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Erinnerungen an die Widerstandsbewegung#

von

Wilfried Daim

An sich legte meine Erziehung, das heißt, mein Elternhaus und zumindest meine ersten acht Schuljahre bei den Schulbrüdern, es nahe, den Nationalsozialisten gegenüber eine nicht gerade freundliche Position einzunehmen. Mein Vater war ein christlicher Arbeiter gewesen und schon 1937 gestorben. Er war ursprünglich gelernter Wildbrethändler und Fleischhauer, doch ging der Betrieb von Großonkel und Großtante im Gefolge des Krieges zugrunde, und er suchte sich eine völlig andere Arbeit, die er als Färber fand. Die Fabrik, in welcher er arbeitete, war nicht weit weg, und er ging täglich dahin. Er war so etwas wie ein kleiner christlicher Arbeiterführer, der auch unter der Situation während der Dollfuß-Schuschnigg-Zeit sichtlich litt, denn die anderen Arbeiter waren meist Sozialisten, die auch Vertrauen zu ihm hatten, denen er jedoch wenig helfen konnte. Es gab aber bei ihm keinen Zweifel hinsichtlich der Ablehnung des Nationalsozialismus. Insofern war sein Tod 1937 vielleicht ein Glück für ihn.

Ich lebte so mit meiner Mutter und meiner Schwester zusammen in einer Zimmer-Küche-Wohnung in Hernals. Meine Schwester war die Tochter meines Vaters und dessen erster Frau, die 1918 während jener Grippeepidemie gestorben war, der auch Klimt und Schiele zum Opfer gefallen waren. Er heiratete dann meine Mutter, die jüngste Schwester seiner ersten Frau. So hatten meine Schwester und ich zwar verschiedene Mütter, doch dieselben Großeltern. Meine Schwester erhielt meine Mutter und mich.

Die kleine Wohnung und die jüdischen Nachbarn#

Ich war damals - 1937 - Mitglied des katholischen Reichsbundes. Im März 1938 erlebte ich den Einmarsch der deutschen Truppen zu Hause. Wir drei saßen weinend und tief deprimiert herum. Den vielgeschmähten Jubel eines Teils der österreichischen Bevölkerung kannte ich nur vom Hörensagen. Die Auslöschung Österreichs erschien uns als schreckliche Katastrophe.

Meine Mutter war aus Tradition, aber auch engagiert christlichsozial. In Hernals, wo wir wohnten und wo ich auch geboren wurde, gab es einen nicht zu unterschätzenden Teil an Kleinbürgertum, eine Luegertradition, der auch ein nicht unerheblicher Antisemitismus keineswegs fehlte. Von meinem Vater kann ich mich an kein einziges antijüdisches Wort erinnern. Anders meine Mutter. Sie war keine Rassenantisemitin, doch im Sinne Luegers - dabei religiös-antisemitisch motiviert. Andererseits differenzierte sie bei den Juden, die sie kannte, ganz ähnlich wie bei allen anderen Leuten, sehr genau zwischen solchen, die sie mochte und positiv bewertete, und solchen, die sie ablehnte. Sie hatte wohl auch hier oft nicht recht, aber sie behandelte in ihrem Bewertungssystem die ihr bekannten Juden nicht anders als alle anderen Menschen. So wohnte bzw. arbeitete in unserem Haus eine jüdische Familie, besser vielleicht gesagt eine jüdische Sippe. Wir wohnten im Hintertrakt, wie schon gesagt, in einer Zimmer-Küche-Wohnung. Das war die Wiener Normalwohnung. Doch war sie insoferne durchaus außergewöhnlich, als sowohl Zimmer wie Küche Fenster zu einem Garten hatten, dem sich andere Gärten anschlossen. Es gab also keineswegs eine der außerordentlich verbreiteten Gangküchen, bei denen die Küche ein Fenster auf den Flur hatte. Bei uns gab es nur eine gegenüberliegende Wohnung, die allerdings aus Zimmer-Küche-Kabinett bestand, also für damalige Verhältnisse erheblich komfortabler war als unsere. Gemeinsam hatten wir mit der gegenüberliegenden Wohnung die Toilette und die Wasserleitung: die berühmte "Bassena" - ein Kommunikationszentrum in vielen Wiener Häusern. Allerdings war dies bei uns natürlich erheblich weniger der Fall als in Häusern, in welchen in jedem Stock mehr Parteien auf einen Wasserhahn angewiesen waren.

Die Wohnung gegenüber wurde nun nicht als solche benützt, sondern als Werkstatt. Sie gehörte, so ich recht orientiert bin, einer Frau Goldfarb. Dort wurden Hemden erzeugt, wobei die Chefin die Hemden zuschnitt und eine Reihe von Näherinnen an Nähmaschinen werkte. Es war offenkundig, daß nicht nur die Näherinnen, sondern auch deren Chefin intensiv arbeiteten, was auch meine Mutter des öfteren anerkennend hervorhob. Denn dies stand im Gegensatz zum weitverbreiteten Judenimage, nach welchem die "Juden nichts arbeiteten". Zwei verheiratete Töchter wohnten mit Mann und Kindern - die eine hatte zwei Söhne - auch im Haus, wobei sie, zumindest im Vergleich zu anderen im Haus, als wohlhabend galten. Aber es hieß, daß beide Familien zumindest zum Teil von der Hemdenerzeugung der schon recht betagten Frau Goldfarb lebten. Ich kann das bis heute nicht beurteilen.

Die beiden Enkel der Frau Goldfarb waren beide in der Pubertät. Nun grüßten sich alle im Haus, und ich war auch intensiv angehalten worden, alle älteren Bewohner zu grüßen, was ich auch problemlos tat: die beiden Buben mit "Servus", die Erwachsenen, so wie man das Gefühl hatte, daß sie es haben wollten, normalerweise mit "Grüß Gott", was auch die meisten sozialistisch eingestellten Bewohner akzeptierten. Man muß natürlich auch bedenken, daß der Sozialkontakt in kleinbürgerlich-proletarischen Häusern sehr groß war. Es kam fast täglich vor, daß irgendjemand einfach an die Tür klopfte und etwa meine Mutter bat, mit etwas Salz, Zucker oder Mehl, was gerade ausgegangen war, auszuhelfen - das beruhte auf Gegenseitigkeit, oder man kam einfach auf einen Plausch, was man nur schwer ablehnen konnte. Die beiden jüdischen Familien waren etwas "Besseres" und nahmen an diesen intensiven Kommunikationen nicht teil. Mit einer Ausnahme: Der ältere der beiden Buben hieß Raoul, und er war in seiner pubertären Phase gerade von demonstrativer Gleichgültigkeit und Blasiertheit, er quälte sich einen Gruß ab und war sehr wenig kommunikationsfreudig. Man nannte dies auf hernalserisch "mufflat". Dies ist ein für eine bestimmte Pubertätsphase recht häufig anzutreffendes Verhalten, stand jedoch in erheblichem Kontrast zum Verhalten seines jüngeren Bruders, dem "Heinzi". Der zog von zehn Metern Entfernung den Hut oder was er gerade aufhatte, war immer lustig und freundlich offen, geradezu herzlich. Er klopfte, wie das Niedervolk, einfach an die Tür und kam auf einen Plausch herein. Nicht nur meine Mutter hatte ihn ins Herz geschlossen.

