Der Frieden braucht eine Bewegung #
Am 6. August 1945 starben erstmals Menschen durch den Abwurf einer Atombombe. Das jährlich in Wien stattfindende Gedenken warnt vor den Folgen des Krieges und zeugt von einer aktiven heimischen Friedensbewegung. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 31. Juli 2014)
Von
Anna Maria Steiner
Bunte Lampions aus Reispapier: Auch heuer wieder werden sie im Teich vor der Wiener Karlskirche zu Wasser gelassen werden. Wer vor Ort ist, wird Hiroshima gedenken und schon zuvor am Stephansplatz verlesene Friedensbotschaften vernehmen können – geschickt von Bundespräsident Heinz Fischer, Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und anderen, weiß Alois Reisenbichler, Mitglied des Wiener Friedensbüros und Motor der „Hiroshima Gruppe Wien“. Gemeinsam mit Friedensbewegten aller Altersstufen wird er auch am kommenden 6. August nicht nur jener 140.000 Zivilistinnen und Zivilisten gedenken, die infolge des Atombombeneinschlags in die Kuppel des heute als „Atombombenkuppel“ bekannten Gembaku Dmu- Gebäudes starben; die Mahnwache vor Wiens knapp dreihundert Jahre alter Barockkirche versteht sich wie jedes Jahr als grundsätzliche Absage an den Krieg.
Neue Mittel, bekanntes Ziel #
Schauplatzwechsel. Im Pfarrsaal der Donaucitykirche geht es geschäftig her. Volle Kaffeekannen werden herumgereicht, Tische geschleppt, mögliche Veranstaltungen besprochen. Jeden zweiten Dienstag im Monat treffen sich hier friedenspolitisch Aktive. Wie die übrigen Mitglieder der „Friedensinitiative 22“ widmet auch Alois Reisenbichler sein ehrenamtliches Engagement dem Ziel der langfristigen Verhinderung von Kriegen. Eine Aufgabe, die nicht immer hoch angesehen war, weiß der überzeugte Christ sozialistischer Prägung und erzählt von Zeiten, in denen oft das Tragen einer Jute- statt einer Aktentasche schon ausgereicht habe, um am Arbeitsplatz diffamiert zu werden.
Auch wenn zivilgesellschaftliches Engagement heute in Österreich kaum mehr ein Kündigungsgrund sei, so habe es die hiesige Friedensbewegung nicht immer leicht. Fehlendes Interesse gepaart mit Politikverdrossenheit würden einer „Da kann man nichts machen“-Mentalität Vorschub leisten. „Als der Westen seine Raketen gegen den Osten aufstellte, hat man europaweit demonstriert“, erinnert sich der 55-Jährige an friedensbewegte Anfangszeiten. Schuld daran, dass heute weniger geballt auf die Straße gegangen werde, sei nicht zuletzt die Vielzahl der Konflikte. Sie mache Aktivistinnen und Aktivisten die Entscheidung schwer. Anders Alois Reisenbichler: Seit frühester Jugend engagiert sich der heute 55-Jährige nach wie vor in der von Gleichaltrigen oft tot gesagten Friedensbewegung. „Die Aussage ‚Im Rahmen der Friedensbewegung gehen Millionen auf die Straße‘ ist genauso falsch wie ‚Die Friedensbewegung ist tot‘.“
Die Aktivitäten hätten sich vielmehr verändert. „Früher haben wir mehr plakatiert. Heute läuft vieles über soziale Netzwerke. Die sind zwar ein wichtiges Mittel zur Organisation geworden. Aber ersetzen können sie das Auf-die-Straße-Gehen nicht.“ Was hinzugekommen sei, wären neue Gruppen – „solche, die es damals noch gar nicht gab“: „Uni brennt“, „Occupy“ oder etwa „Ärztinnen und Ärzte gegen Atomkrieg“ – die Liste sozialer Bewegungen wächst nicht erst seit der zivilgesellschaftlichen Nutzung des World Wide Web und kann sich allein in Österreich sehen lassen: Knapp sechzig Friedensinitiativen sind aktuell im Forum Gewaltfreiheit verzeichnet. „Kommunistinnen und Kommunisten, die Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen, Christinnen und Christen für die Friedensbewegung, Versöhnungsbund, die Solidarwerkstatt oder Pax-Christi-Bundesländergruppen“ – Aktivist Ernst Toman nennt nur einige jener, mit denen die Friedensinitiative 22 in gutem Einvernehmen steht.
