Die drei Leben des Josef Hlávka#
Der Baumeister der Wiener Oper wird in seiner tschechischen Heimat auch heute noch als Architekt, Mäzen und Sozialpolitiker hoch geehrt#
Von der Wiener Zeitung, freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 28. 2. 2009)
von
Wolfgang Bahr
Er wurde am 15. Februar 1831 in Prestitz (Preštice) 30 Kilometer südlich von Pilsen geboren. Beide Elternteile waren rein tschechisch, doch der Vater war ein kaisertreuer Beamter. Beides sollte für den aufgeweckten Knaben bestimmend bleiben: das leidenschaftliche Eintreten für sein Volk und das Festhalten an der Monarchie, in der er das beste Unterpfand für das Gedeihen der Tschechen erblickte.
Das tschechische Unterrichtswesen war im Vormärz noch kaum entwickelt, sodass Hlávka seine gesamte schulische Laufbahn in deutscher Sprache absolvierte. Einen tiefen Eindruck hinterließ bei ihm jedoch die Auflösung des Slawenkongresses in der Revolution von 1848, die er als Realschüler in Prag miterlebte. Für das Architekturstudium inskribierte er an der Wiener Akademie der bildenden Künste, wo Carl Roesner, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll seine prägenden Lehrer wurden.
Josef Hlávka beteiligte sich am ersten anonymen Wettbewerb der böhmischen Architekturgeschichte und entwarf Pläne für das Prager Nationaltheater. 1856 brachten ihm seine Leistungen ein zweijähriges Reisestipendium ein, das ihn durch Süd-, West- und Mitteleuropa führte. Die Einsendung penibel ausgeführter Architekturskizzen berühmter Gebäude bewirkte die Verlängerung des Stipendiums um ein weiteres Jahr.
Eigentlich hätte der Stipendiat nach seiner Heimkehr in den Staatsdienst eintreten sollen, doch unmittelbar nach der Schlacht von Solferino 1859 hatte der Staat für ihn keine Verwendung. In dieser Situation kam ihm zu Hilfe, dass er vor seiner Reise in der Baukanzlei des Wiener Tschechen Franz Schebek Fuß gefasst hatte. Hlávka erwarb die Konzession für das Baugewerbe, und als ihm sein Mentor 1860 sein Unternehmen schenkte, erfasste den ehrgeizigen jungen Mann ein Furor, der ihn in kurzer Zeit an die Spitze seiner Zunft führte.
Zuerst baute Hlávka die Lazaristenkirche gegenüber dem Wiener Westbahnhof; zwei Porträtköpfe zeigen ihn und den Planverfasser Friedrich von Schmidt gleichwertig unter dem Chor. Mit dem Architekten des Wiener Rathauses sollte Hlávka eine bis zu Schmidts Tod dauernde tiefe Freundschaft verbinden. In Wien baute das Tandem später noch das Akademische Gymnasium und die Kirche Sankt Othmar unter den Weißgerbern, in Böhmen setzte Hlávka seinen Freund für die Renovierung der Burg Karlstein durch.
Hlávkas größter Auftrag, der ihn (zusammen mit der Errichtung von weit mehr als hundert Zinshäusern) zum Millionär machte, war jedoch der Bau der Hofoper, für den er mit 29 Jahren den Zuschlag erhielt. Als letzter Prunkbau kam noch das Deutschmeisterpalais am Parkring nach Plänen Theophil von Hansens dazu. Zugleich jedoch profilierte sich Hlávka in seiner eigentlichen Profession und entwarf die Landesgebäranstalt in Prag sowie die imposante Residenz des griechisch-orthodoxen Metropoliten in Czernowitz.
Der totale Arbeitseinsatz hatte freilich seinen Preis. Kaum hatte Kaiser Franz Joseph bei der Eröffnung der Oper Hlávka die von diesem entworfenen Utensilien der Grundsteinlegung überreicht, zeigten sich Lähmungserscheinungen an den Beinen, und als auch die Sehkraft nachließ, musste der Workaholic mit 42 Jahren seine Firma auflösen. Ohne je seine Wiener Wohnung in der Löwengasse aufzugeben zog er in das Schloss Lužany nahe seinem Geburtsort Přeštice.
Mäzen an der Moldau#
Charakteristisch für Hlávkas Mäzenatentum war, dass er nichts ausfinanzierte, sondern potenzielle Spender bis hin zum Kaiser unter Zugzwang setzte, sein Werk fortzuführen.
Hlávkas diesbezügliches Meisterstück sollte die Gründung der "Böhmischen Kaiser-Franz-Josephs-Akademie für Wissenschaften, Literatur und Kunst" darstellen, für die er 200.000 Gulden auf den Tisch legte, während sich der im Namen Geehrte zu einer jährlichen Zahlung von 20.000 Gulden genötigt sah. Die Eröffnungsfeier des Nationalmuseums und der in ihm angesiedelten Akademie 1891 nutzte Hlávka gleich zu einem Appell für das nächste Projekt, die Errichtung des Wenzelsdenkmals. Im selben Jahr machte er sich um den raschen Bau einer Notbrücke verdient, als bei einem Jahrhunderthochwasser die Karlsbrücke eingestürzt war. Im Vierteljahrhundert von seiner Genesung bis zu seinem Tod am 11. März 1908 gab es kaum einen kulturellen Bereich, in dem Hlávka nicht mitmischte, in Prag, wo er im Landtag, und in Wien, wo er seit 1883 im Abgeordnetenhaus, ab 1891 im Herrenhaus des Reichsrats saß.
