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Im tiefen Wald traf man früher die Ameisler#

Ameisler oder Amastrager sammelten und trockneten die Puppen der Wald- ameisen und verkauften sie als Vogelfutter#


Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung


Der Ameisler Moritz Stehr aus St. Sebastian bei Mariazell
Der Ameisler Moritz Stehr aus St. Sebastian bei Mariazell, unter PD

Wissen Sie, was ein Ameisler oder Amastrager ist? Ich kannte diese Begriffe auch nicht, bis mir kürzlich der bekannte steirische Autor Franz Preitler von seinem neuen Buch „Sagenhaftes Mariazellerland. Geheimnisvolle Geschichten zwischen Ötscher und Hochschwab“ erzählte, in dem er auch über den Ameisler schreibt, und was Peter Rosegger im Heimgarten 1883/84 über ihn berichtet hat: „Im Walde kannst du manchmal einem sonderbaren Mann begegnen. Seinem zerfahrenen Gewande nach könnte es ein Bettelmann sein; er trägt auch einen großen Sack auf dem Rücken. Aber über diesem Bündel und an all seinen Gliedern ... laufen in aller Hast zahllose Ameisen auf und nieder, hin und her ... Der Mann ist ein Ameisler. Er geht aus, um die Puppen der Ameisen, die Ameiseneier, zu sammeln, die er in Markt und Stadt als Futter für gefangene Vögel verkauft. Er sammelt auch die Harzkörner aus den Ameisenhaufen, um solche als den in der Bauernschaft beliebten Waldrauch, der in den Häusern besonders bei Krankheiten als Räucherungsmittel dient, oder gar als Weihrauch zu kirchlichen Zwecken zu verwerten.“ So schreibt der steirische Heimatdichter über diesen historischen Beruf, der seit dem 17. Jahrhundert in Teilen Österreichs, Bayerns und Böhmens nachgewiesen ist und ganz besonders im Grenzgebiet zwischen Niederösterreich und der Steiermark zu Hause war. Interessantes dazu erfährt man auch im Naturkundemuseum im Heimathaus Mariazell.

Aus dem Jahr 1930, also etwa 40 Jahre nach Roseggers Beschreibung, stammt ein Foto, das einen Mann mit kurzer, speckiger Lederhose zeigt, mit aufgekrempeltem Hemd und Gilet sowie Hut auf dem Kopf - einen Ameisler. Am Rücken trägt er eine Buckelkraxe. Dieser Ameisler ist namentlich bekannt als der Keuschler Moritz Stehr, der im niederösterreichischen Ort Erlaufklause wohnte, aber aus dem steirischen St. Sebastian bei Mariazell stammte.

Die Ameiseneier wurden also „in Markt und Stadt“ als Futter für gefangene Vögel verkauft. Vor allem für den großen Wiener Markt wurde gearbeitet, meistens nebenberuflich und auf Bestellung. Das Sammeln von Ameisenpuppen konnte durchaus lukrativ sein, denn 1859 erzielte man für eine Saisonernte von 20 Metzen (ein österreichischer Metzen waren 61,48 Liter) 150 bis 500 Gulden. Noch in den 1960er-Jahren konnte man sich mit dem Saisonerlös von vier bis sechs Wochen Sammeltätigkeit einen der damals noch teuren Fernsehapparate kaufen. Daneben fand auch das beim Ameisln gewonnene „Oalpech“ (Harzkörner) gute Verwendung. Bauerdoktoren wie der „Steirerdocter“ setzten es neben dem „Amasgeist“ bei Krankheiten als Räucherungsmittel oder als Weihrauch ein. Auch von den Mariazeller Devotionalienhändlern wurde es zum Kauf angeboten und war sogar in der Apotheke erhältlich. Einst wurde es auch als „wilder Weihrauch“ bezeichnet. Als Schutz vor der Ameisensäure rieben sich Ameisler übrigens ihre Hände mit Terpentin oder Holunderblüten ein.

Wer aber waren die Abnehmer dieser als „Ameiseneier“ bezeichneten Puppen? Schon 1438 beschrieb Enea Silvio Piccolomini eine besondere Gewohnheit der Wiener: „In den Sälen und Sommerstuben halten sie so viele Vögel, dass der, so durch die Stadt geht, wohl wähnen möchte, er sei inmitten eines großen lustigen Waldes.“ Und in der Barockzeit hörte man „bald in jedem Haus ein Vögelein…wie Flöten pfeifende Kanari, schwatzende Papageien etc.“ Auch noch 1789 berichtete ein Reisender: „In allen Fenstern hängen schöne Käfige mit Nachtigallen, Kanarienvögeln, Gimpeln, Amseln, Lerchen und anderen Singvögeln.“ Im 19. Jahrhundert war es vor allem die Nachtigall, für die Ameisenpuppen gekauft wurden, aber auch Kanarienvögel wurden damit gefüttert, wofür die „Ameiseyer“ als Beispiel stehen, die Wolfgang A. Mozart 1789 an seine in Baden auf Kur weilende Gattin gesandt hat. Aber auch junge Hühner wurden mit frischen Ameiseneiern gefüttert - und Fische, ganz besonders Forellen. Aber 1966 wurden keine Genehmigungen mehr zum Sammeln der Puppen der Roten Waldameise ausgegeben, denn man hatte erkannt, dass durch den Vogelfang und das Puppensammeln das ökologische Gleichgewicht im Wald gestört wird. Anfangs 1967 wurden die Sammelbewilligungen gänzlich eingezogen.

Erlaubnisschein fürs Ameiseln aus dem Jahr 1953
Erlaubnisschein fürs Ameiseln aus dem Jahr 1953, unter PD
'Der Steirerdocter', gezeichnet von Johannes Mayerhofer 1898
"Der Steirerdocter", gezeichnet von Johannes Mayerhofer 1898, unter PD
Zumeist in weit entfernten Waldgebieten sammelten die Ameisler anonym die Ameisenpuppen ein
Zumeist in weit entfernten Waldgebieten sammelten die Ameisler anonym die Ameisenpuppen ein
Foto: APA/GINDL



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© "Damals in Graz", Dr. Robert Engele