Nun darf man nicht übersehen, daß der menschliche Nahkontakt in solchen Häusern auch seine Probleme mit sich brachte; mit diesem Kontakt ging auch eine sehr intensive soziale Kontrolle einher. Denn wie soll man etwas vor anderen verbergen, wenn jeden Augenblick jemand an die Türe klopfen kann, dem man auf Grund des unausgesprochenen, jedoch eindeutigen Gesetzes des sozialen Druckes Zutritt gewähren muß, wollte man nicht Schimpf und Schande auf sich laden oder als arrogant gelten oder sonstwie unmöglich. Der Hereinkommende setzte sich in der Küche auf einen Stuhl oder eine Bank und unterhielt sich. Dazu kam, daß mein Vater von tatsächlich außerordentlich vielen Dingen etwas verstand. Er konnte elektrische Dinge, Uhren und Schuhe reparieren, Dinge löten etc., wodurch er manchmal etwas zu seinem Lohn dazu verdiente, normalerweise aber hiefür nichts verlangte. Das intensivierte bzw. vervielfältigte noch unsere Hauskontakte. Nur wenn jemand extra eingeladen worden war, wurde er ins besonders aufgeräumte Zimmer geführt, dessen Türe, so jemand "unverhofft" kam, normalerweise geschlossen wurde, weil ja oft genug "nicht aufgeräumt" war. Das wurde oftmals vergessen, so daß die plötzlichen Besucher meist unangenehmerweise einen oder mehrere Blicke ins Zimmer werfen konnten. Da mußte man sich häufig "genieren".

Der deutsche Einmarsch und seine Folgen#

Nach dem Zusammenbruch und der Besetzung Österreichs wurde in unserem Haus alsbald alles erheblich anders. Zunächst wurde die Hemdenerzeugung gegenüber geschlossen. Da die alte Frau Goldfarb, soweit ich mich erinnere, nicht im Haus wohnte, sahen wir sie kaum mehr. Sie war mir des öfteren im Arbeitsmantel, ein Maßband um den Hals, begegnet. Die Nähmaschinen liefen nicht mehr. Wie die Entlassung der Arbeitskräfte vor sich ging, wie die Maschinen und die übrige Einrichtung verschwand, weiß ich nicht. Das geschah wohl, während ich in der Schule war. Und meine Mutter erwähnte nichts davon, weil sie wohl das Ganze als Schande ansah. Ich merkte erst, daß die Einrichtung verschwunden war, als die Wohnung neu besiedelt wurde. Plötzlich waren Mieter da, Mann, Frau und Tochter, letztere etwas älter als ich. Der neue Nachbar war ausgerechnet der "Blockwart". Er trat etwas herrisch auf, jedoch nicht unfreundlich, doch konnte ihm sicher nicht die innere Reserve entgehen, mit der wir ihm begegneten. Wie er rechtlich zu dieser Wohnung gekommen war, weiß ich nicht. Weder der christliche "Hausherr", der das Haus vor etlichen Jahren gekauft hatte, noch andere Hausbewohner hatten sich meines Wissens um sie bemüht. Wegen ihrer Größe - ein Kabinett mehr - war die Wohnung ja bemerkenswert wertvoller als unsere.

Der Blockwart dürfte auch früher in einem kleinbürgerlich-proletarischen Haus gewohnt haben, jedenfalls schlechter, sonst wäre er ja nicht an einem Wechsel interessiert gewesen. Er kannte auch die Usancen. Das heißt, er klopfte an, kam aber auch manchmal, ohne zu klopfen, einfach zur Küche herein, grüßte jovial, verkniff sich aber bei uns den Hitlergruß. Damit wurde die soziale Kontrolle zur staatlichen Überwachung. Wie ich später aus einzelnen Bemerkungen mit Sicherheit schließen konnte, hatte er über uns, sicherlich aber auch über andere Leute im Haus an höhere Parteistellen berichtet, doch weiß ich nicht was, meine aber, er hat eher abgeschwächt als zugelegt. Es konnte ihm trotz der Vorsicht, die wir sofort walten ließen, nicht entgehen, daß wir dem Regime aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnend gegenüberstanden. Köckeis, so hieß er, dürfte uns gegenüber eine ähnliche Einstellung entwickelt haben wie viele Nazis zu jenen Juden, die sie persönlich kannten. Sie waren nämlich meist gar nicht so, wie man sie sich als ideologisch geschulter Nationalsozialist vorzustellen hatte. Es ist nämlich gar nicht so einfach, einen bekannten Menschen für einen Teufel zu halten. All das sollte eine Bedeutung erhalten, die ich bis heute nicht völlig zu übersehen vermag.

Wenn Verwandte oder Freunde auf Besuch kamen, und das war ganz einfach, denn wie sollte man sich anmelden, wo doch nur sehr wenige ein Telephon hatten, waren sie einfach da. Daher war es unvermeidlich, daß auch der Blockwart sie zumindest zu Gesicht bekommen konnte, doch jene, die mich oft besuchten, lernte er nolens volens kennen. Das war langfristig gesehen keineswegs ungefährlich.

Das Konkordat und die Pfarrjugend#

Adolf Hitler hatte unmittelbar nach seiner Machtübernahme darauf gedrängt, ein Konkordat mit dem Vatikan abzuschließen. Es ging ihm dabei um die internationale Gesellschaftsfähigkeit seines Regimes. Hier kamen ihm nun die Interessen des damaligen Kardinals Pacelli, des späteren Pius XII., durchaus entgegen, dem eine große Diplomatiegläubigkeit eigen war. Er war ja vor allem Kirchendiplomat. Verträge haben natürlich nur dann Gewicht, wenn beide Seiten, aus welchen Gründen immer, die Absicht haben, sie auch einzuhalten. In diesem Fall sind auch alle Details wichtig, so daß daher meist lange verhandelt wird. Adolf Hitler hat jedoch nicht lange "gefackelt". Es kam in Rekordzeit zu einem Abschluß. Dies deshalb, weil Hitler nicht daran dachte, den Vertrag auch nur einen Tag wirklich einzuhalten, wenn dies gegen seine Interessen verstoßen würde. Bei ungedeckten Schecks ist die Höhe der Summe eine sekundäre Frage. Das heißt natürlich, daß er, nachdem ihm der Vatikan eine internationale Reputation verschafft hatte, das Konkordat dort, wo man dies leicht kontrollieren konnte, auch einhielt, doch konnte er jederzeit, sollte die katholische Kirche kein entsprechendes Wohlverhalten zeigen, massive Druckmittel anwenden, indem man etwa "Devisenschmuggel" bei Nonnen "aufdeckte".

