Der Fenstersturz von St. Lorenzen#
Am 8. Mai 1921 kam es in St. Lorenzen bei einer politischen Versammlung zum Tumult, bei dem Landeshauptmann Anton Rintelen aus dem Fenster geworfen wurde.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Am Sonntag, dem 8. Mai 1921, fand im Gasthaus Pesl in St. Lorenzen im Mürztal eine Versammlung christlichsozialer Bauernvertreter statt. Plötzlich drangen Arbeiter in den Saal und beschuldigten Landeshauptmann Anton Rintelen als „Arbeitermörder“, weil wenige Wochen zuvor die Polizei in Graz auf hungernde und deshalb plündernde Arbeiterfrauen geschossen hatte. Rintelen galt als nationaler und skrupelloser Machtpolitiker der christlichsozialen Partei, der von 1919 bis 1926 und von 1928 bis 1933 steiermärkischer Landeshauptmann war und als solcher eine oft dubiose Rolle in der Politik der Ersten Republik spielte. Rintelen war auch Vorsitzender des Bundesrates, Abgeordneter zum Nationalrat und zwei Mal (1926, 1932-33) Unterrichtsminister, wurde aber als gefährlicher Konkurrent von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß aus dem Kabinett eliminiert und als Gesandter nach Rom abgeschoben, wo er mit den Nationalsozialisten konspirierte und auch in den Putsch vom 25. Juli 1934 verwickelt war, in dessen Folge Dollfuß ermordet wurde. Ja, Rintelen hätte sogar Bundeskanzler werden sollen, wäre der Nazi-Putsch erfolgreich gewesen, wurde damals von den Putschisten bereits über Radio verkündet - bevor der Putsch niedergeschlagen wurde. Dafür wurde Rintelen in einem Hochverratsprozess zu lebenslangem Kerker verurteilt, aber durch die im Berchtesgadener Abkommen verkündete Generalamnestie wieder auf freien Fuß gesetzt. Politisch aber war er weg vom Fenster und konnte nie wieder zurückkehren.
Aber noch sind wir im St. Lorenzen des 8. Mai 1921: Nach den Anpöbelungen kam es nun zu tätlichen Angriffen auf die anwesenden Politiker, bis schließlich Rintelen, Landesrat Dechant Franz Prisching und der Abgeordnete Josef Pichler aus cirka 2,30 Meter Höhe aus einem Fenster des Saales geworfen wurden.
Die Poltiker flüchteten auf der Landstraße nach Westen und wurden von den erzürnten Arbeitern verfolgt, bedroht und misshandelt. Sie versuchten sogar, den umstrittenen Landeshauptmann im Teich des nahen Schlosses Nechelheim zu ertränken, konnten aber von einem Ortsbewohner, dem evangelischen Senior Karl Eckhardt, daran gehindert werden. Josef Pichler hatte inzwischen die Gendarmerie im nahen St. Marein zu Hilfe gerufen. Landeshauptmann Rintelen und die anderen Politiker wurden von Vertrauensmännern der Arbeiter sicher nach St. Lorenzen zurückgebracht, von wo aus sie schnell wieder nach Graz abreisten.
Am nächsten Tag wurden mehrere Beteiligte an dem Tumult verhaftet, aber bald wieder freigesetzt, weil die Wehrverbände der Kapfenberger und Brucker Arbeiter alle Verkehrsverbindungen und Pässe gesperrt hatten, damit die Verhafteten nicht nach Graz oder Leoben transportiert werden konnten. Einige mussten sich aber doch später vor Gericht verantworten, gegen fünf Männer wurden geringe Freiheitsstrafen unter zwei Monaten verhängt.
Aber das politische Klima in der Obersteiemark verschärfte sich in den folgtenden Jahren weiter und am 18. August 1929 kam es wiederum in St. Lorenzen im Mürztal zu einem Feuergefecht zwischen Angehörigen vom Steirischen Heímatschutz und vom Republikanischen Schutzbund, bei dem drei Menschen ums Leben kamen und zahlreiche Anwesende verletzt wurden. Aber das ist bereits die nächste Damals-Geschichte.
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