Mahnmal Kreuzstadl#
Der wegen seines kreuzförmigen Grundrisses so genannte Kreuzstadl des ehemaligen Meierhofes des Gutes Bátthyány in der Gemeinde Rechnitz an der ungarischen Grenze ist heute nur mehr als Ruine erhalten und Symbol für eines der grausamsten Verbrechen während der NS-Zeit und für die Verdrängung nach Kriegsende.
Das Mahnmal erinnert nicht nur an die in der Nähe des Kreuzstadls ermordeten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter, sondern steht auch stellvertretend für eine überregionale Gedenkkultur. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in vielen größeren und kleineren Orten entlang der Grenze, teils auch auf ungarischem Gebiet, Menschen bei Schanzarbeiten für den sogenannten Südostwall oder auf mehreren Todesmärschen ermordet worden sind.
Für weitere Details siehe die ausführliche Website zum Thema Kreuzstadl
Das Gefolgsschaftsfest#
Weiter warten auf eine Gedenkstätte und ein Freilichtmuseum im Burgenland: Was geschah im Kreuzstadl von Rechnitz?
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Ein Lokalaugenschein von Marta S. Halpert
Unverschämt hell und freundlich strahlt die Sonne auf das frische, gesunde Gras und die Reste einer morschen Ziegelmauer. Und frühlingshaft frech, ja provokant normal ist die Stimmung an diesem Sonntag. Obwohl der schlanke, hochgewachsene Mann im eleganten schwarzen Anzug mit der schlohweißen dichten Haarmähne so gar nicht hierherpasst. Dabei sind die letzten 67 Jahre seines Lebens großteils von diesem Flecken Erde dominiert: Gabor Vadäsz, Facharzt für Chirurgie und Anästhesie in Budapest, gedenkt seines Vaters, der in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 ermordet wurde, in Rechnitz, Burgenland, Republik Österreich.
Vadäsz weiß dabei nicht, ob unter der Grasdecke, auf der er steht - 47 Grad 18 nördlicher Breite, 16 Grad 27 östlicher Länge - jemals Gebeine verscharrt worden sind. Als sogar Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer da war, nahm sich Vadäsz ein Herz und sagte zu ihm: „Ich stehe tief getroffen auf dem Boden der geheimen und verschwundenen Gräber. Es ist schrecklich und schmerzlich, dass die ganze Gemeinde Rechnitz die Ruhestätte von zweihundert Toten ist - aber den genauen Ort des Massakers bis heute geheim hält..."
Rechnitz, das ist eine 3000-Seelen-Kommune, ungarisch Rohonc, kroatisch Rohunac. Rechnitz ist aber auch eine jüdische Kommune mit einer barocken Synagoge. Im 19. Jahrhundert lebten an die tausend Juden hier; und sie kamen ohne Konflikte mit den Christen zurecht. Nicht weit entfernt liegt überdies Köszeg, auf Deutsch Güns, die Stadt, die jedes ungarische Schulkind kennt. Denn die befestigte Burgsiedlung hat sich 1532 gegen 18 türkische Sturmangriffe heldenhaft verteidigt. Und dann schlug 1664 im nahen Mogersdorf auch Raimund von Montecuccoli ein 50.000-Mann-Heer der Türken vernichtend. Die Juden, die hier überall gelebt haben, waren loyal. Ihr Geld war es, das die Verteidigung finanzierte und später den Aufstieg Westungarns von einem agrarischen Kronland zu einer Industriegesellschaft möglich machte.
Jetzt steht hier nur eine Ziegelwand, eine alte Wand. Lassen sich wenigstens die Schreckenstaten der Großväter und Urgroßväter aufarbeiten? Und was war in Rechnitz eigentlich los? Warum der Aufwand?
Es ist jetzt fast sieben Jahrzehnte her, dass die Deutsche Wehrmacht ganz Ungarn besetzt hielt, militärisch aber die von den faschistischen Pfeilkreuzlern offiziell besetzte ungarische Tiefebene aufgeben musste - verfolgt von der Roten Armee, für die Wien das nächste Ziel ihres Vormarsches war. Also dekretierten Hitler und seine Generäle in Berlin, es müsse ein gigantischer Abwehrriegel entstehen, der „Südostwall"; und das entlang der gesamten (heutigen) Grenze zwischen dem Burgenland und Niederösterreich. So begann ein riesenhaftes Unternehmen, organisiert von einem Mordregime. Man trieb die jüdischen Ungarn zusammen, verfrachtete sie nach Westen und ließ sie dort brutalste Sklavenarbeit ausführen. Der Kommandant im Abschnitt Rechnitz war der SS-Panzeroffizier Willi Schweitzer. Er erhielt noch in den letzten Stunden des Krieges das Ritterkreuz.
Das Massaker im Kreuzstadl von Rechnitz fand nur wenige Tage vor dem Kampfeinsatz der 37. Gardeschützenkorps der Roten Armee statt. Am 24. März 1945 wurden an die tausend ungarische Juden von Köszeg-Güns mit der Eisenbahn nach Burg-Övär transportiert, wo sie eingesetzt werden sollten. Zweihundert der deportierten, völlig erschöpften Menschen wurden jedoch wieder zum Bahnhof Rechnitz zurückgebracht, da sie für den Arbeitseinsatz teils zu krank, teils körperlich zu geschwächt waren.