Nach der Okkupation Österreichs gab es da sofort Probleme, denn die "Reichsregierung" stand auf dem Standpunkt, daß das Konkordat nur auf dem Gebiet des sogenannten "Altreichs" Gültigkeit habe, man in Österreich jedoch in Kirchenfragen machen könne, was man wolle. Es kam zu Nachverhandlungen, und so kam es auch in Österreich zur - im Konkordat vorgesehenen - Installation sogenannter Pfarrjugenden. Die Kirche hatte danach das Recht, an den Pfarren Jugendgruppen einzurichten. Man durfte sich dort treffen und religiöse "Heimabende" abhalten. Darüber hinaus jedoch war jede andere organisierte Tätigkeit verboten. Gemeinsame Ausflüge beispielsweise, was jedoch schwer zu kontrollieren war. Man mußte aber damit rechnen, daß Agenten des Regimes eingeschleust wurden und entsprechend berichteten, handelte es sich doch um die einzige "legale" Jugendopposition.

Ich stieß irgendwann 1939 zur Pfarrjugend der Kalvarienkirche St. Bartholomä(us), der alten Hernalser Pfarrkirche. Es war dort ein neuer Kaplan namens Josef Weinand eingezogen, der nun die männliche Jugendgruppe übernehmen sollte. Er hatte noch nicht alle seine Möbel sowie anderen Hausrat da, so daß er uns einlud, auf einem Teppich zu lagern. Dann las er uns aus den "Lausbubengeschichten" von Ludwig Thoma vor, was uns sehr amüsierte. Daß er uns solche respektlosen Dinge vorlas, nahm uns sofort für ihn ein. Kommt dort doch sogar eine Karikatur eines Geistlichen vor, von seinen Schülern genannt "der Kindlein", da er immer wieder "Kindlein, liebet einander" sagte. "Uns" das waren ein paar junge Leute, von denen ich nur einen vom Reichsbund her kannte. Der Kaplan war ein Deutscher aus Koblenz, der, wie sich alsbald herausstellte, wiederum so gar nicht dem entsprach, was man sich von einem solchen erwartete. Sein Geschichtsbild war pro-österreichisch. Er bedauerte zutiefst - im Gegensatz zu unsren österreichischen Deutschnationalen - den Ausgang der Schlacht von Königgratz, er verehrte Maria Theresia und hielt den "alten Fritz" wahrheitsgemäß für einen Kriegsverbrecher. Er hatte eine Zeit lang Kunstgeschichte studiert und machte uns mit Kunst vertraut. Er sammelte Kunst und stierte häufig erfolgreich bei Trödlern herum, um irgend ein recht interessantes Objekt nach Hause zu bringen. Er hatte eine ständig wachsende Sammlung von Schallplatten, ganze Sinfonien, jeweils mehrere Platten, regte uns an, in Oper und Theater zu gehen - auf Stehplatz, denn mehr war ökonomisch nicht zu verkraften.

Er verdiente es, einmal grundsätzlich in einer Publikation behandelt zu werden, doch führt dies vom Thema weg. Aber es soll immerhin vermerkt werden, daß er wiederholt von der Gestapo vorgeladen wurde, doch gelang es ihm, sich immer wieder, trotz recht frecher Predigten, herauszuwinden. Das unerhört Anregende und Dynamische, das von ihm ausging, führte dazu, daß die Pfarrjugend auch mengenmäßig anwuchs und hervorragende junge Leute hinzukamen. Der Krieg sollte jedoch auch unter ihnen seine Opfer fordern. Für meine kulturelle Entwicklung war Weinand sehr bedeutsam. Für meine politische Entwicklung war jedoch wohl ein anderer von größerem Gewicht. Bald, nach meinem Auftauchen im Pfarrhof, kam ein junger Mann zum ersten Mal zu Weinand, fast militärisch diszipliniert, und stellte sich als Karl Strobl vor - Mittelschüler, Obermittelschule. Ich möchte gleich hinzufügen, daß er mit Dr. Karl Strobl, dem späteren Hochschulseelsorger, weder verwandt noch verschwägert war.

"Feindhören"#

Ich wurde ein sehr enger Freund von "unserem" Strobl. Er war etwas mehr als zwei Jahre älter als ich, was damals noch stark ins Gewicht fiel, denn ob man 16 oder 18 Jahre alt war, machte doch einen erheblichen Unterschied. Ich lernte alsbald seine Familie kennen. Sein Vater war Handelsangestellter und wie seine eher kernige, jedoch drahtig-herzhaft entschiedene Mutter sowie sein um drei Jahre jüngerer Bruder Fritz bedingungsloser Nazigegner. Sie bewohnten eine Zimmer-Küche-Kabinettwohnung, waren also zweifellos wohlhabender als wir. Dies wirkte sich nur insoferne und tatsächlich sehr positiv für mich und andere Freunde aus, als die Strobls über einen Radioapparat mit mehreren Röhren verfügten, mit welchem man "feindliches" Ausland, vor allem britische Sender, hören konnte. Wir hörten also alsbald Nachrichten, die sich von jenen, die die NS-Zensur durchließ bzw. produzierte, ganz erheblich zu unterscheiden pflegten. Die Mächte, deren Sender wir empfingen, betrachteten wir als selbstverständliche Verbündete Österreichs. Zu Hause - das war eine der ökonomischen Errungenschaften des "Dritten Reiches" - hatten wir einen sogenannten kleinen "Volksempfänger", in welchen wir nur den "Reichssender Wien" hineinbekamen. Vorher hatten wir nur einen sogenannten Detektorapparat, den mein Vater zusammengebastelt hatte, zu dessen Benützung man jedoch Kopfhörer benötigte. Mit diesem Apparat konnte dann immer nur die "Ravag" gehört werden.

Nun war dieses "Feindhören" bei den Strobls eine riskante Sache, vor allem für diese selbst. Denn erstens konnte man, wenn die Gestapo plötzlich eindrang und Hausdurchsuchung machte und man vergessen hatte, das Radio nach dem "Feindhören" wieder auf einen deutschen Sender zu stellen, sofort verhaftet werden. Weiters war es außerordentlich gefährlich, so empfangene Nachrichten an Leute weiterzugeben, die man nicht sehr gut kannte. Denn die Gestapo fragte dann womöglich mit sehr großem Nachdruck, woher man denn das wisse. Es konnte auch genügen, daß man in einem Park oder auf einem anderen öffentlichen Platz einem Freund etwas erzählte und jemand anderer zuhörte, der dies dann zur Anzeige brachte. Solche Unachtsamkeiten waren sehr gefährlich, und gerade zum Leichtsinn neigende junge Leute konnten sich und andere um Kopf und Kragen reden.

