich über die triste soziale Lage ihrer Branche. Schließlich beschlossen sie, nach Wiener Vorbild eine Vereinigung zur gegenseitigen Hilfe zu gründen. Denn damals gab es weder Sozialversicherung noch Sozialgesetze. Kranke mussten ins Siechenhaus, Alte und Gebrechliche ins Armenhaus.
Schon zehn Tage später wurde im Cafe Grafl in der Sackstraße 36 eine Gründungsversammlung abgehalten, an der mehr als die Hälfte der Grazer Handelsdiener teilnahm. Treibende Kraft war Joseph Benedikt Huber, Buchhalter der Firma J. Haidters Erben, der auch die Eröffnungsrede hielt. Er war es, der dem Verein den Namen „Institut zur Unterstützung kranker, armer, dienstloser, Alters und Gebrechlichkeit wegen zum Dienen unfähig gewordener Handelsdiener in Grätz“ gab. Um möglichst alle Meinungen zukünftiger Mitglieder zu hören, wurde einen Monat lang eine versiegelte Schachtel von einem Handelshaus zum nächsten weitergereicht, in die jeder einen Zettel mit seiner Meinung einwerfen konnte. Daraus wurde die Grundverfassung ausgearbeitet, die weit über das Wiener Vorbild einer helfenden Brüderschaft hinausging. Von Anfang an war klar, dass es sich in Graz um einen gegenseitigen Selbsthilfeverein und nicht um eine karitative Einrichtung handeln sollte. Nur für Leistung gab es Gegenleistung.
Manche von Hubers Ideen, wie die Schaffung eines eigenen Krankenhauses wurden noch als Utopie abgetan. Aber: Vereinsarzt, Apotheke, ein angemietetes Spitalszimmer mit eigener Betreuung sowie Taggeld für Kranke waren bereits Wirklichkeit geworden. Auch einige kuriose Punkte waren in den Statuten festgehalten: Neu eintretende Mitglieder mussten einen moralischen Lebenswandel nachweisen. Wenn sie ihre Beiträge nicht pünktlich einzahlten, wurden sie in der Presse gemahnt. Obwohl Huber selbst nie an der Spitze des Vereins stand, war er die zentrale Figur. Bis 1804 hielt er bei jeder Jahresversammlung die Hauptrede. 1805 verstarb er mit nur 33 Jahren.
Das Revolutionsjahr 1848 machte auch vor dem Verein nicht halt. Die daraus resultierende Sozialgesetzgebung ermöglichte, dass der Verein von 1890 bis 1926 neben einer „Zuschusskasse“ auch die Pflichtversicherung für kaufmännische Angestellte übernehmen konnte. 1895 errichtete man am Eck Neutorgasse/Joanneumring ein eigenes Haus der Kaufmannschaft, in dessen Parterre nach dem Ersten Weltkrieg auch das Kriegswaisenkino beherbergt war – das spätere Ring-Kino.
1928 konnte ein Sanatorium für Mitglieder eröffnet werden. So war aus einer Selbsthilfegruppe zur Zeit der Napoleonischen Kriege eine große Versicherungsgesellschaft geworden, die wir seit 1945 als „Merkur“ kennen und die heute in ganz Südosteuropa erfolgreich tätig ist.
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