Die Geschichte der vier Grazer Rathäuser #
Wie Graz zu seinem Rathaus kam und dieses im Laufe der Jahrhunderte zweimal völlig umgebaut wurde. Fast hätte man dann aber 1962 alles wieder zurückgebaut – und den Häusern am Hauptplatz „angepasst“.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Stellen Sie sich einfach vor, der Hauptplatz wäre doppelt so groß – dann haben Sie einen Eindruck, welches Ausmaß er im Mittelalter hatte. Denn damals reichte er bis zur Landhausgasse, von einem Rathaus war weit und breit keine Spur.
Kein Wunder, denn Graz hatte zu dieser Zeit auch keines. Erst 1375 wird ein „Stadthaus“ erwähnt. 1448 erklärte Kaiser Friedrich III. das alte Kanzleihaus neben der Judengasse (vermutlich die Frauengasse) zum Rathaus und befreite es von jeder Steuerlast. Überdies durfte hier eine Taverne geführt werden, in welscher Wein ausgeschenkt wurde.
Doch um 1550 war es so weit und Graz erhielt ein richtiges Rathaus direkt auf dem Hauptplatz, wie es sich gehört: Ein Renaissancebau, den man sich ähnlich wie das Landhaus vorstellen muss. „Die aus der Mitte gerückte Portalachse mit Balkon und Dachreiter verlieh dem Gebäude die entsprechende Dominanz“, heißt es in der österreichischen Kunsttopographie.
Im obersten Stock dieses Rathauses waren sowohl die Gefängnisse als auch die Wohnungen der Aufseher untergebracht – ohne sanitäre Anlagen und Heizung. Wer sich nicht von Verwandten etwas zum Essen bringen ließ, musste als Gefangener Hunger leiden. Aber zwischendurch scheint es hier auch recht lustig zugegangen zu sein. Denn 1647 befahl die Stadtregierung dem Stadtrichter, bei den im Rathaus gefangenen „ledigen Menschern“ das Geigen, Singen und Tanzen abzustellen, das bei den Bürgern auf der Straße „nicht geringes Ärgernis auslöse“.
Ungeschickter Henker#
Selbst im großen Saal des Rathauses ging es manchmal ganz schön blutig zu, wenn die Todesurteile an hochgestellten Personen vollstreckt wurden. Denn diese Herrschaften sollten nicht dem gemeinen Pöbel zum Gaffen vorgeführt werden. So geschehen am 1. Dezember 1671, als der Regierungsrat Johann Erasmus von Tattenbach wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde. Doch der Scharfrichter agierte so ungeschickt, dass der Kopf des Delinquenten erst nach dem dritten Schwerthieb fiel.
Von 1803 bis 1807 wurde dieses erste Rathaus jedoch nach den Plänen des Grazer Architekten Christoph Stadler zu einem repräsentativen Gebäude umgebaut. Der klassizistischen Fassade war nun in der Mitte ein von Säulen getragener Balkon vorgelagert, und eine Attika mit Uhr ersetzte den bisherigen Dachreiter. Das Rathaus, das so eher einem vornehmen Stadtpalais glich, wurde 1843 noch als „unstreitig derzeit das schönste Gebäude der Stadt“ bezeichnet.
Aber Geschmäcker ändern sich bekanntlich und auch der Platzbedarf. 1869 hatte die Stadt eine „Gemeinde-Sparcasse“ gegründet und in zwei Erdgeschossräumen des Rathauses untergebracht, die bald aus allen Nähten platzten. Auch entsprach das Gebäude nicht mehr dem neuen Selbstbewusstsein des liberalen Bürgertums. Also wurde 1880 die Planung eines großzügig angelegten Rathauses beauftragt, das den ganzen Häuserblock umfassen und das alte Rathaus eingliedern sollte. Aber die Stadt hatte ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn die Eigentümer von vier Häusern in Herrengasse und Landhausgassewollten ihren Besitz nicht verkaufen.
Wo soll das Rathaus hin?#
Die langwierigen Verhandlungen ärgerten die Grazer. Man spekulierte mit einer Verlegung des neuen Rathauses auf den Jakominiplatz oder den soeben geschaffenen Joanneumring – also wie in Wien an den Rand der Altstadt. Schließlich blieb alles beim alten und das Rathaus wurde nach Plänen der Architekten Wielemans und Reuter um- und ausgebaut. Am10. Dezember 1894 fand unter Vorsitz von Bürgermeister Ferdinand Portugall die erste Gemeinderatssitzung im neuen Rathaus statt, das mit seiner späthistoristisch- altdeutschen Fassade und den verspielten Erkern, Nischen und Balkonen wie aus einem Zuckerguss wirkte – nicht zu vergessen die Kuppel, die den Hauptplatz um 55 Meter überragt. Bald fand man aber den „Zuckerguss“ zu süß – und so kam es 1922 und 1927 zu Reduzierungen des üppigen Fassadendekors.
1962 beschloss der Gemeinderat unter dem Motto „zurück zum Klassizismus“ einen Ideenwettbewerb für eine neue Rathausfassade. Eine Volksbefragung ging aber mit großer Mehrheit zugunsten der Renovierung der bestehenden Fassade aus. Die Grazer hatten ihr Zuckerguss-Rathaus schon sehr lieb gewonnen.
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