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Die saure Zukunft der Weltmeere #

Überfischung, Plastikmüll und der Klimawandel belasten die Ozeane. Doch Kohlendioxid hat auch direkt im Wasser schädliche Wirkungen. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (7. November 2019)

Von

Klaus M. Stiefel


Versauerung. Die Auswirkungen der Übersäuerung des Meerwassers kann man bereits heute beobachten. Sie treffen ein Korallenriff umso schwerer, wenn es weiteren Stressfaktoren wie zum Beispiel Verschmutzung ausgesetzt ist
Versauerung. Die Auswirkungen der Übersäuerung des Meerwassers kann man bereits heute beobachten. Sie treffen ein Korallenriff umso schwerer, wenn es weiteren Stressfaktoren wie zum Beispiel Verschmutzung ausgesetzt ist.
Foto: © pixabay.com

Als Meeresbiologe im 21. Jahrhundert ist man zwischen Begeisterung und Verzweiflung hin- und hergerissen. Einerseits fasziniert mich nach drei Jahrzehnten des Tauchens immer noch jede einzelne Stunde unter Wasser: Ich entdecke regelmäßig Fische und Wirbellose, die mir neu sind, und beobachte diverse Meerestiere bei der Paarung, beim Kampf um Territorien und bei der Nahrungssuche. Ich sehe, wie verschiedene Tierarten zum gegenseitigen Vorteil in Symbiosen zusammenleben oder wie ein winziges Krebstier einem Fisch als Parasit das Blut aussaugt – noch während des Tauchgangs überlege ich mir, wie diese Zusammenspiele in der Evolution zustande gekommen sein könnten.

Neben der wissenschaftlichen Faszination ist ein Korallenriff auch ein enormer ästhetischer Genuss: Es ist einfach eine Riesenfreude, die vielen Farben und Verästelungen der Korallen und die über ihnen im Wasser tanzenden Feenbarsche, Drückerfische und Sardinenschwärme zu beobachten. Die gesunden Korallenriffe meiner Wahlheimat Philippinen sind ein wahrer Zaubergarten für jeden Biologen.

Fatale „Korallenbleiche“ #

Allerdings schaffe ich es während dieser fantastischen Tauchgänge immer nur kurzfristig zu verdrängen, wie traurig es im Jahr 2019 um die Weltmeere steht. Umweltpolitisch interessierte Leser und Leserinnen sind sicher mit dem Problem der Überfischung vertraut; der Tatsache, dass in vielen Regionen mehr Fische aus dem Meer geholt werden als im gleichen Zeitraum nachwachsen können. Auch der massiven Belastung der Meere durch Plastikmüll ist medial viel Aufmerksamkeit geschenkt worden, und ich selbst finde gelegentlich Plastiksackerl, Plastikflaschen und gebrauchte Windeln zwischen den Korallen. Und ohne Zweifel ist der Klimawandel ein sehr ernstes Problem für viele marine Ökosysteme, besonders für Korallenriffe, deren Korallen bei erhöhten Temperaturen die für ihren Stoffwechsel wichtigen einzelligen Algen aus ihren Geweben abstoßen und diese „Korallenbleiche“ oft nicht überleben.

Nun ist der menschengemachte Ausstoß von Kohlendioxid einer der Hauptauslöser des Klimawandels, aber dieses bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe entstehende Gas hat noch einen anderen Effekt auf die Meere. Etwa ein Drittel davon löst sich im Meerwasser und führt dazu, dass es saurer wird. Wie schlimm ist dieses Problem?

Jeder, der im Chemieunterricht aufgepasst hat, weiß, dass der pH-Wert den Säuregrad einer Flüssigkeit misst. Weil der pH-Wert logarithmisch ist, entspricht der zwischen dem Beginn der industriellen Revolution und der Gegenwart geschätzte Unterschied aufgrund der Menge an gelöstem Kohlendioxid einem 29-prozentigen Anstieg des Säuregrades der Weltmeere (von 8,21 auf 8,1). Um ganz genau zu sein: Die Meere wurden etwas weniger basisch und noch nicht eigentlich sauer, also mit einem pH-Wert kleiner als 7.

