Der vergessene Komponist#
Vor 150 Jahren wurde in Graz der heute vergessene Leopold Stolz, Kapellmeister, Dirigent und Komponist, vor allem aber älterer Bruder des einst weltberühmten Operettenmeisters Robert Stolz, geboren.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Viele kennen heute noch Robert Stolz, der als letzter Meister der Operette gilt, als Filmmusik-Komponist weltberühmt war und zwei Mal für den Oscar nominiert wurde. Aber die Grazer Familie Stolz hatte mehrere Mitglieder, die musikalisch hochtalentiert waren. Schon der Vater Jakob Stolz (1832-1919) war Komponist und Musiklehrer, der in seiner Heimatstadt eine private Musikschule im Palais Inzaghi am Mehlplatz 1 leitete und auch als Operndirigent tätig war. Seine Ehefrau Ida Carolina Stolz, geborene Bondy (1841-1903) war Pianistin und auch die Freunde der Familie, Anton Bruckner und Johannes Brahms, sorgten für so manche musikalische Anregung.
In diese musische Familie wurde am 8. September 1866 im Haus Schmiedgasse 26, an dessen Stelle heute das Amtshaus steht, als drittes Kind Leopold Jakob Stolz geboren. Er sollte als „Vergessener“ in die Musikgeschichte eingehen, der immer im Schatten seines berühmten jüngeren Bruders stand. „Vielleicht war das der Grund dafür, dass die geschwisterlichen Beziehungen eher unterkühlt blieben, was man aus dem Briefwechsel zwischen Leopold und seiner Schwester Mizzi (Maria Lesky geb. Stolz) schließen kann. Wobei auch betont werden muss, dass der Altersunterschied von 14 Jahren zwischen den beiden Brüdern schon von Haus aus dafür sorgte, dass sie sich nicht allzu nahe kommen konnten, da sich Leopold bereits außer Haus befand, als Robert noch ein Kleinkind war“, schreibt Matthäus Kessler, der Chronist von Leopold Stolz und Verlobte von Arabelle Gleich, einer Enkelin des Musikers.
„Für die Diskrepanz mögen aber auch die charakterlichen Unterschiede gesorgt haben. Robert war von optimistischem Gemüt und bekam die volle Elternliebe eines Nesthäkchens geschenkt, während Leopold oft eine tiefe Traurigkeit plagte, die später ein Nervenleiden nach sich zog. Vermutlich auch eine Folge der hohen Kindersterblichkeit in der Stolz'schen Familie, in der von 13 Kindern nur sieben überlebten“, berichtet der Chronist. So musste Leopold „mehr als einmal mit ansehen, wie seine geliebten Geschwister verstarben. Besonders für eines hatte er eine besondere Erwähnung gefunden: das Margaretchen. Wenn man eines seiner Totenlieder hört, kann man seine tiefe Traurigkeit über den Verlust des geliebten Schwesterleins fast körperlich spüren.“
Dieser hochsensible und mitfühlend-zerbrechliche Leopold war nie vom Glück verfolgt, feierte nur anfangs berufliche Erfolge. Die erste Ausbildung erhielt er in der Musikschule seines Vaters, dann trat er 1884 ins Steirische k.u.k. Feldjägerbataillon Nr. 9 ein, das in der Kaserne in der Dreihackengasse stationiert war. 1886 wurde er ins Königliche Conservatorium der Musik in Leipzig aufgenommen, heiratete die Opernsängerin Aloisia Karetta (1869-1913) und wurde Kapellmeister in Berlin, danach in Karlsbad, Budweis-Eger, Wiesbaden und bei den Bayreuther Festspielen. Dieser Ehe entstammen drei Kinder. Nach dem Tod seines Vaters zog Leopold 1919 in dessen Grazer Wohnung und setzte sich aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig zur Ruhe. 1921 schon übersiedelte er wieder nach Berlin-Charlottenburg, wo er 1940 Marie Auguste Schönicke heiratete, die aber bereits 1943 starb, Leopold komponierte sein Werk „Tote Liebe“. Im selben Jahr wurde sein Anwesen durch Bombentreffer völlig zerstört, dabei wurde auch ein Großteil seiner musikalischen Werke vernichtet. 1945 flüchtete er nach Lohr am Main, wo er Anna Maria Zöpf heiratete und wieder Vater von drei Kindern wurde, deren letztes er mit 85 Jahren zeugte. 1955 diktierte er seine Memoiren, in denen er sich selbst als einen Vergessenen bezeichnete. Seine Tochter Margarete Stolz-Wreford erinnert sich an ihn: „Er war groß und hager, streng und gutherzig zugleich, ging nur mit Anzug, Fliege und seinem Strohhut aus dem Haus ... Papa phantasierte täglich auf dem Klavier. Er spielte so ungeheuer schön, dass bei seinem geöffnetem Fenster zum Hinterhof die Bewohner unseres Hauses innehielten, um diesen herrlichen Tönen zuzuhören.“ 1957 starb Leopold mit fast 91 Jahren mittellos und hinterließ eine junge Familie, die sich kaum über Wasser halten konnte. Vielleicht könnte auch er seinen Platz im längst überfälligen Robert-Stolz-Museum in Graz erhalten?
zur Übersicht