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Tödliche Marktlogik#

Auf die Barrikaden: Das Klima zu retten erfordert den Umsturz des Status quo, schreibt Aktivistin Naomi Klein.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 7./8. März 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Eva Stanzl


Teersandgebiete von Alberta, Kanada: Die Ölproduktion im weltgrößten Industriegebiet verursacht mehr CO 2 als alle anderen., © corbis/D. Nunuk
Teersandgebiete von Alberta, Kanada: Die Ölproduktion im weltgrößten Industriegebiet verursacht mehr CO 2 als alle anderen.
© corbis/D. Nunuk

Toronto/Wien. Die Analyse macht Angst, weil sich das Gefühl, dass sie stimmt, nicht verdrängen lässt. Der Klimawandel schreitet ungehindert voran, weil sich die Gegenmaßnahmen dem Kapitalismus unterordnen, schreibt die kanadische Aktivistin Naomi Klein in ihrer neuen Polemik "Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima" (S. Fischer). Das in Englisch unter dem Titel "This Changes Everything" erschienene Buch ist seit Freitag auf Deutsch erhältlich.

Fast jede Woche warnen Experten: Ohne sofortiges, entschlossenes Handeln droht dem Weltklima ein Kippeffekt. Zwischen 2000 und 2010 gab es den stärksten Emissionsanstieg der vergangenen 30 Jahre - trotz Klimaschutz-Bemühungen und Finanzkrise. Wenn die Staaten so weitermachen, sei mit einer Erwärmung von 3,7 bis 4,8 Grad bis 2100 zu rechnen. Um dieses Szenario zu verhindern, müsse die Welt bis Mitte des Jahrhunderts die Treibhausgas-Emissionen um 40 bis 70 Prozent drosseln und bis 2100 auf nahezu null bringen. Zwei Grad Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit gelten als gerade noch beherrschbar für Mensch und Natur.

Ende des Wachstums#

Warum reagiert niemand auf diese katastrophalen Aussichten? Hat niemand Angst zu sterben? Emissionen sind unsichtbar, daher glauben wir nicht wirklich an ihre Existenz, schreibt Klein. Die apokalyptische, jedoch abstrakte Vorstellung extremer Hitzewellen, nicht endenwollender Überschwemmungen, immer stärkerer Wirbelstürme und eines Zusammenbruchs der Wasser- und Stromversorgung an jedem Ort lasse sich allzu leicht hinter dem allgegenwärtigen Konsum verdrängen, während die Logik des Konsumierens Alternativen kaltstellt: Einmal Konsument ist immer Konsument, selbst wenn in Recycling-Kleidung gehüllt hinter dem Steuer eines Elektroautos.

Klein, die in ihrem Bestseller "No Logo" (2000) die Globalisierung von Marken und in "Die Schock-Strategie" (2007) den Neoliberalismus aufs Korn nahm, stellt nun gängige Standpunkte zum Klimawandel auf den Kopf. Um die Erderwärmung zu stoppen, reichen nicht grüne Technologien, die die Weltwirtschaft ungestört weiter wachsen lassen. Vielmehr bedürfe es eines Umsturzes des Status quo und eines neuen Weltbilds an dessen Stelle, "in dessen Mittelpunkt Schutz und Wertschätzung für die Systeme der Erde zur Erhaltung des Lebens und der Fruchtbarkeit all ihrer Bewohner" stünden.

Derzeit machen Konzerne das Gegenteil, während Forscher der Hoffnung, das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen, Lebwohl sagen. Hintergrund ist "die unsichtbare Barriere einer mächtigen Ideologie". Die Überzeugung, Konzernen nichts vorschreiben zu dürfen, mache Politiker und Umweltaktivisten zu tragenden Säulen der Erdölindustrie. Unterdessen betreibt die Weltwirtschaft vor dem Hintergrund zur Neige gehender fossiler Rohstoffe genau das immer intensiver, was die Klimakrise verursacht hat. "Mit einer Extraportion Muskelschmalz" werden fossile Rohstoffe nicht mehr aus konventionellen Quellen, sondern "auf noch schmutzigere und gefährlichere Art" aus Tiefseebohrungen oder durch Fracking gewonnen. Denn die Marktlogik lässt keine andere Handlungsweise zu.

"Für einen Fossilkonzern ist es wirtschaftlich unerlässlich, die Reserven-Erneuerungsrate auf einem hohen Niveau zu halten, ansonsten hat das Unternehmen keine Zukunft", erklärt Klein. Zwar steht der Drang nach Wirtschaftswachstum im Fundamentalkonflikt mit der Belastbarkeit der Atmosphäre. "Jedoch sind katastrophale Zustände leichter zu akzeptieren als die Aussicht, die fundamentale, wachstumsgestützte, profitorientierte Logik des Kapitalismus aufzugeben."

Naomi Klein: Kapitalismus zerstört Lebensraum., © cosbis/L.Zanon
Naomi Klein: Kapitalismus zerstört Lebensraum.
© cosbis/L.Zanon

Beispiele illustrieren, was Klein "Extraktivismus" nennt: eine einseitige Beziehung zur Erde, in der es nur ums Nehmen geht. Lebendiges wird zum Objekt der Nutzung, Natur zu "natürlichen Ressourcen". Folglich ist es auf der Insel Nauru im Südpazifik, früher "Pleasant Island" genannt, heute sehr unangenehm. Australien baute Phosphorit als Agrardünger ab, bis das Landinnere unbewohnbar war. Das tote Atoll wurde zu einem Geldwäschezentrum, Fehlinvestitionen brachten Armut. Doch nicht nur entlegene Inseln zählen zu den Leichen des Extraktivismus: Auch die Teersandgebiete der kanadischen Provinz Alterta gehören dazu. Eine vom All aus sichtbare, staubtrockene graue Wüste zeugt von Abbau der Erdölform Bitumen. Und dennoch malt "Klima vs. Kapitalismus" kein Endzeit-Szenario. Klein ist im Gegenteil fast übertrieben optimistisch. Sie sieht im Klimawandel die "historische Chance", nahezu alles, was heute schiefläuft, umzudrehen. Die richtige Reaktion darauf würde neue Branchen hervorbringen, die Kluft zwischen Arm und Reich schließen und Kommunen, Kleinunternehmen und die öffentliche Hand stärken, während Superreiche und Großkonzerne ihren Teil der Rechnung zahlen müssten. Eine Massenbewegung müsse die Veränderungen einfordern. Wie? "Damit Oppositionsbewegungen nicht nur ein Strohfeuer bleiben, brauchen sie eine umfassende Vision dessen, was an die Stelle unseres scheiternden Systems treten soll, und tragfähige politische Strategien."

Genau hier liegt aber das zweite Problem, denn auch Klein verzichtet auf eine klare Vision dessen, was konkret zu tun sei. Wir müssen weniger konsumieren, aber um wie viel? Ohne strategisches Management droht der wirtschaftliche Zusammenbruch, aber welche Schritte sind zu setzen? Klein bietet ein Konzept der "Regeneration", das jedoch vage bleibt. Dabei hätte sie auf 600 Seiten jede Menge Gelegenheit, die Welt umzukrempeln.

Wiener Zeitung, Sa./So., 7./8. März 2015