Alsbald, wenn Blockwart Köckeis uns wieder einmal aufsuchte und er naiv seine Naziweisheiten verzapfte, juckte es mich, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich weiß nicht, ob er mich tatsächlich verraten hätte, obwohl er es vom Standpunkt seiner "Weltanschauung" hätte tun müssen. Doch vielleicht hätte auch die Neugier überwogen, einmal Unzensuriertes zu hören. Ich wagte es jedoch nicht und dachte, man müsse ihn wohl "dumm sterben" lassen; samt seiner Familie. Der Zusammenhalt unter uns katholischen Nazigegnern war außerordentlich groß. Später, nachdem der größte Teil von uns beim Militär war, wurde jeder, der auf Urlaub war, bevor er zurückfuhr, von den Familien seiner Freunde vergleichsweise reich beschenkt. So fuhr ich einmal zur "Einheit" mit Mohnkuchen, Biskuit und Marmeladegläsern etc. im Gepäck zurück, kam wegen einer Stunde Verspätung auf fünf Tage in den "Bau", das heißt, ins Militärgefängnis, bestach den für den "Bau" zuständigen deutschen Feldwebel mit einem Glas Marmelade und hatte fünf Tage Zeit, um in Ruhe zu lesen und die mitgebrachten Kostbarkeiten zu verzehren.

Natürlich kam Strobl, später auch sein Bruder Fritz, zu mir, und da Köckeis zu jeder Tageszeit hereinplatzte, lernte er auch etliche meiner Freunde kennen. Dies war keineswegs ungefährlich, obwohl ich keinen Beweis habe, daß er irgend etwas gefährlich Bösartiges über uns oder unsere Freunde weitergegeben hätte. Aber einmal hob seine Frau eine zur Faust geballte Hand und sagte: "Der Strobl-Karli, das ist einer!" Das war nun ein Mirakel, und es war keineswegs klar, was für einer er nun gewesen sein sollte. Aber sicherlich war es in ihrem Sinne nichts Gutes. Ich hatte keine Ahnung, was Strobl nun tatsächlich getan oder gesagt hatte. Aber daß er es nicht geschafft hatte, irgendwelche kritische Bemerkungen zurückzuhalten, ist sehr wahrscheinlich. Zur Zeit, als Strobl in der Pfarrjugend auftauchte, war er schon bei der Widerstandsbewegung. Er gehörte zu einer Gruppe Eisen, deren Anführer Alfred Ellinger war. Ich lernte Ellinger erst nach dem Krieg kennen. Er wohnte in unserer Nähe, war Finanzbeamter, schrieb Dialektgedichte und auch Dialekterzählungen; so auch eines betitelt "Großmutter", in welchem sowohl Hubert Jurasek als auch ich vorkommen, natürlich nicht expressis verbis.

Erste Flublätter#

Strobl hatte mit anderen schon unmittelbar nach der Besetzung Österreichs an einer Zettelstreuaktion teilgenommen. Auf den Flugblättern wurde unter anderem die Empörung über die Behandlung der Juden zum Ausdruck gebracht. Ich konnte damit natürlich nichts zu tun haben, da ich ja erst 1939 zu der Gruppe stieß und vorher niemanden von ihr kannte. Strobl rekrutierte für seine Gruppe Leute aus der Pfarrjugend. Er hatte auch gute Beziehungen zu der Jugendgruppe der Jesuiten in der Canisiusgasse. Ich kam auch dort ein paarmal hin. Damals entstand wohl jener sehr riskante Witz:

Ein Katholik geht beichten und kommt zunächst zu einem Dominikaner. Er sagt: "Pater, ich kann mich nicht zurückhalten, ich sage immer 'Der Hitler, der Hund, soll verrecken!'" Darauf der Pater: "Freund, das geht doch nicht. Schon der Heilige Thomas sagt, wir müssen auch der weltlichen Autorität Reverenz erweisen." etc. Bei dem guten Mann ist dies jedoch eine Dauersünde, und er geht das nächste Mal zu einem Jesuiten beichten. Nachdem sich dieser dasselbe angehört hatte wie früher der Dominikaner, beugt er sich zum Gitter des Beichtstuhls vor und flüstert: "Freund, sind Sie immer so ein Skrupulant?" Als sich bei einer dritten Beichte dies bei einem Kapuziner wiederholt, schlägt sich dieser auf den Schenkel und ruft aus: "Aber Freund, was soll man denn sonst sagen!"

Ein Jesuit gab mir damals ein kleines Buch, die Selbstbekenntnisse eines jüdischen Konvertiten namens Aram Bela, das leider wohl durch die alliierte Fliegerbombe, die später unser Haus traf und unser Zimmer zerstörte, kaputtging. Von der Gruppe bei den Jesuiten kamen auch die hektographierten Predigten von Bischof Galen gegen die Euthanasie an psychiatrischen Patienten, die eine massive Provokation gegen das Regime waren. Wir vervielfältigten sie, was damals eine umständliche Sache war. Die Texte mußten auf Wachsmatrizen mit der Schreibmaschine geschrieben werden. Sie wurden dann eingespannt, und durch Drehungen an der Kurbel des Apparates wurde der Text lesbar. Ich weiß weder, wer die Wachsmatrizen damals schrieb, wahrscheinlich eine Frau oder ein Mädchen. Daß ich an der Kurbel drehte und mich dabei ganz schön dreckig machte, daran erinnere ich mich jedoch genau. Ich habe auch eine Reihe von solcherart verviefältigten Predigten an antinazistische, jedoch nicht katholische Schulfreunde weitergegeben. Auch diese Art von Kommunikation klappte vorzüglich.

Die riskanteste Operation planten wir jedoch, als wir eine Flugzetteloperation in die Wege leiteten. Ich weiß nicht, wer von uns die Idee hiezu hatte; wenn ich mich jedoch recht erinnere, hing dies damit zusammen, daß bei irgendeiner Zusammenkunft ein junger Mann auftauchte, der in der Druckerei des Heroldverlages beschäftigt war. Dies war der katholische Verlag, bei dem früher "Das kleine Volksblatt" erschien. Es erschien nach der Besetzung Österreichs zunächst "gleichgeschaltet", dann nicht mehr. Als ich ihn fragte, ob dort unter Umständen etwas illegal gedruckt werden könne, meinte der dort Beschäftigte, wenn es sich um nichts sehr Umfangreiches handeln würde, könnte es gehen. Auf meine weitere Frage, ob sie "schwarze" Papiervorräte hätten, die nicht sehr umfangreich sein müßten, bejahte er. Er meinte auch, daß eine Menge Druckereien das gleiche Papier verwendeten - alles Angaben, die wir nicht nachprüften.

Ich glaube, daß wir vorher nur sehr vage mit dem Gedanken an eine Streuaktion gespielt hatten. Mit dem Auftauchen einer Druckerei und von notwendigem Papier rückte jedoch eine Realisierung in den Bereich des Möglichen. Zu dieser Zeit, es war dies etwa im Februar/März 1940, wäre es durchaus noch möglich gewesen, Papier zu kaufen. Man mußte jedoch damit rechnen, daß die Gestapo, sollte unser Plan gelingen, versuchen würde, den Papierverkäufer an Hand der Papierart zu finden. Man weiß, wie schwer es für die Mitglieder der "Weißen Rose" - allerdings erheblich später - war, für ihre Flugblätter Papier zu bekommen. Es gelang ihnen erst, als sie sich entschlossen hatten, es sich durch einen Einbruch in der Universität zu verschaffen.