Doch nicht nur beruflich begann Hlávka ein zweites Leben. Kaum war er genesen, verstarb seine erste Gemahlin Marie. Josef Jirecek, einer der tschechischen Lobbyisten in Wien und kurzzeitig auch Unterrichtsminister, überredete ihn, das Schloss Lužany zu behalten und umzubauen; er und Friedrich Schmidt waren Trauzeugen bei Hlávkas zweiter Eheschließung mit Zdenka Havelková. Die hoch gebildete Frau trug wesentlich dazu bei, das Schloss zu einem Buen Retiro der prominentesten tschechischen Dichter, Maler und Musiker zu machen; bei der Weihe der von Hlávka entworfenen Kapelle sang sie einen Solopart in Dvoráks für diesen Anlass komponierter D-Dur-Messe.
Als auch Zdenka vor Josef Hlávka kinderlos verstarb, brachte dieser 1904 sein gesamtes Vermögen in die Josef-, Marie- und Zdenka-Hlávka-Stiftung ein: das Schloss Lužany mitsamt seinen Gutshöfen, das große Zinshaus zwischen Vodièkova und Jungmannova in der Prager Neustadt, das Prager Hlávka-Studentenkolleg sowie die Stiftungshäuser in Wien, die allerdings nach dem Zerfall der Donaumonarchie an Wert einbüßten und abgestoßen wurden.
Nachleben#
Das politische Konzept des großösterreichisch gesinnten Alttschechen war gescheitert, doch die sorgfältig erstellten Statuten ermöglichten sozusagen Hlávkas drittes Leben, sein Fortwirken in den von ihm geschaffenen Institutionen, zu denen auch das Nationalökonomische Institut gehörte, unter den Bedingungen der Republik. Erst mit der Bedrohung der Tschechoslowakei durch das Dritte Reich wurde es eng, doch gerade die tragischen Ereignisse Ende der Dreißigerjahre verknüpften Hlávkas Namen mit dem Widerstand gegen Hitler. Jan Opletal, der bei einer Demonstration gegen die Besatzer am 28. Oktober 1939 schwer verwundet wurde und kurz danach verstarb, war stellvertretender Studentensprecher im Hlávka-Kolleg. Als Reaktion auf den machtvollen Begräbniszug lösten die Nationalsozialisten am 17. November sämtliche tschechische Hochschulen auf und deportierten die Zöglinge nicht nur des Hlávka-Kollegs in Konzentrationslager. Zur Erinnerung daran wurde der 17. November im Exil zum Internationalen Studententag proklamiert, und die Samtene Revolution von 1989 begann am 17. November mit einer Demonstration, die an die Ereignisse von 1939 erinnerte.
Die Verknüpfung des konservativen Hlávka-Erbes mit dem antifaschistischen Widerstand, die Wahl der Präsidiumsmitglieder auf Lebenszeit sowie personelle und rechtliche Umstände ermöglichten der Hlávka-Stiftung als einziger Stiftung in der Tschechoslowakei das Überwintern während des Kommunismus. Die Funktionen des Präsidenten von Akademie und Stiftung wurden zwar getrennt, das Hlávka-Kolleg der Technischen Hochschule abgetreten und die Ländereien rund um Lužany konfisziert, doch vor allem die lukrative Lage des riesigen Prager Palais erlaubt es der nach 1989 wieder erstarkten Stiftung, im Sinne des Gründers den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern.
Aktuelle Aktivitäten#
Josef Hlávka fasziniert in Tschechien heute vornehmlich als Mäzen, der seinen Reichtum seinem Volk widmet, statt als Sponsor die Interessen seines Unternehmens zu bedienen. Ein kleines Symposion über die Finanzierung kultureller Einrichtungen im Zeitalter der Privatisierung sowie ein großer internationaler Kongress über Hlávkas Mäzenatentum im europäischen Kontext machten im Jubiläumsjahr 2008 diese Fokussierung deutlich, während bei einem Hlávka-Kongress in Czernowitz auch Hlávkas Rolle als Architekt eine Rolle spielte.
An Hlávka als Förderer der Künste erinnerten in Prag ein Konzert der Tschechischen Philharmonie mit Werken der von ihm unterstützten Komponisten Dvorák, Suk, Novák und Martinù sowie eine noch bis Juni 2009 laufende Ausstellung über "Hlávkas Vermächtnis an die Nationalgalerie" mit Werken vornehmlich tschechischer und österreichischer Maler.
Wolfgang Bahr, Dr. phil., geboren 1950, lebt als Journalist, Übersetzer und Verlagslektor in Wien. Arbeitet an einer Studie über Josef Hlávka im Rahmen der Bürgertumsforschung.