Der versierte Chemiker würde auch anhand von ein paar chemischen Formeln schnell sehen, dass die Übersäuerung der Meere ein Problem für skelettbildende Meerestiere ist. Damit will ich die geschätzten Leser und Leserinnen aber schonen – der legendäre britische Physiker Stephen Hawking schrieb in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ (1988), dass ihm sein Verleger geraten hatte, auf Formeln weitgehend zu verzichten, denn jede Formel halbiere die Auflage des Buches (Hawking hat dann nur eine Formel in sein Buch aufgenommen: Einsteins spezielle Relativitätstheorie). Sicherheitshalber will ich daher kurz in Worten erklären, weshalb mehr im Meer gelöstes Kohlendioxid für Korallen, Seeigel, Krebstiere und viele Algen im Plankton ein biochemisches Problem darstellt: Die Skelette all dieser Tiere bestehen aus Kalziumkarbonat. Dieses bildet sich aus Kalzium und Karbonat; eine chemische Reaktion, die in den tierischen Geweben abläuft. Jede chemische Reaktion läuft umso besser, je mehr von den Ausgangsprodukten vorhanden ist. Je saurer also das Meerwasser ist, desto mehr Hydrogenkarbonat bildet sich aus Karbonat – und desto weniger Karbonat steht für die Skelettbildung bereit.

Die Skelette der Korallen, Seeigel, Krebstiere und mancher Algen im Plankton werden entweder schwächer oder benötigen mehr Energie, um gleich stark zu wachsen. Diverse Tierarten kommen mit den geringeren Karbonat-Konzentrationen unterschiedlich gut zurecht: Manche Seeigelarten, die von vornherein in Lebensräumen mit schwankender Meerwasser-Zusammensetzung vorkommen, haben auch in saureren Meeren weniger Probleme. Korallen, das hat man im Labor herausgefunden, wachsen bei CO2-Konzentrationen, die für das Jahr 2050 vorausgesagt werden, nicht mehr schnell genug, um die Erosion von Korallenriffen auszugleichen: Es kommt zu einem Netto-Riffverlust.

Reduzierte Ökosysteme #

Die Versauerung der Meere trifft ein Riff umso schwerer, wenn es weiteren Stressfaktoren ausgesetzt ist. Ein Riff mit großer Artenvielfalt, im klaren Wasser weitab von verschmutzenden menschlichen Siedlungen und Industriebetrieben, ist gegen zu saures Meerwasser relativ resistenter. Nun ist das Meer wesentlich schlechter durchmischt als die Atmosphäre, was nicht verwundert, denn die dünnere Luft lässt sich mit weniger Energieaufwand mixen als das vielfach dichtere Meerwasser. Es gibt also durchaus Meeresregionen, in denen die Übersäuerung schon weiter fortgeschritten ist als im Rest der Weltmeere. Maria San Diego-McGlone vom „Marine Science“-Institut der Universität der Philippinen erforscht so eine ungewöhnlich saure Meeresregion in Bolinao im Norden der Inselnation. Dort wird der in der philippinischen Küche so beliebte Milchfisch im großen Maßstab gezüchtet, wobei in einem flachen Meeresarm Hunderte von Käfigen mit jeweils Tausenden von Milchfischen treiben. Die Zuchtfische werden täglich mit Pellets gefüttert und ihre Ausscheidungen führen zu einer starken Übersäuerung des Meerwassers im Umkreis von mehreren Kilometern. Der pH-Wert in der Region erreicht zeitweise 7,5 – viermal saurer als der globale Durchschnitt! Der Grund der Übersäuerung des Meeres nahe Bolinao ist also nicht das CO2 – aber der Effekt ähnelt dem, was einige weitere Jahrzehnte menschlicher CO2-Produktion global anrichten werden.

„Dies ist das Meer der Zukunft“, sagt Maria San Diego-McGlone mit wenig erfreutem Gesicht. Die Auswirkungen dieser starken Übersäuerung des Meerwassers konnte ich selbst beobachten: Die Korallenriffe, die in den 1980er Jahren noch zu bewundern waren, sind komplett verschwunden. Anemonen und Weichkorallen ohne hartes Skelett, einige hartgesottene Seeigel- Arten und kleine Grundeln und Kardinalfische tummeln sich auf feinem Sandboden. Gelegentlich sieht man die Tentakel eines Wurmes aus dem Sand ragen, der damit Plankton fangen will. Wo vormals ein tropisches Korallenriff gedieh, kann man jetzt nur ein stark reduziertes Ökosystem beobachten – ohne den Schutz vor Raubfischen, den die Korallen der großen Vielfalt kleiner Riff-Fische gegeben haben. Es ist das Wesen der Zukunft, dass man sie noch ändern kann. Gerade weil die Entwicklung vieler ozeanografischer Parameter – wie eben der Säuregrad der Meere – schon seit Jahrzehnten in die falsche Richtung zeigt, sollte man gemeinsam versuchen, die Weltmeere der Zukunft anders ausschauen zu lassen als die stark durch Fischzucht übersäuerten Küstenabschnitte im Norden der Philippinen. Eine Verringerung des CO2-Ausstoßes wäre der zielführendste Schritt in diese Richtung.

Der Autor ist Biologe sowie populärwissenschaftlicher Autor und lebt in den Philippinen.

DIE FURCHE (7. November 2019)


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