Sogar mit den Gewerkschaften, die streckenweit auf Seiten der Rüstungsindustrie standen, arbeite man wieder zusammen – liege der Schlüssel für friedenspolitischen Erfolg doch gerade in Zusammenschlüssen. Verweigern würde man sich lediglich politisch rechts Stehenden.
Vom Gedenktag zur Bewegung #
Doch wie kam es zu einer weltweit agierenden Bewegung, die Anfang des 21. Jahrhunderts in Massendemonstrationen gegen den zweiten Golf-Krieg gipfelten? Bereits 1845 war in England die Idee zu einem Weltfeiertag für den Frieden aufgekommen. „Die Waffen nieder!“ – mit der Veröffentlichung ihres pazifistischen Romans legt die spätere Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner einen weiteren Grundstein zur Friedensbewegung. In Deutschland riefen Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Friedensgruppen als Friedenstag zunächst den 1. August – in Erinnerung an den Kriegsbeginn 1914 – aus.
Die Katholische Kirche begeht ihren „Weltfriedenstag“ seit 1968 am 1. Januar, dem Hochfest der Gottesmutter Maria. Am 21. September 1981 rufen die Vereinten Nationen im Zuge der Resolution 36/67 erstmals zu Waffenstillstand und Gewaltlosigkeit auf. Als Zusammenschluss diverser antifaschistischer Komitees, die mit KZÜberlebenden, Kommunisten und slowenischen Studierenden zusammenarbeiteten, entstand in den frühen 1980ern schließlich die Wiener Friedensbewegung. Als 1983 Mittelstreckenraketen stationiert werden sollten, habe man mit den genannten Organisationen gemeinsam demonstriert und die „Friedensinitiative 22“ gegründet, weiß der pensionierte Mathematiklehrer und Musiker Toman. In Folge engagierte man sich gegen Abfangjäger, ging gegen den ersten Golf-Krieg auf die Straße und war 1993 mit 300.000 anderen beim Lichtermeer gegen Ausländerfeindlichkeit am Wiener Heldenplatz.
Vielfalt und der Blick über den Tellerrand zeichnet die Bewegung auch aktuell aus. In der „Langen Nacht der Kirchen“ mache man auf die Friedensbewegung ebenso aufmerksam wie am Donauinselfest. Was aktionistische Vielfalt bewirken kann, veranschaulicht Alois Reisenbichler am Beispiel einer von Wien ausgehenden Aktion, die weltweit Veränderung bewirkte. Anfang der 1990er-Jahre sei in Kreisen der Friedensbewegung die Idee einer Bürgerinitiative aufgekommen, die das österreichische Parlament zum Verbot von Antipersonenminen bewegen sollte. Das geforderte Minimum von 2.500 Unterschriften wurde mit knapp 6.000 gesammelten weit überschritten. 1996 beschloss das heimische Parlament, die Verwendung von Antipersonenminen in Österreich zu verbieten. „Ein Jahr später wurde das weltweit auch völkerrechtlich verankert“, erzählt der unermüdliche Friedensaktivist nicht ohne Stolz.
Kommenden Mittwoch wird er am Wiener Stephansplatz wieder gegen Krieg und atomare Vernichtung auftreten. Im Gedenken an die 140.000 in Hiroshima Getöteten und für die Verwirklichung des großen langfristigen Ziels von Gerechtigkeit und Frieden.