Vom Bruderzwist zum Prager Fenstersturz #
Zum 400. Mal jährt sich am 23. Mai der Prager Fenstersturz, dem ein lange schwelender Konflikt vorangegangen war – und ein dreißigjähriger Krieg folgte. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 17. Mai 2018
Von
Wolfgang Häusler
Im letzten Akt seiner Staatstragödie „Ein Bruderzwist in Habsburg“ verdichtet Franz Grillparzer die in den Dreißigjährigen Krieg führenden Krisenjahre 1612 bis 1620 – ein Drehbuch zur Katastrophe im Zeitraffer: der unfähige Ehrgeiz des Kaiser-Königs Matthias im finalen Konflikt mit dem entrückten Bruder Rudolf, seine und seines Ratgebers Kardinal Klesl Entmachtung durch den Vetter Ferdinand aus der Steiermark, vor dem Hintergrund des kriegsauslösenden Fenstersturzes von Prag. Das im revolutionären 19. Jahrhundert für die Schreibtischlade verfasste Trauerspiel des Archivdirektors Grillparzer hatte sein Vorbild in Schillers „Wallenstein“- Trilogie, deren Vorgeschichte es konsequent analysiert. Im Dialog mit Ferdinand rät Oberst Wallenstein zum Absolutismus als verlässlicher Herrschaftsform: „So sei auch in des Landes Regiment Ein Gott, ein Herr, ein Wollen ungetrennt.“ Ferdinand will „die Feinde mit scharfgeschliffner Waffe tilgen“: „Es geht in Krieg, seid froh Herr Wallenstein. Wallenstein: Ich bin’s. Mehrere: Wir auch, und währt’ es dreißig Jahr’ – Ja, wären’s dreißig – dreißig! Um so besser.“
Es scheint, dass keine Bühne sich im so komplexen Erinnerungsjahr 2018 der gewaltigen Aufgabe des „Bruderzwists“ stellt. Es geht um das in den Widersprüchen der Frühneuzeit wurzelnde österreichische Reichs- und Staatsproblem mit seinen konfessionellen bis nationalen Konflikten und Absolutismus versus bürgerliche Revolution. Konnte aus einer „monarchischen Union von Ständestaaten“ (Otto Brunner) ein Reich, gar ein Staatenbund von Völkern und Nationen werden? Das Versagen der habsburgösterreichischen Ordnung, in Gestalt des versinkenden Rudolf, des scheiternden Matthias und des gewaltsam herrschenden Ferdinand II., spiegelt Grillparzer kritisch an seiner franzisko-josephinischen Epoche.
Matthias: ungeliebt und unfähig #
Fensterstürze sind in der böhmisch/ tschechischen Geschichte mehrfach verankert: 1419 als Beginn der Hussitenkriege mit dem Sturm auf das Rathaus der Prager Neustadt – 1948 der Sturz des Außenministers Jan Masaryk aus einem Fenster des Palais Czernin nach der Machtergreifung der KPC, Mord oder Selbstmord? – dazwischen Hradschin 23. Mai 1618.
Lange schwelte der Konflikt, 1606 war zu Wien und Zsitvatorok nach dem Langen Türkenkrieg Frieden geschlossen worden: Die Dreiteilung Ungarns, zwischen Osmanen, Habsburgern und Siebenbürgen, blieb im labilen Gleichgewicht. Kaiser Rudolf II., der seine Regierungsschwäche mit der herrlichen (später österreichischen) Reichskrone überhöhte und kaschierte, stand unter dem doppelten Druck der Unzufriedenheit seiner Brüder und der protestantischen Adelsopposition. Er musste die Herrschaft an seinen ungeliebten und unfähigen Bruder Matthias abtreten, in Österreich, Ungarn und Böhmen – 1608, 1611 und 1612 besiegelt mit der böhmischen, ungarischen und römisch-deutschen Krone. Allenthalben erzwang dieser dynastische Zwist Zugeständnisse an den ständischen Adel.
1609 gestattete der Majestätsbrief Rudolfs der „böhmischen Konfession“ in gemäßigter hussitisch- utraquistischer Tradition Religionsfreiheit, einschließlich Errichtung von Kirchen für die drei Stände der Herren, Ritter und Bürger. Ein Vergleich erstreckte dieses Zugeständnis auch auf die Untertanen königlicher Güter. Die Interpretation war umstritten, namentlich im Fall von Kirchenbauten in Braunau (Broumov, in der Hand der alten Benediktinerabtei) und Klostergrab (Hrob, unter dem Prager Erzbischof). Diese Kirchen wurden geschlossen bzw. abgerissen – die Protestanten behaupteten dagegen, Kirchengrund sei Königsgut.
Eine ähnliche Detailfrage verschärfte das Konfessionsproblem im Reich: Herzog Maximilian von Bayern (dort „der Große“ genannt, mit Ferdinand gemeinsam bei den Jesuiten erzogen, im Krieg und in der Wallenstein-Frage sein schwieriger Partner) hatte sich 1607 die Reichsstadt Donauwörth, wo eine Kreuzpartikelprozession gestört worden war, einverleibt, worauf sich 1608 die protestantische Union, mit dem pfälzischen Kurfürsten an der Spitze, und 1609 die katholische Liga unter Maximilian bildeten – beide waren Wittelsbacher. 1608 schlossen sich die evangelischen Stände Niederösterreichs im Horner Bund zusammen.
