Die Wirklichkeit als Katastrophe #
Naturkatastrophen und von Menschenhand herbeigeführte Gefahren fördern Endzeitfantasien. Apokalyptik ist auch in der Gegenwart unheimlich modern.#
Der folgenden Essay stammt mit freundlicher Genehmigung aus: DIE FURCHE (27. Oktober 2011).
Von
Ulrich H. J. Körtner
„Das griechische Wort ‚apokalypsis‘ bedeutet Offenbarung oder Enthüllung: Apokalyptik ist die Enthüllung der Wirklichkeit im Untergang.“
Wieder einmal naht das Ende, dieses Mal nicht nach christlicher Zeitrechnung, sondern nach dem Kalender der Maya: Der endet am 21. Dezember 2012. Regisseur Roland Emmerich hat das Publikum schon vor zwei Jahren mit seinem Film 2012 auf die bevorstehende Katastrophe eingestimmt. Sage niemand, man habe uns nicht gewarnt!
Die Handlung des Films ist einigermaßen vorhersehbar und dennoch in mehrfacher Hinsicht interessant. Einerseits liefert der Streifen Indizien dafür, wie sehr eine nachchristliche Spiritualität und Weltsicht auf dem Vormarsch ist. Während sich noch 1983 im Katastrophenfilm „The Day After“, der die Welt im Inferno eines Atomkriegs untergehen ließ, die Überlebenden unter Leitung eines christlichen Geistlichen zum Gebet sammelten, taucht in „2012“ nur ganz am Rande der Papst als christliche Symbolfigur auf. Er flüchtet sich auf eines der großen Rettungsschiffe, ohne noch eine religiöse Botschaft zu verkündigen. Dafür spielt ein tibetischer Mönch eine wichtige Nebenrolle.
Ein neuer Untergangsmythos#
Andererseits speist sich Emmerichs Untergangsmythos aus der Kombination einer außerchristlichen Kultur mit biblischen und christlich-apokalyptischen Motiven. Im Grunde erzählt der Film einmal mehr die Geschichte von der Sintflut. Gigantische Archen, die Raumschiffen gleichen, werden am Himalaya gebaut. Biblische Tradition wirkt hier fort.
Die neue Maya-Apokalyptik ist im Grunde ein westliches, vom Christentum beeinflusstes Produkt. Auch die vielzitierte Weissagung der Hopi-Indianer, „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“, ist in Wahrheit nicht indianischen Ursprungs, sondern wurde 1962 von zwei amerikanischen Geografen in Umlauf gebracht. Und die in der Umweltbewegung verbreitete Rede des Häuptlings Seattle, über die gern in christlichen Kirchen gepredigt wird, ist ebenfalls ein moderner Mythos. In den letzten Jahrzehnten sind westliche Gesellschaften immer wieder von apokalyptische Ängsten und Fantasien geplagt worden, im öffentlichen Bewusstsein ebenso wie in der Kunst, im Film und in der Literatur. Die atomare Hochrüstung oder die fortschreitende Zerstörung der Umwelt haben kollektive Visionen des möglichen Untergangs heraufbeschworen. Neben realen Zukunftsängsten steht das Unterhaltungsbedürfnis, z. B. in der Filmindustrie: Die Ängste der krisenanfälligen Moderne paaren sich mit Lust am medial inszenierten Untergang.
Apokalyptik ist die Kehrseite der Utopie. Von Beginn an ist der Fortschrittsoptimismus der Moderne von einer Unterströmung apokalyptischen Denkens begleitet worden. Es beschränkt sich nicht auf Sekten, die immer schon intensive Endzeiterwartungen hegten. Apokalyptische Ängste und die historischen Schrecken, auf die sie reagieren – man denke an die Pest und zahlreiche, durch drohende Hungersnöte und Steuerlasten ausgelöste Aufstände im Mittelalter –, „begleiten die Geburt der modernen Welt“ (Jean Delumeau).