Wir hielten es nun noch aus einem anderen Grund für möglich, eine solche Streuaktion zu starten. Ich kannte nämlich in unserer Nähe einen jungen Mann, der in einer allerdings sehr oberflächlichen Weise Kommunist war und in der damals sehr bekannten Klischeeanstalt Angerer und Göschl in der Ottakringer Straße als Lehrling beschäftigt war. Er war durchaus bereit, für etliche Mark - natürlich illegal - Klischees herzustellen. Diese Möglichkeit zu nützen, war also mit ausschlaggebend, den Versuch einer entsprechenden Aktion zu starten. Hiezu mußten wir uns zunächst auf den Inhalt, dann auf die Form einigen. Was den Inhalt betrifft, waren wir uns sehr rasch einig. Wir wollten nicht für eine spezielle Gruppe in Österreich werben, vielmehr möglichst alle Gegner des Nazismus ansprechen. Dabei gab es eigentlich nur eine Ausnahme, doch zweifle ich heute, daß wir uns dieser Tatsache bewußt waren. Diese Ausnahme waren jene Deutschnationalen, die den Nationalsozialismus ablehnten - wegen seiner Methoden, seinem Antisemitismus etc. - jedoch an der Zielvorstellung eines vereinten "Reiches" festhielten. Wenige Monate "Anschluß" hatten jedoch schon genügt, um diese Gruppe so zu verringern, daß sie zu vernachlässigen war.

Denn die Arroganz der deutschen Besatzer, die schamlose Besserwisserei, der Versuch, die österreichische Geschichte geradezu auszulöschen, der bis zum Umbenennen der österreichischen Kemländer Ober- und Niederösterreich in Ober- und Niederdonau ging, all dies führte zum Sieg der Selbständigkeit Österreichs in den Köpfen, der ja immer dem in der Realität vorausgeht. Von den Kommunisten bis zu den Monarchisten war man sich in dieser Frage einig. Und wenn man sich auch in den Vorstellungen über die politische Zukunft Österreichs keineswegs einig und klar war - unsere Vorstellungen waren zugegebenerweise recht nebulos -, so war man sich doch auch dahingehend einig, daß die Methoden, miteinander umzugehen, sich fundamental von jenen der Nazis zu unterscheiden hatten. Es lag nun nahe, die Botschaft so zu formulieren, daß sie die grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus mit einem nachdrücklichen Bekenntnis zu einem unabhängigen Österreich verband. Wer vorschlug, einfach eine österreichische Fahne mit dem Kurztext "Heil Österreich" zu verbinden, weiß ich nicht mehr.

Die Idee hatte eine Menge Vorteile. Sie förderte nicht nur die Aggressionen gegen die deutsche Besatzung Österreichs, die selbst auch eine Menge alter Nazis erfaßt hatte, sie war überparteilich, sehr kurz und nahm auch das Wort "Heil", das mit heilig, heilen, ja Heiland im Zusammenhang steht, und zwar nicht expressis verbis, jedoch de facto für die Formel "Heil Hitler!" reserviert und usurpiert war, für etwas in Anspruch, was Hitler zutiefst haßte, nämlich Österreich. Was nun die rotweißrote Fahne betrifft, so entwarf sie, so ich mich recht erinnere, Fritz Strobl, der hiefür die beste Begabung besaß. Er verwendete, wie sich Karl Strobl erinnert, ein Zeichen der letzten Wiener Messe: eine flatternde österreichische Fahne und eine schwarze Fahnenstange. Hierzu kam der schwarzgedruckte Text. Der große praktische Vorteil war, daß man mit zwei Farben auskam und darüber hinaus nur Strichklischees benötigte. Rasterdruck wäre komplizierter herzustellen gewesen, so daß man nicht sicher sein konnte, ob eine solche Aufgabe nicht die Fähigkeit eines Lehrlings zur Herstellung eines solchen Klischees überstiegen hätte. Tatsächlich gab ich den Entwurf an Winkler, unseren Lehrling, weiter, und in kurzer Zeit bekam ich die beiden Klischees, eines für die Farbe Rot, eines für Schwarz. Die weiße Farbe des Papiers lieferte die dritte Farbe. Sie war für den mittleren Teil der Fahne wichtig, der sich zwischen den beiden roten Streifen befand. Als sehr problematisch sollte es sich erweisen, daß ich die Klischees, sehr begeistert ob ihrer Existenz, recht schnell an Strobl weitergab.

Der Verrat#

Denn was wir nicht wußten, war, daß Winkler Probedrucke angefertigt und an seinem Arbeitsplatz liegen gelassen hatte. An dieser Fehlleistung scheiterte der gesamte Plan. Tatsächlich fand der Onkel Winklers, der seinen Neffen der Firma empfohlen hatte und der schon erhebliche Zeit dort beschäftigt war, die Probedrucke. Er verständigte sofort die Gestapo. Natürlich war dies eine niederträchtige Sache, doch soll man sie insoferne nicht dämonisieren, als er, wie sich alsbald zeigte, "es mit seinem Neffen gut meinte". Er redete als alter "Illegaler" mit der Gestapo, erklärte die Handlungsweise seines Neffen für eine pubertäre Dummheit, der sicherlich sofort seinen Unsinn einsehen würde etc. Diese Taktik konnte jedoch nur erfolgreich sein, wenn sein Neffe bedingungslos mitspielte, wozu selbstverständlich gehörte, daß er sofort seine Auftraggeber preisgab, und das war in diesem Falle ich. Glücklicherweise hatte ich ihm nichts von unserer Gruppe erzählt, so daß er nur mich verraten konnte. Wir wußten jedoch von alldem nichts. Ich möchte noch hinzufügen, daß sich dies alles im März 1940 abspielte. Wieso ich das noch weiß, werde ich später darlegen.

Es gab noch weitere Pläne, von welchen ich wußte, denn wir hatten schon erörtert, in welcher Weise wir die einmal gedruckten Flugblätter verbreiten wollten. Ich erinnere mich nicht mehr, wer damals noch dabei war - außer einem gewissen Emler, der vergleichsweise selten zu unseren Zusammenkünften kam. Dies deshalb, weil er damals schon beim Militär, jedoch in Wien oder Umgebung stationiert war. Es war ihm daher nur selten möglich zu kommen, doch war an seiner Gesinnung nicht zu zweifeln. Er wohnte im übrigen nahe der Grenze zu Währing, dem achtzehnten Wiener Gemeindebezirk. Er erzählte einmal, er hätte aus Polen Waffen nach Wien gebracht, doch erinnere ich mich hier an keine Details. Als wir von den zu druckenden Flugblättern sprachen, kam er mit der Idee, die Flugblätter in einen oder mehrere Säcke zu tun, diese aufzuschlitzen, sich sodann an ein oder mehrere Polizeiautos anzuschleichen und ihnen die Säcke anzuhängen. Damals waren Polizeiautos Lastwagen mit Sitzbänken, die quer zur Fahrtrichtung angebracht waren, und die auf den Bänken sitzenden Polizisten konnten links und rechts direkt auf den Boden springen, hatte das Auto einmal gehalten. Man nannte dies Überfallskommando. Diesen sehr gefährlichen Teil, nämlich das Anhängen an die Polizeiautos, wollte Emler selbst übernehmen.

