Ein Biedermeier als Graffiti-Künstler #
Ein k. k. Beamter wurde zur Kultfigur, weil er überall seinen Namen aufmalte. 1825 besuchte er Graz.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Vermutlich war es eine Schnapsidee, die aus einem Beamten im Wiener Hofkammerarchiv einen der berühmtesten Bewohner des Kaiserreichs machte. Die Anekdote erzählt, dass Joseph Kyselak um 1820 in feuchtfröhlicher Runde wettete, dass in drei Jahren jeder in der Donaumonarchie seinen Namen kennen würde.
Bloß, wie wollte der Registratur- Accessist bei der k. k. Privat-, Familien- und Vitikalfonds-Kassen- Oberdirektion (diese Stelle verwaltete das Privatvermögen des Kaisers) das schaffen? Ganz einfach mit einer Methode, die damals absolut bizarr war: Wo immer Kyselak hinkam, malte er seinen Namen auf Mauern oder Felswände – ein Biedermeier als Graffiti-Künstler. Er war wohl der erste Sprayer zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Seine Rechnung ging wirklich auf. Kyselak wurde weltberühmt in Österreich und das ganze Land lachte über seine Streiche. Kein Wunder, dass man sich folgende Geschichte von ihm erzählte: Nachdem Kyselak sich wieder einmal auf einer Säule im Schwarzenbergpark verewigt hatte, wurde er zu einer Audienz bei Kaiser Franz I. in die Wiener Hofburg vorgeladen. Ungnädig forderte ihn der Kaiser auf, er möge sich künftig derartiger Malaktionen enthalten. Kyselak gelobte reumütig Besserung. Als er den Raum verlassen hatte, entdeckte der Kaiser den leidigen Namen sowie das Datum der Audienz – auf dem k. k. Aktendeckel, der auf dem kaiserlichen Schreibtisch gelegen war...
Skizzen einer Fußreise#
Im Sommer 1825 brach Joseph Kyselak zu einer Wanderung auf, die ihn durchs halbe Reich führte. Aber er hinterließ nicht nur seinen Namen in großen Buchstaben aus schwarzer Ölfarbe, sondern auch ein Reisebuch, das 1829 unter dem üppigen Titel „Skizzen einer Fußreise durch Österreich, Steiermark, Kärnthen, Salzburg, Berchtesgaden, Tirol und Baiern nach Wien nebst einer romantisch pittoresken Darstellung mehrerer Ritterburgen“ erschien und soeben im Verlag Jung und Jung (480 Seiten, Abb., Euro 29,90) neu aufgelegt wurde.
Darin schildert er, wie er in Bruck ein Floß nach Graz bestieg. „Bald lag der Wallfahrtsort Maria Straßengel mit seinem gotischen Kirchturme rechts im Hintergrund ... die gefürchtete Weinzettelbrücke mit seinem Kreuze lag vor uns. Alle Männer entblößten das Haupt sich kreuzigend; ich wusste noch nicht, was da kommen würde. Einige Mädchen zitterten und schrieen erbärmlich; umsonst, der Lauf war unerbittlich! und donnernd stürzten wir fünf Schuh über eine Wehre herab; durch und über das Floß drängten sich die Wogen fußhoch auf sämtliche Passagiers. Es war wirklich kein Spaß, nicht erholt von der ersten Taufe, gleich darauf der zweiten ganz ähnlichen sich zu unterziehen...; pfeilschnell flohen wir nun durch eine liebliche Aue der versteckten Stadt zu ..., Graz war erreicht – unter der gedeckten Brücke durch, am rechten Ufer betraten wir das Land.“
Und die „Grätzer Zeitung“ vom 20. August 1825 vermeldete unter „Angekommen in Grätz“: „Hr. Kyselak K.K. Hofkammer Conceptspracticant, von Wien, woh. Beym Wilden Mann in der Stadt.“
Obstbäume statt Palisaden#
„Das Haupt von Graz, ich meine den Schloßberg, hat durch die bitteren Wunden des Jahres 1809 sein früheres Antlitz ganz verloren; doch gewinnt die Stadt durch dessen gemilderte Miene an Freundlichkeit ungemein ... Statt Palisaden reihen sich Obstbäume, statt Bajonetten – Blumenkohl“, schreibt Kyselak. Auch für die holde Weiblichkeit hat er einen Blick: „Bescheiden hüllt sich das Bürgermädchen in die lieblich sie formende einfache Korsette, weißen Rock mit schwarz seidenem Vortuche ... lieblich schweben sie daher die munteren frischwangigen blonden oder brünetten Mädchen.“ Dann wirft er einen Blick auf den Gries: „Die Murvorstadt ist zwar die belebteste, aber gewiss nicht die solideste.“ Im Pumperwaldel (heute Augartenbad) wohnte er am Sonntag einem Feuerwerk bei, sieht Bierschenken und Kegelbahnen, „kann sich aber nicht der aufgeopferten Zeit erfreuen“.
1828 nimmt Kyselak wieder Urlaub und bricht zu einer zweiten Reise auf. Ein Buch kann er aber nicht mehr schreiben. 1831 bricht in Wien die Cholera aus – und Kyselak isst Unmengen an Zwetschken, die als besondere Ansteckungsgefahr gelten. Als er von der Cholera befallen ist, weist er den Arzt von sich, der ihn deshalb anzeigt. Mit knapp 31 Jahren stirbt Joseph Kyselak, der erste Graffiti-Künstler, an der von ihm so grob unterschätzten Cholera.
zur Übersicht