Doch kein „Ende der Geschichte“#
Mit dem Ende des Ost-West- Konflikts schien zunächst der Geist der Utopie wie auch der Gegengeist der Apokalyptik zu erlöschen, war doch anscheinend das Ende der Geschichte (Francis Fukuyama) eingetreten, wenngleich auf eine ganz unapokalyptische Weise. Inzwischen gibt es aber neue Bedrohungspotenziale. Der Terror islamischer Fundamentalisten schürt die westliche Angst vor einem „Clash of civilizations“ (Samuel P. Huntington).
Interessanterweise speist sich auch die religiöse Vorstellungswelt islamistischer Gewalttäter in hohem Maße aus einem apokalyptischen Weltbild. Flutkatastrophen und Klimawandel rücken die ökologische Frage wieder ins öffentliche Bewusstsein. Gleichzeitig kehrt der nach 1989 verloren geglaubte Geist der Utopie in Gestalt einer neuen Technikgläubigkeit wieder. Auch der biomedizinische und gentechnologische Fortschritt löst kollektive Befürchtungen aus.
Es wäre zu einfach, wollte man der Utopie die Hoffnung, der Apokalyptik aber das Gefühl der Angst zuordnen. Apokalyptik als eine Form der Gegenutopie thematisiert Hoffnung und Angst zugleich. Untergangsvisionen bilden nur den dunklen Hintergrund für die apokalyptischen Hoffnungsbilder einer neuen Welt. Neben der traditionellen Form von Apokalyptik gibt es heute freilich eine säkulare, gewissermaßen halbierte Apokalyptik, die wohl das Ende nahen sieht, aber keine Hoffnung auf Erlösung mehr kennt. Anders als die ältere religiöse Apokalyptik kann die säkulare zwischen Ende und Heil, zwischen Endlichkeit und Vollendung keinen Zusammenhang mehr erkennen.
Einsatz gegen das Katastrophische#
Angesichts periodisch aufbrechender Endzeitängste müssen sich Theologie und Kirchen sowohl mit modernen Spielarten von Apokalyptik als auch dem eigenen apokalyptischen Erbe auseinandersetzen. Schließlich hat Jesus den Anbruch der kommenden Gottesherrschaft und das Ende der bestehenden Welt verkündigt. Mit seinen Worten beten die Christen im Vaterunser: „Dein Reich komme.“
Das griechische Wort apokalypsis bedeutet Offenbarung: Apokalyptik enthüllt die Katastrophalität der Wirklichkeit, aber auch die Katastrophalität der Erlösung, für die das Kreuz Christi steht. Apokalyptik ist Enthüllung der Wirklichkeit im Untergang. Ihre Ambivalenz besteht in ihren (Selbst-)Bestrafungs und Rachefantasien, die in eine dem biblischen Evangelium widersprechende Lust am Untergang umschlagen können. Die Haltung des christlichen Glaubens zur Welt ist dialektisch. Einerseits heißt es bei Paulus, die Gestalt dieser Welt werde vergehen. Andererseits aber sagt das Johannesevangelium: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er zu ihrer Rettung den eigenen Sohn gesandt hat. Christi Kreuz ist somit Ausdruck des göttlichen Gerichtes wie der göttlichen Liebe zu seiner Schöpfung. Christlicher Glaube ist Weltbejahung, die durch Weltverneinung hindurchgeht.
Was bedeutet die christliche Botschaft im Zeichen der heutigen globalen Gefahren für Mensch und Natur? Theologisch gilt es, ernstzumachen mit der Einsicht, dass die Menschheit keine Überlebensgarantie hat. Auch der christliche Glaube hat eine solche nicht zu bieten und lässt sich nicht auf den ethischen Appell zur Bewahrung der Schöpfung reduzieren. Christlicher Glaube ist nicht gleichbedeutend mit Hoffnung auf den Fortbestand der Welt. Er ist freilich auch etwas anderes als die apokalyptische Hoffnung auf eine andere Welt jenseits der möglichen Katastrophe. Vielmehr bejaht der Glaube die Welt angesichts ihrer real möglichen Vernichtung.