Aus alldem wurde natürlich nichts, nachdem die Sache schon im Anfangsstadium aufgeflogen war. Emler mußte dann mit seiner Einheit fort von Wien, niemand weiß etwas von ihm, er soll, und dies ist durchaus glaubhaft, in einem Konzentrationslager umgebracht worden sein.

Ich hatte die Klischees sofort nach Erhalt an Strobl weitergegeben. Wann ich erfuhr, daß er bzw. seine Eltern sie zwischen dem Ober- und Unterteil einer Zimmerkredenz versteckt hatten - diese Kredenz existiert noch -, weiß ich nicht mehr. Alles, was ich wußte, war eine Gefahr, denn ich hatte vor nichts mehr Angst als vor physischer Folter, obwohl ich entschlossen war, nichts zu verraten; doch getraute ich mir nicht zu behaupten, daß ich eine wirkliche Tortur ohne Geheimnisverrat überstehen würde. Hier hauste meine größte Angst. Ich kann bis heute nie jemandem Vorwürfe machen, der unter Folter Geheimnisse preisgibt.

All dies vorausgesetzt, kam ich eines Tages nach Hause. In der Küche saß ein Mann mit herrenmenschlichem Blick. Meine Mutter bügelte. Der Mann hatte ein Mappe in der Hand, und ich konnte, noch stehend, einen Blick hineinwerfen und zwei Fotokopien sehen. Unsere beiden Klischees, allerdings schwarz-weiß. Dies erschreckte mich sehr, denn mein erster Gedanke war, daß die Gestapo auf irgendeine Weise schon an die Klischees bei Strobls herangekommen wäre. Von den Probedrucken hatte ich ja keine Ahnung. Aber die Kopien waren natürlich von den Probedrucken gemacht worden, und dies erfuhr ich alsbald aus den Fragen des Verhörs, was von seiten des Gestapo-Mannes zweifellos eine Dummheit war. Er hätte seine Quelle nicht verraten dürfen.

Ich versuchte verzweifelt eine glaubhafte Geschichte zu erfinden, die erklären sollte, warum ich die Klischees nicht mehr hatte. Hätte ich sie noch gehabt, hätte ich sie natürlich hergegeben, denn verwendbar waren sie nun ohnehin nicht mehr. Ich war fest entschlossen, Strobl nicht zu verraten. Aber nur wenn ich eine glaubhafte Geschichte erfand, würde die Gestapo nicht versuchen, aus mir Namen zu erpressen: vor allem jenen, dem ich die Klischees weitergegeben hatte, denn daß das geschehen war, konnte sich die Gestapo denken.

Wie mir meine Mutter später erzählte, war der Mann plötzlich, ohne anzuklopfen, hereingekommen, hatte sich als Gestapo-Mann ausgewiesen und sofort mit einer, allerdings sehr oberflächlichen Hausdurchsuchung begonnen. Daß sie sehr oberflächlich war, konnte ich daraus erkennen, daß er ein neben meinem Bett offenliegendes Buch nicht angeschaut hatte. Dabei handelte es sich um Kurt von Schuschniggs Buch "Dreimal Österreich", das ich damals las, weil es verboten war. Erst später wurde mir klar, daß es sich um ein sehr schwaches Produkt österreichischen Schrifttums handelte. Aber einen Gestapo-Agenten hätte es natürlich provoziert.

Er begann mich auszufragen, wobei ich seinen Fragen entnahm, daß er von der ganzen Sache noch nicht viel wußte. Trotzdem fiel mir keine glaubhafte Geschichte ein, als er mich nach dem Verbleib der Klischees fragte. So erzählte ich ihm eben eine höchst unglaubwürdige, hinter der ich mich zu verschanzen gedachte. Ich konnte mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, daß er mir die Geschichte abnehmen würde. Ich erzählte, daß ich mich im Park mit einem älteren Herrn unterhalten hätte, der sehr von Österreich schwärmte. Ich hoffte, er würde mir bei einem Wiedersehen die Klischees abkaufen. Den Entwurf hätte ich selbst angefertigt. Sobald ich jedoch die Klischees bekommen hatte, hätte ich sie, von Reue überwältigt, in einen Kanal in der Nähe des Türkenschanzparks geworfen. Er sagte zunächst nur: "Da kriechst Du aber runter und holst sie rauf." Ich sagte: "Das war aber ein Hauptkanal!" Er sah mich äußerst skeptisch an, wozu er nun wirklich allen Grund hatte.

Aber da ich die Klischees nicht mehr hatte und ich auf keinen Fall verraten wollte, wem ich sie gegeben hatte, mußte ich einerseits in der gegebenen Situation alles auf mich nehmen, andererseits irgendetwas erfinden. Ein Unsinn war dabei sicher besser als Auskunftsverweigerung, zumindest dachte ich das. Er sagte schließlich: "Wir sehen uns noch." Und dann ging er. So mußte ich auf eine Vorladung warten, Er hatte mir auch noch verboten, mich "mit meinen Komplizen" zu treffen. Ich war sehr vorsichtig und überschätzte dabei auch die Möglichkeiten der Gestapo. Denn ich dachte, daß sie mich vielleicht beobachten würden, was mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geschah. Hiezu war ich wohl ein zu kleiner Fisch, und die Kosten einer Rund-um-die-Uhr-Beobachtung konnte wohl auch die Gestapo nicht ohne weiteres übernehmen. Jedenfalls suchte ich keinen meiner Freunde auf und ließ sie durch einen von ihnen, den ich zufällig sah, wissen, daß auch sie mich nicht besuchen sollten. Denn hier war eine Schwachstelle, da ja unser Nachbar, der Blockwart, einige meiner Freunde kannte, und ich bin mir sicher, daß man ihn befragt hatte. Aber da war nun nichts zu machen. Von meinen "Komplizen" war ihnen nur Winkler bekannt, der gar nicht zu uns gehörte und durch den ja die ganze Sache aufgeflogen war. Er kümmerte sich nicht um das Verbot der Gestapo, mich aufzusuchen, und besuchte mich mit einem äußerst unsympathischen Freund. Es kann nun sogar sein, daß er aufgefordert worden war, mich auszufragen, und bereit war, ihnen das weiterzugeben, was ich ihm erzählte. Ich war ihm gegenüber äußerst mißtrauisch, doch wollte ich ihn auch nicht gerade hinauswerfen. Als er mich fragte, wem ich denn die Klischees gegeben hätte, erzählte ich ihm denselben Blödsinn wie dem Gestapo-Beamten. Er sah mich höchst erstaunt und bewundernd an und meinte kopfschüttelnd: "Du hast aber einen Mut!" Und dann gingen sie.