17 Meter in die Tiefe #
Schritt um Schritt demontierte nun Ferdinand von Graz, der die Gegenreformation in seinen innerösterreichischen Territorien mit aller Härte und Massenausweisungen durchgesetzt hatte, den hilflos agierenden Matthias – er erlangte 1617 die böhmische, 1618 die ungarische Krone, in Verfolgung der Erblichkeit dieser Würden.
In diese machtpolitisch so brisante Situation der Dynastie platzte der Prager Fenstersturz. Die Kirchenfrage löste den gewaltsamen Protest aus. Unter Führung des Grafen Thurn wurden die königlichen Statthalter Oberstburggraf Martinitz und Kammerpräsident und Oberstkanzler Slavata aus der Ratsstube 17 Meter tief geworfen, obendrein der Sekretär Philipp Fabricius (nobilitiert von Rosenfeld und Hohenfall!). Wieso die Herren halbwegs unbeschädigt den Sturz überstanden, wurde unterschiedlich überliefert: Rutschten sie gleichsam an der geböschten Wand ab, plumpsten sie in ihren dicken Mänteln weich in den Unrat des Burggrabens, oder war es ein Wunder, wie die Katholiken glaubten? In böhmischen Schlössern werden Gemälde gezeigt, auf denen Engel und Maria die Fallenden huldvoll schützen.
Protokoll einer Eskalation: Die böhmischen Aufständischen setzten 30 Direktoren ein und rüsteten. Die militärischen Aktionen beiderseits waren noch ein Abtasten, auf der Suche nach Verbündeten. In Wien wurde der sieche Matthias vollends zur Seite geschoben. Der zur Besonnenheit ratende Kardinal Klesl wurde am 20. Juli 1618 in einer Blitzaktion verhaftet und nach Kufstein geschafft. Büsten an seinen Grablegen in St. Stephan und in Wiener Neustadt (für sein Herz) erinnern an diesen politischen Kirchenmann. In einer paradoxen Parallelaktion wurde Ferdinand in Frankfurt zum römisch- deutschen König gekürt (auch mit der Stimme von Kurpfalz!), und wurde Friedrich von der Pfalz, calvinischen Bekenntnisses, zum König von Böhmen gewählt (August 1618). Am 20. März 1619 starb Matthias und wurde als erster Habsburger in der Kapuzinergruft beigesetzt – Ferdinand sollte das Grazer Mausoleum als seine Grablege erbauen.
Am 5. Juni 1619 bestand Ferdinand eine harte Mutprobe. Die „Sturmpetition“ bedrängte ihn in der Hofburg; Truppen der niederösterreichischen Stände operierten an der Donau, parallel zur böhmischen und ungarischen Opposition. Die Entlastung erfolgte mit dem waffenklirrenden Einrücken einer Kürassierabteilung in den Burghof. Das Kruzifix, das zu Ferdinand tröstend gesprochen haben soll, wurde zum Symbol habsburgischer Frömmigkeit – und das traditionelle Sterbekreuz der Familie.
Der Krieg beginnt #
Am 8. November 1620 fiel am Weißen Berg (Bilá Hora als Epoche der böhmischen Geschichte) eine erste Entscheidung, mit der Vertreibung des „Winterkönigs“, dessen Kurwürde an den verbündeten Bayernherzog ging. Nun folgte Schlag auf Schlag mit Hinrichtungen (die 27 Kreuze im Pflaster des Prager Altstädter Rings) und Enteignungen großen Stils, ein Austausch der Eliten; 1627 verlor das Königreich Böhmen mit der Vernewerten Landesordnung sein Staatsrecht.
Auftritt Wallenstein: 1619 hatte er, der im Uskokenkrieg mit Venedig und in Siebenbürgen gedient hatte, die Kasse der mährischen Stände in einem Handstreich nach Wien gerettet. Die Fortsetzung des Schicksals des Herzogs von Friedland und Mecklenburg im Großen Krieg kann man vielerorts nachlesen: bei Friedrich Schiller, Ricarda Huch, Golo Mann und Herfried Münkler …
Ja, der Krieg in seiner verheerenden Ausweitung auf das Reich und Europa, weiterhin als Stellvertreterkrieg der benachbarten Großmächte – schwedisch-französischer Krieg! – sollte dreißig Jahre dauern, länger noch zwischen Spanien und Frankreich (Pyrenäenfrieden 1659). Die Zersplitterung des Reichs blieb und steigerte sich. Darstellungen der österreichischen Geschichte vermerken den Beginn des stehenden Heeres als Grundlage der Großmachtbildung mit Genugtuung (die lange Namenreihe der vor dem Feind gefallenen Generäle und Offiziere an den Wänden der Ruhmeshalle des Heeresgeschichtlichen Museums beginnt 1618 mit Oberst Moritz von Griechingen und endet 1918).
Auch wenn die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück alle Anerkennung und Beachtung verdienen – der Westfälische Frieden wurde fortan Grundlage der Reichsverfassung bis zu seinem Ende –, bleibt das dem schwedischen Kanzler und Chefdiplomaten Axel Oxenstierna zugeschriebene Wort an seinen Sohn wahr, damals wie heute: „An nescis, mi fili, quantilla prudentia mundus regatur“. Mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird …
Weiterführendes
-- Lanz Ernst, Freitag, 1. September 2023, 23:26