Die Katastrophe von St. Lorenzen#
Die politischen Unruhen in St. Lorenzen gehen weiter: am 18. August 1929 kommt es zu Kampfhandlungen mit drei Toten und 250 Verletzten.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
In der politisch so unruhigen Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg kam es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen den paramilitärischen Organisationen der Christlichsozialen und der Sozialdemokratischen Partei, also zwischen Heimwehr und Republikanischem Schutzbund. Als die Roten am 18. August 1929 in St. Lorenzen im Mürztal das zehnjährige Gründungsfest der sozialdemokratischen Lokalorganisation groß feiern wollten, stellte sich heraus, dass zum selben Termin am selben Ort auch der schwarze Heimatschutz eine größere Werbeveranstaltung geplant hatte. Da Landeshauptmann Rintelen zu Recht einen Zusammenstoß der verfeindeten Gruppierungen befürchtete, beauftragte er die Bezirkshauptmannschaft von Bruck an der Mur das zu verhindern. Und wirklich teilte nun die Heimwehr mit, ihre Veranstaltung nach Thörl verlegen zu wollen. Das aber wurde vom Schutzbund als Feigheit ausgelegt, der „Arbeiterwille“ schrieb sogar, dass die Heimwehrler jetzt den „Hahnenschwanz“ eingezogen hätten, was die andere Seite arg provozierte. Als nun am Nachmittag des 18. August 1929 an die 500 Schutzbündler unter Führung des sozialdemokratischen Landtagsabegordneten Koloman Wallisch aus Bruck und Kapfenberg mit der Bahn zum Versammlungsplatz in St. Lorenzen anreisten, mussten sie feststellen, dass dieser bereits von mehr als 1000 Heimatschützlern besetzt war, schreibt Gernot Hasiba in „Die Ereigniss von St. Lorenzen im Mürztal als auslösendes Element der Verfassungsreform von 1929“.
Wallisch marschierte daraufhin mit seinen Anhängern zum Kirchplatz und begann mit seiner Festrede, der gut 1500 Parteiangehörige beiwohnten. Dort aber war keine Versammlung angemeldet worden, also schritten die zwei Ortsgendarmen ein und wollten die Versammlung auflösen. Dabei kam es aber zu einem Handgemenge zwischen Schutzbundleuten und Heimatschützern. „Mit Steinen und Latten begann die Auseinandersetzung, der Einsatz von Pistolen, Jagd- und sogar Maschingengewehren beendete diese“, berichtet Hasiba. Auf der Strecke blieben die drei toten Schutzbündler Karl Hauer, Franz Hübl und Johann Schifkovits sowie zwei schwer- und etwa 200 leichtverletzte Schutzbündler. Auf der Gegenseite des Heimatschutzes zählte man 30 Schwer- und 20 Leichtverletzte.
Die Parteizeitungen „Tagespost“ und „Arbeiterwille“ überschlugen sich in den nächsten Tagen mit Schuldzuweisungen, wer diesen Kampf begonnen hatte. Von „mörderischem Vorgehen“ der Arbeiter und Eisenbahner und von einem „regelrechten Sturm auf die sozialdemokratischen Versammlungsteilnehmer“ durch die Heimatschützler war da die Rede. Wer wirklich zuerst schoss, ist ungeklärt. Trotz Waffenverbots hatten die Schutzbundleute Pistolen mitgebracht und die Heimwehrler hatten überraschend schnell Gewehre und sogar ein Maschinengewehr zur Verfügung. Der Brucker Bezirkshauptmann Dr. Rattek erklärte auf den Vorwurf der mangelhaften Waffendurchsuchung der per Bahn angereisten Versammlungsteilnehmer sehr blauäugig, „daß die Landesregierung niemals eine Weisung wegen Waffendurchsuchung nach verborgen getragenen Waffen erteilt habe“. Auf sichtbare Waffen hätte man ohnehin geachtet, aber keine gefunden!
Innenpolitisch blieben die Ereignisse aber nicht ohne Folgen: Die Regierung unter Bundeskanzler Streeruwitz musste zurücktreten, ihm folgte der parteilose Wiener Polizeipräsident Johannes Schober als Kanzler, der am 7. Dezember 1929 eine gemäßgte Verfassungsreform durchsetzte, welche zu einer Machtverschiebung vom Parlament zum Bundepräsidenten führte. Ab nun wird er direkt vom Volk gewählt, ernennt die Regierung, kann das Parlament auflösen und ist Oberbefehlshaber des Bundesheeres.
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