Vorladung zur Gestapo#

Ich bekam alsbald eine Vorladung zu einer Einvernahme ins Jugendreferat 2C1 im Gestapo-Hauptquartier am Morzinplatz. Ich hatte sehr große Angst, denn ich mußte damit rechnen, daß man mir nicht glaubte und versuchen würde, die Wahrheit aus mir mit Gewalt herauszuholen. Aber ich hatte Glück im Unglück. Das Glück war der Termin. Zunächst ging ich dorthin, wo man mich erwartete. In einem nicht sehr großen, schmalen Zimmer saß jener Mann, der bei uns zu Hause gewesen war, an einem Schreibtisch. An der Breitseite des Zimmers war eine Türe offen, die in ein ähnliches Zimmer führte, und dahinter war, wie ich beim Vorbeigehen sah, eine weitere solche Türe, ebenfalls offen. In den beiden anderen Zimmern waren auch zwei Beamte, die ich jedoch nicht sehen konnte. Da die Türen offen standen, konnten sie jedoch das Verhör mitverfolgen, ohne selbst gesehen zu werden. Und nach etlicher Zeit kam der eine, dann der andere hinzu, und es kam zu einem "Kreuzverhör". Während jener, der bei uns war, eher einen brutalen Eindruck machte, war ein anderer eher schmächtig und blaß. Ihm traute ich einen raffinierteren Sadismus zu, wie etwa einem Himmler oder Beria. Der dritte war so farblos, daß ich mich nicht an ihn erinnere. Mein erster Verhörpartner hatte auf seinem Schreibtisch einen Volksempfänger, den er zwar kleingedreht hatte, bei jeder "Sondermeldung" jedoch sofort lauter stellte. Und man konnte sehen, daß die drei ungleich mehr an den Sondermeldungen interessiert waren als an dem Unsinn, an dem ich eisern festhielt und den ich immer gegen ihre Zweifel verteidigte und so in den verschiedensten Varianten wiederholte.

Nun hatte die deutsche Wehrmacht am 9. April 1940 einerseits Dänemark besetzt, andererseits waren Truppen in Norwegen gelandet. Es wurden jedoch im Radio keinerlei Details bekanntgegeben, weil man befürchtete, dem "Feind" Dinge bekanntzugeben, die er vielleicht noch gar nicht wußte. Außerdem waren die Siege geeignet, die Bevölkerung in eine im Sinne des Regimes günstige Stimmung zu versetzen, wenn man sie entsprechend propagandistisch verarbeitete. Und hierin waren nun die Nationalsozialisten tatsächlich Meister. Dies geschah ein oder zwei Tage nach der Landung in Norwegen gerade zur Zeit meines Verhörs. Daher waren die drei in einer Hochstimmung, und so ein lächerlicher Wurm wie ich, der so dumm war, sich gegen eine solche "Urkraft" zu stellen, erschien ihnen wie ein Witz. Ich sah bei jeder Sondermeldung bewundernd auf das Radio. Sie glaubten mir die Bewunderung kaum - oder doch vielleicht bis zu einem gewissen Grad. Das Verhör dauerte etwa drei Stunden, allerdings immer durch ehrfürchtiges Staunen über die Sondermeldungen unterbrochen. Am Schluß waren wir dort, wo wir am Anfang waren, und dann mußte ich noch, wie sie das nannten, in den Keller "klavierspielen" gehen, das heißt, Fingerabdrücke machen lassen. Auch entsprechende Fotos wurden von mir gemacht. Um die Abnahme der Fingerabdrücke zu stören, hatte ich mir die Fingerkuppen schon zu Hause etwas abgefeilt, teils kleinere Löcher hineingebissen. Sie fanden meine Fingerabdrücke merkwürdig. Einer meinte: "Vielleicht hat er kriminelle Anlagen." Dann konnte ich gehen. Ich war sehr erleichtert, denn das Hinuntergehen in den Keller hatte mir zunächst einigen Schrecken eingejagt. Es war mir gelungen, niemanden zu verraten und doch auch wieder von dort wegzukommen.

"Einladung" zur Hitlerjugend#

Meine Mutter erwartete mich schon sehnsüchtig. Sie hatte über unsere geplante Zettelaktion keine Ahnung, sich jedoch gegenüber dem Gestapo-Beamten ausgezeichnet benommen. Sie entwickelte in solchen Situationen eine Kombination von Energiedemonstration und Dummstellreflex, den man ihr auch im allgemeinen recht hilflos abnahm. So wollte mich einmal die sogenannte "Hitlerjugend" vereinnahmen. Ich ging jedoch trotz nachdrücklicher Erinnerung nicht zu den Heimabenden und anderen Veranstaltungen dieser Organisation. Schließlich kam eines Sonntags vormittag ein Hitlerjugendführer, um mich zu holen. Meine Mutter, die nach dem Öffnen der Wohnungstüre den Hitlerjugendführer draußen stehen sah, unterbrach ihn, nachdem er begonnen hatte zu erklären, was er beabsichtige, energisch und sagte in etwa: "Unser Führer sagt, er ist für die Religion. Ihr wollt jedoch die Kinder am Sonntag vormittag zum Dienst holen, damit sie nicht in die Messe gehen können. Daher seid ihr gegen die Religion. Daher seid ihr gegen unseren Führer, und mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben!" Und mit diesen Worten warf sie ihm die Türe vor der Nase zu. Der stand verblüfft draußen und ging, denn gegen diese völlig unsinnige Argumentation war er machtlos. Wie sollte er einer "einfachen Frau aus dem Volk" erklären, daß das "positive Christentum", auf dessen "Boden" die NSDAP gemäß ihrem Programm stand, eigentlich negatives Christentum, also konfessionsloses meinte etc.? Er gab es auf.

Nun stand die HJ in Wien ohnehin auf fragwürdigem, wenn nicht sogar hoffnungslosem Posten. Der Wiener Widerstand zeigte sich hier so, daß ein geordneter Betrieb gar nicht recht möglich war. Man war so dabei, daß man eigentlich nicht dabei war. Einmal entschuldigte man sich mit Zahnweh, dringendem Lernen, dann blieb man unentschuldigt weg, und dies ging über Monate hinweg. Ein Freund, Otto Kadletz, Sohn eines nazistischen Polizeimajors, lieferte ein riskantes Glanzstück, indem er sich als sein eigener Onkel verkleidete und sich so entschuldigte. Weiters gab es in der Geblergasse eine Niederlassung des Roten Kreuzes, die sich weitestgehend in sozialistischer Hand befand, wobei zwei Brüder, die so ähnlich wie Ble(a)ier hießen, die führenden Köpfe waren. Diese waren in ihren Zielsetzungen so diffus wie wir: "Hitler und die Nazis müssen weg, alles übrige erledigen wir dann unter uns!" Diese Basis reichte völlig aus, um einander problemlos zu verstehen. Die Mitarbeit beim Roten Kreuz genügte auch, um vom Dienst bei der HJ befreit zu sein. Dort lernten wir Verbände anlegen, Knochen schienen, Erste Hilfe etc. und mußten nach Kriegsbeginn auch Verwundete aus Zügen oder Lazarettschiffen (Donauschiffen) ausladen helfen. Diese Tätigkeit, die mit keinerlei ideologischem Quatsch verbrämt wurde, vertrug sich sowohl mit Christentum als auch mit Sozialismus und vollzog sich in einer eindeutig antinazistischen Atmosphäre, daß es eine Freude war.

