Kritik am Weltklimabeirat#
Vor dem Klimagipfel im mexikanischen Cancún übt ein Untersuchungsbericht heftige Kritik am Weltklimabeirat. Der gesamte Prozess müsste wesentlich transparenter und resistenter gegen Korruption gestaltet werden.#
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitung DIE FURCHE (Donnerstag, 9. September 2010)
von
Oliver Tanzer
Die Gletscher des Himalaya sind ein geradezu prädestinierter Ort für die Austragung
des Klimastreits, denn sie
geben sowohl den Alarmisten unter
den Klimaforschern als auch
den Leugnern der Erderwärmung
recht. In einer Art glaziologischem
Paradoxon schmelzen sie nämlich
an ihrer Ostseite dahin – gewinnen
aber an ihrer Westseite an Masse
und Ausdehnung.
Vielleicht war das auch für
Aktivisten
des WWF des Widerspruchs
zu viel.
Jedenfalls haben sie sich analytisch nicht über den schmelzenden Teil hinausbemüht, als sie 2005 folgende kuriose Analyse zu Papier brachten: „Die Gletscher des Himalaya ziehen sich schneller zurück als anderswo auf der Welt, und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass sie 2035 verschwunden sein werden. Ihre Gesamtfläche wird bis 2035 wahrscheinlich von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer sinken.“
Für sich genommen sind die beiden Sätze nur eine Nonsens-Blüte. Was sie zum Skandal machte, war, dass sie Eingang in den hehren Weltklimabericht des hoch dekorierten IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) fanden. Doppelt schmerzhaft – dient der Unsinn nun als Standardwaffe für jene, die den Klimawandel in Abrede stellen. Wegen der Himalaya-Gletscher und anderer äußerst fragwürdiger Thesen und missverständlicher E-Mails über angeblich frisierte Daten kam das IPCC derart in Verruf, dass es nun eine Untersuchung unabhängiger Wissenschafter anordnete.
Anklage gegen das IPCC#
Das prüfende „InterAcademy Council“ IAC war in seinem Abschlussbericht – vor allem im Summary für die Öffentlichkeit – so gnädig, die Arbeit des IPCC über den grünen Klee zu loben: „Die Struktur des Prozesses scheint verlässlich zu sein.“ Doch der Rest der 100-Seiten-Analyse liest sich wie eine Anklage gegen ein überfordertes Management, fehlende Kontrollen und schlechte Kommunikation.
Gefordert wird am Ende schließlich nicht weniger als eine völlige Neuordnung des Panels und vor allem seiner Führung. Erster Kritikpunkt: Mängel im der Personalauswahl. Schon die Anwerbung der Forscher, die an dem Programm teilnehmen, erscheint den Prüfern nicht transparent genug. Viele beteiligte Forscher hätten „ihrer Frustration darüber Ausdruck gegeben, dass die Auswahl der Wissenschafter von politischen, nicht von fachlichen Kriterien geleitet wird – vor allem in Entwicklungsländern“. Nächster Vorwurf: überforderte Bürokratie.
Das IPCC ist in vier Forschergruppen unterteilt, deren Erkenntnisse erst nach eingehender Prüfung durch Fachkollegen in alle sieben Jahre erscheinenden Sachstandsberichten veröffentlicht werden sollten. So weit die Theorie. Dieser Prozess, so die Prüfer, habe in den vergangenen Jahren an Komplexität derart zugenommen, dass sich heute „die Zahl der Autoren verdreifacht, die Länge der Berichte vervierfacht und die Zahl der überprüfenden Kollegen verdoppelt habe“. „Das Management und die Verwaltungsstruktur sind hingegen gleich geblieben.“ Beispiel: Zu dem so heftig kritisierten vierten Sachstandsbericht gab es nicht weniger als 90.000 Ergänzungskommentare durch die interne Überprüfung.
Auch der Himalaya-Unsinn des WWF wurde darin von israelischen, indischen und britischen Wissenschaftern heftig bezweifelt. Konsequenzen: keine. Der Rest steht im IAC-Bericht: „Es gab Verfehlungen bei den Autoren und bei Korrektoren. Das Beispiel weist auf eine ineffiziente Evaluierung nicht geprüfter Literatur hin.“
Mangelnde Qualitätsprüfung#
Zusätzlich haben „die Autoren unsicheren Quellen eine hohe Glaubwürdigkeit zugeordnet.
Vor allem der Teil der Arbeitsgruppe II (für Aussagen über die Auswirkungen des Klimawandels zuständig, Anm.) beinhaltet viele solche Einstufungen, die weder durch Literatur bestätigt noch mit anderen Quellen in Beziehung gesetzt werden.
“Alle vier Gruppen, so moniert der Bericht, hätten unterschiedliche Maßstäbe für die Quellenglaubwürdigkeit angelegt – entgegen IPCC-Empfehlungen.
„Es ist unklar, wessen Urteil diese Einstufungen widerspiegeln oder wie diese Urteile bestimmt wurden.“ Äußerst schlecht steigt auch der Führungsstab des IPCC aus: „Das IPCC hat auf die geäußerten Vorwürfe zum vierten Sachstandsbericht zu langsame und inadäquate Antworten gegeben.“
Das Management habe sich zusätzlich „in öffentlichen Aussagen hinter eine bestimmte Form der Klimapolitik gestellt. Ein Abgleiten in Parteilichkeit kann nur die Glaubwürdigkeit des IPCC beschädigen.“ „Das Mandat des IPCC ist es, der Politik zu dienen, nicht Politik vorzuschreiben.“
Konsequenz: Der Klimabeirat brauche eine transparente Kommunikationsstrategie, schnelle und sinnvolle Antworten auf Fragen. Das Komitee dränge auf „rasche Erfüllung dieser Forderung“.
Doch das ist nicht alles, was die Experten in puncto Transparenz vorzuwerfen hatten: „Aus dem Material, das dem Komitee vorliegt, geht klar hervor, dass verschiedene Stufen des internen Prüfungsverfahrens zu wenig verstanden wurden – auch von vielen Wissenschaftern und Regierungsbeauftragten, die selbst an dem Prozess teilnahmen.“
"Dem IPCC fehlt offenbar auch eine Form des Kodex, der mögliche Interessenskonflikte der beteiligten Wissenschafter transparent machen würde. So sei gerade der Vorsitzende des IPCC Rajenda Pachauri Ratgeber oder Vorstandsmitglied von gewinnorientierten Energieunternehmen.
Daraus schließen die Prüfer, dass „das IPCC strenge Vorschriften gegen Interessenkonflikte entwickeln soll, die für alle Mitglieder gelten müssen, inklusive der IPCC-Führung“. Der gesamte Führungsstab, so die Autoren des Berichtes, sollte übrigens nach je sieben Jahren ausgewechselt werden. Der vielkritisierte Rajenda Pachauri, derm zurzeit den Klimagipfel im mexikanischen Cancún Ende November vorbereitet, will die Vorschläge fast zur Gänze umsetzen. Nur zurücktreten will er nicht: „Mein Mandat geht bis 2014.“