DER MASSENMORD. #
Zum Ablauf des Geschehens in Rechnitz hat der Historiker Walter Manoschek jene Fakten zusammengetragen, die anhand gerichtlicher Aufzeichnungen und Zeugenaussagen gesichert sind:
Der Rechnitzer NSDAP-Ortsgruppenleiter und Gestapo-Beamte Franz Podezin, der Gutsverwalter des Schlosses des Grafenpaars Batthyäny - Hans Joachim Oldenburg - sowie der Hundertschaftsführer Stefan Beigelbeck warten am 24. März auf das Eintreffen des Zuges. Als dieser gegen 17 Uhr einfährt, werden die jüdischen Zwangsarbeiter „ausgeladen" und lagern unter der Bewachung von Beigelbeck im Bahnhofsgelände. Paul Karl Somogyi gehört zu jenen, die ab dem frühen Nachmittag einen etwa 200 Meter langen und zwei Meter tiefen Graben ausschaufeln müssen. Während er bis zwei Uhr früh des 25. März schaufelt, beginnt am frühen Abend ein „Gefolgschaftsfest" im Schloss Batthyäny. Dieses findet aber nicht im großen Festsaal des Schlosses, sondern in einem Raum der Gutsverwaltung im Erdgeschoß statt. Organisiert wird das Fest vom Unterabschnittsleiter Josef Muralter. Ob das Grafenpaar Batthyäny daran teilgenommen hat, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Faktum ist hingegen, dass der Gestapo-Beamte Podezin im Laufe des Abends einen Anruf erhält, die Lehrerin Hildegard Stadler zu beauftragen, die Festteilnehmer in ein Magazin zu führen. Stadler war Lehrerin und als Kanzleikraft für den Südostwallbau im Schloss Rechnitz tätig. Seit 1939 NSDAP-Mitglied und Leiterin des „Bundes Deutscher Mädel" (BDM), wird ihr später die aktive Beteiligung an den Massenmorden nachgesagt werden.
Podezin erfindet später kurzerhand eine Lüge: Die am Bahnhof befindlichen Juden würden an Fleckfieber leiden und müssten daher erschossen werden. Wer mit Podezin und Stadler gemeinsam im Magazin war, ist nicht geklärt, da Stadler später angab, sich an keine der Personen namentlich zu erinnern. Daher konnte ein Gericht später auch nicht klären, wer noch beim Kreuzstadl anwesend war. Der LKW-Unternehmer Ostermann sagte als Zeuge aus, dass er zwischen ein und drei Uhr morgens insgesamt sieben Mal jeweils 30 bis 40 Juden zur Erschießungsstätte transportiert habe. Die Opfer seien vollkommen entkleidet gewesen und wurden durch Kopfschüsse in die Grube gekippt. Am Abend des 25. März entledigte man sich noch weiterer 18 Juden beim Rechnitzer Schlachthaus: Sie waren für die Totengräberarbeiten in der Nacht davor eingesetzt worden.
Die Schlussfolgerung des Historikers Walter Manoschek: „Mit Sicherheit handelt es sich nicht um eine spontane exzessive Tat oder um ein mörderisches 'Partyvergnügen' eines betrunkenen Haufens Nazis. Das Verbrechen war - möglicherweise recht kurzfristig - genau geplant und organisiert worden."
SCHWEIGEMAUER.#
„Warum und wie konnten sie das tun?", fragt der Humanmediziner Gabor Vadäsz heute - und er erzählt von seiner Mutter, die seit 67 Jahren von den verschiedensten österreichischen Behörden Antwort auf ihre Fragen erhalten wollte. Vadäsz berichtet: „Mit der ersten Ausreiseerlaubnis kamen wir hierher: Ich war mit ihr bei dem damals noch im Maisfeld verborgenen, verfallenen Kreuzstadl. Und wir versuchten, die älteren Bürger von Rechnitz zu befragen. Aber wir sind auf eine Mauer des Schweigens gestoßen." Schließlich ist es auch nur der Initiative von Privatpersonen zu danken, dass die Erinnerung an die Opfer des Rechnitzer Massakers bis heute wachgehalten wurde. Fernab des gleißenden Scheinwerferlichts, in dem er sonst als virtuoser Pianist und Komponist wahrgenommen wird, hat sich Paul Gulda, Sohn von Friedrich Gulda und Paola Loew, schon seit Februar 1991 an der Bildung der Initiativgruppe RE.F.U.G.I.U.S („Rechnitzer Flüchtlings-Gedenkinitiative und Stiftung") beteiligt. Es sind engagierte Lehrer, Historiker und Journalisten, die nicht zu den Schweigenden gehören wollen - so Paul Gulda. Und: „Wir sind überzeugt, damit den Opfern Pietät zu erweisen und gleichzeitig einen konstruktiven und nachhaltigen Beitrag zur politischen Kultur unserer Region zu leisten."
Auf den Schautafeln des kleinen Freilichtmuseums kann man nur sechs Schicksale nachlesen. Ein vergilbtes Foto zeigt einen schmalen jungen Mann in Uniform: Gabors Vater Geza. Er und sein Zwillingsbruder Arpad wurden 1887 in Ungarn geboren. Geza diente im Ersten Weltkrieg in der k.u.k. Armee als Offizier. 1932 heiratet er und führte gemeinsam mit seiner Frau ein Import-Geschäft. Ab 1941 wurde er zum Arbeitsdienst beim ungarischen Militär gezwungen, zuvor wurde ihm der militärische Rang in der österreichischen Armee aberkannt ... Jetzt ist er hier irgendwo eingescharrt. Wie oft noch wird das Gras dort sprießen, um ein Geheimnis zu bewahren? Ein Geheimnis als Trauma?
Mit freundlicher Genehmigung der niederösterreichischen Kulturzeitschrift morgen 4/12