Anläßlich einer Übung im Verbandanlegen legten wir nun Otto einen Stützverband für den rechten Arm an - mit einem Drahtgestell -, und er ging mit diesem Arm zur HJ und entschuldigte sich wegen seiner Verletzung, die er sich irgendwo "zugezogen" hätte - wieder einmal und diesmal gleich auf sechs Wochen. Dann war er beim Roten Kreuz. Er war es auch, der in der Mittelschule, dem früheren Schottengymnasium, die - wenigen - Naziprofessoren immer wieder erfolgreich zum Narren hielt, während ich in der Schule versuchte, solche mit ernsten Argumenten vom Nazismus wegzubringen. So hatte er einen besonders dummen Geographieprofessor. Dieser erklärte, vor allem an christliche Schüler gerichtet, einmal: "Meiner Ansicht nach ist die Welt aus dem Urnebel entstanden." Nun kam sofort von einem der Schüler die Frage, woher denn der Urnebel komme. Der Professor, "Umi" genannt, meinte, da gebe es verschiedene Hypothesen, "ich bin mir da auch nicht ganz klar". Otto zeigte sofort auf, und der Professor fragte: "Wissen Sie es vielleicht?" Worauf Otto meinte: "Selbstverständlich, den hat doch der Wotan mit der Pfeife gemacht!" Wotan mit indianischer Karl-May-Pfeife war eine sehr erheiternde und doch auch doppelbödige Vorstellung. Aber die Einzelaktionen in den Schulen sind eine spezielle Sache, die noch näher erforscht werden müßte und nicht hierher gehört.

Aktion Schaukasten#

Zu einer Aktion noch einige Zeilen. Am zentralen Platz von Hernals, dem Elterleinplatz, gab es eine Reihe von Schaukästen, wenigstens drei. Sie gehörten der Partei bzw. deren Gliederungen, und diese informierten - natürlich propagandistisch geprägt - über politische Ereignisse, speziell solche in Hernals. Der Platz war sehr verkehrsreich, so gab es dort die Straßenbahnlinien 43, H2 und 9. Es laufen dort die Jörgerstraße und die Hernalser Hauptstraße zusammen. Darüber hinaus die Kalvarienberggasse und die Hormayrgasse, und eine kurze Gasse mit Stufen führt zum Pfarrhof. Tausende Leute gehen dort vorüber und steigen in die Straßenbahnen ein und aus. Die Schaukästen waren an einem Haus an der südlichen Seite angebracht, in dem früher einmal die Hernalser Feuerwehr untergebracht war. Nun beschlossen wir - ich weiß nicht mehr, von wem die Idee stammte - etwas gegen die Schaukästen zu unternehmen.

Es sollten die Gläser eingedrückt und die Schaukästen mit einem möglichst klebrigen Lack übergossen werden. Eine solche Aktion mußte von vielen Leuten gesehen werden und einiges Aufsehen erregen. Sie würde sicherlich auch von allen verstanden werden. Nun übernahm es ein bei uns verkehrender Arbeiter, der vom Sozialismus, sogar Kommunismus kam, sich jedoch nun christlich engagierte und Karl Sigurd Hahn hieß, den Hauptakteur zu spielen. Er wollte einen Betrunkenen mimen, einen zugedeckten Farbtopf an sich drücken wie eine Flasche, wackelnd in das Glas eines Schaukastens fallen und so dessen Glas eindrücken und unmittelbar danach den Lack darüberschütten. Wir anderen sollten dabei "Schmiere stehen", was insoferne nötig war, als der propagandistische Vorteil, daß dort sehr viele Leute vorüberkamen, für die Aktion selbst von großem Nachteil war.

So postierten sich an allen sieben Zugängen Leute, die irgendein Nazilied pfeifen oder singen sollten, wenn jemand kam. Das alles konnte natürlich nur während der Nacht durchgeführt werden. Tatsächlich funktionierte das Ganze programmgemäß ohne Störung. Am nächsten Tag ging jeder von uns einmal über den Elterleinplatz und sah, daß die Sache doch erhebliches Aufsehen erregte. Nur wenige Leute erregten sich im Sinne des Regimes - über die "Besudelung" solch wertvoller informativer Einrichtungen; die meisten sahen ruhig und schweigsam den Parteifrauen beim Reinigen der besudelten Schaukästen zu und danach den Glaserern, die wiederum neue Gläser einsetzten.

In der Maturaschule#

Ich besuchte von Herbst 1940 bis April 1942 die Maturaschule Vrtel in der Habsburgergasse. Auch Karl Strobl ging dorthin, da man ihn aus seiner Mittelschule nach der sechsten Klasse wegen seiner antinazistischen Opposition hinausgeschmissen hatte. Bevor ich dort begann, wurde er wegen einer ganz anderen Sache von der Schule weg verhaftet, und er verbrachte dann etwa neun Monate in Untersuchungshaft. Dabei war es ihm gelungen, keine Kameraden zu belasten. Nach seiner Freilassung kam er zur deutschen Wehrmacht als Sanitäter. Wir sind bis heute Freunde. Ich verdanke ihm die Intensivierung meiner proösterreichischen und antinazistischen Einstellung.

Als wir uns nach dem Krieg trafen, wollte er, wie er es immer schon vorhatte, Theologie studieren, hatte jedoch kein abgeschlossenes Mittelschulstudium. So wollte er noch einmal eine Maturaschule besuchen. Ich sagte, das müsse doch schneller gehen, da er schließlich durch illegale Akte des Staates an seiner Matura gehindert worden war, und schickte ihn zu Rektor oder Prorektor Richard Meister, den Vorstand des Pädagogischen Instituts. Dieser sehr elastische Mensch brachte es fertig, bei drei politischen Umbrüchen an der Universität die erste große Rede zu halten, wie mir später Friedrich Heer erläuterte. Meister gestattete Strobl, ohne Matura zu inskribieren, wenn auch nur Theologie. Er schaffte dies, und so bin ich froh, ihm durch einen Rat zwei Jahre erspart zu haben - ein kleines Dankeschön für seinen Beitrag zu meiner Entwicklung.

Meine Schul- und Militärzeit gehört nicht hierher, obwohl darüber vieles zu berichten wäre. Mit einer ganzen Reihe von Freunden korrespondierte ich bis zum Ende des Krieges. An die Zeit in der Hernalser Widerstandsgruppe denke ich gern zurück, denn wir standen von Anfang an auf der anderen - zweifellos richtigen - Seite.

Der Text stammt aus dem DÖW-Jahrbuch 1995 - freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands