Europäische Union der Steinzeit#
Bereits vor 7500 Jahren waren Handwerker auf der Donau unterwegs.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Freitag, 2. Jänner 2015)
Von
Roland Knauer
Wien. Kräftige Arme halten den Einbaum in der Fluss-Schlinge gut in der Strömung. Gleich dahinter fließt das Wasser der Donau langsamer und die Männer steuern ihr Fahrzeug mit den wertvollen Handelsgütern ans Ufer. Bauern aus dem Dorf hoch oben am Hang beobachten das Geschehen aufmerksam. Erstes Misstrauen weicht, als sie die Menschen im Einbaum erkennen: Die Händler waren in den vergangenen Jahren schon ein paar Mal hier, sie verkaufen hochwertige Klingen aus Feuerstein.
Bald sitzen Dörfler und Bootsleute gemeinsam am Flussufer, handeln eifrig und tauschen Tierhäute gegen neue Sicheln und Pfeilspitzen. So ähnlich könnte ein Handelstag der Steinzeit an der ältesten bisher entdeckten Wasserstraße der Welt ausgesehen haben, vermutet Alexander Binsteiner. Der Geoarchäologe stammt aus Oberbayern und hat praktisch jeden Feuerstein unter sein Mikroskop gelegt, den er in den Museen, Heimathäusern und archäologischen Sammlungen Oberösterreichs auftreiben konnte.
Feuerstein entstand einst aus Skeletten von Meeresschwämmen, deren Kieselsäure vom Druck der sich darüber ansammelnden Sedimente zu festen Platten zusammengequetscht wurde. Weil er sich hervorragend spalten und zu scharfen Klingen und Schabern verarbeiten lässt, spielte er in der Steinzeit eine ähnliche Rolle wie Stahl im Industriezeitalter. An den Lagerstätten des begehrten Rohstoffs entstanden steinzeitliche Bergwerke. Bergleute begannen vor rund 7600 Jahren in der Nähe von Arnhofen nahe Ingolstadt in Niederbayern bis zu acht Meter tiefe Schächte zu graben und sie abzustützen, um das auch Hornstein genannte Material abbauen zu können. Genau dieses Feuerstein-Bergwerk hat Binsteiner in den 1980er und 1990er Jahren ausgegraben. Unter dem Mikroskop erkennt er anhand winziger Beimengungen, ob eine Klinge aus Arnhofen kommt oder nicht.
Ägäis, Schwarzes Meer#
Viele der in Oberösterreich gefunden Klingen und Schaber stammen aus der Region, in der sie auch gefunden wurden. Vor allem größere Messer und Sicheln wurden aber häufig aus dem 200 bis 300 Kilometer entfernten Arnhofen oder anderen Bergwerken im heutigen Bayern importiert.
In Rutzing in der Nähe von Linz wurden in einem Grab neben Schmuck aus Spondylus-Muscheln, die aus dem Schwarzen Meer oder aus der Ägäis stammten, und einer Kette mit Eckzähnen von Hirschen eine vier Zentimeter große, sorgfältig gearbeitete Pfeilspitze aus Arnhofener Feuerstein gefunden. Mehr als die Hälfte der Feuersteine der dort erforschten Steinzeit-Siedlung waren aus Bayern importiert worden. Gleichzeitig scheint sich die Oberschicht der Bauern von Rutzing mit Spondylus-Muscheln geschmückt zu haben. Weiters tauchten die Feuersteine aus Bayern vor 6000 bis 7000 Jahren auch in den steinzeitlichen Siedlungen in der Umgebung des heutigen Stuttgart auf.
"Bereits damals muss es eine Handelsstraße zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer sowie eine zwischen Niederbayern, Schwaben und dem Rhein-Neckar-Gebiet gegeben haben", folgert Binsteiner. Entlang der Donau wuchsen damals dichte Urwälder, in den Sümpfen der Flussauen kam man kaum voran. Also müssten die Menschen auf dem Fluss unterwegs gewesen sein. Zwar konnten Archäologen bisher an der Donau keine Einbäume aus dieser Zeit finden, weil Holz den Zahn der Zeit sehr schlecht überdauert. In Bulgarien aber fanden sie ein Tonmodell eines solchen Steinzeit-Bootes - eine Wasserstraße als Handelsroute lag nahe.
Den Beweis fanden die Hobby-Archäologen Gernot Krondorfer und Erwin Lindorfer an der Schlögener Schlinge, an der die Donau auf halbem Weg zwischen Passau und Linz durch einen 180-Grad Bogen um einen Berggrat fließt: Dort, wo die Strömung schwächer wird und die Steinzeitmenschen mit Einbäumen am Ufer anlanden konnten, fanden sie einen Kratzer aus Feuerstein. Er lag seit etwa 5000 Jahren dort und stammt aus Arnhofen, wie Binsteiner beweisen konnte. Genau dort scheinen die fliegenden Händler der Steinzeit angelegt zu haben, den Schaber haben sie möglicherweise beim Tauschgeschäft verloren. Die Donau war also bereits vor etlichen Jahrtausenden eine wichtige Handelsstraße, die eine "EU der Steinzeit" miteinander verband.