Allerdings hat sich der Glaube zu bewähren im Einsatz gegen alles Katastrophische, das die Welt apokalyptisch werden lässt. Doch richtet er seine Hoffnung auf Gott als den Herrn der Geschichte. Er produziert nicht, sondern proklamiert einen Sinn des Lebens und der Welt, der beiden einzig von Gott her zukommen kann und selbst noch angesichts der möglichen Selbstzerstörung der Menschheit Bestand haben wird.
U. Körtner. Der Autor ist Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Was am 21./23. Dezember 2012 bevorsteht #
Das Kalendersystem des mittelamerikanischen Volkes der Maya ist nicht nur wegen des nächsten behaupteten Weltuntergangs von Interesse. Die Kalender der Maya – es handelte sich um mehrere Systeme – sind astronomisch erstaunlich hoch entwickelt.
Für rituelle Zwecke diente der sogenannte „Tzolkin“-Kalender. Zivile Ereignisse – etwa Saat- und Erntezeiten – wurden nach dem „Haab“-Kalender berechnet. Für die Charakteristik längerer Zeiträume wurde die „Lange Zählung“ eingesetzt.
Im Wesentlichen basiert diese Lange Zählung auf einem 20er-System. Das mythische Datum der Schöpfung – in der Langen Zählung mit 13.0.0.0.0 bezeichnet – kommt nach dem Gregorianischen Kalender auf den 11. oder den 13. August 3114 vor Christus zu liegen. Dass die Zahl 13 als „Anfang“ des Kalenders gilt, hat mit der religiösen Bedeutung dieser Zahl bei den Maya zu tun.
In den „esoterischen“ Blickwinkel kam der Maya- Kalender durch die Tatsache, dass demnächst das Datum 13.0.0.0.0 der Langen Zählung wieder bevorsteht. Dies wird am 21. oder am 23. Dezember 2012 der Fall sein. Dass diese mathematische Koinzidenz aber etwas mit einem Weltuntergang zu tun hat, dürfte mit der Maya-Mythologie wenig zu tun haben.
Fantasie und Endzeit-Literaturproduktion beflügelt#
Wie alle Datierungen eines „Endes der Welt“ beflügelt aber auch der Maya-Kalender die Fantasie – und die Produktion von Endzeit-Literatur. Tatsache ist auch, dass die Kalenderberechnungen der Maya erst lang nach der Zerstörung ihrer Kultur entschlüsselt werden konnten, die mit den spanischen Konquistadoren des 16. Jahrhunderts zusammenfiel, aber bei Weitem nicht ausschließlich auf deren Barbareien beruhte.
Schon von daher gibt es rechnerische und interpretatorische Unschärfen. So werden beispielsweise für das genaue Datum von 13.0.0.0 heute zwei Möglichkeiten angeführt.
Verblüffend erscheint aber auch aus heutiger Perspektive, wie die Maya zu ihrem derart genauen Wissen mathematischer und astronomischer Zusammenhänge kamen. Sie konnten Planetenkonstellationen für Jahrhunderte im Voraus berechnen. Und die Genauigkeit der Datierungen übertraf die Methoden antiker Hochkulturen wie der Babylonier oder Ägypter. Auch die neuzeitlichen Berechnungsmethoden, die etwa den spanischen Eroberern zur Verfügung standen, erreichten die Qualität der Maya-Mathematik keineswegs. Auffällig – und zu allerlei Theorien und Fantasien anregend – ist weiters die Tatsache, dass die Maya Stufenpyramiden für kultische und astronomische Zwecke errichteten (Bild): Auch im antiken Mesopotamien oder in Ägypten waren ähnliche Gebäude zu finden. (ofri)