Die Vernichtung eines Dirigenten#
Furcht und Elend im Dritten Reich: Wie Widerstandsbewegungen systematisch unterwandert wurden#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 6. Februar 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Doris Griesser
- Verbindungsleute oft unter Druck, aber manche agierten aus eigenem Antrieb
- Der Zeithistoriker Hans Schafranek steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe
- Den tragischen Fall Walter Suess konnte er aber lückenlos aufklären
Graz/Wien. Widerstandsbewegungen wurden im Dritten Reich systematisch von Verbindungsleuten der Gestapo unterwandert. Am tragischen Fall des jungen Dirigenten und Arztes Walter Suess hat der Zeithistoriker Hans Schafranek exemplarisch aufgezeigt, wie gezielte Provokation und Verrat zur Vernichtung von Kritikern eingesetzt wurden und warum viele Spitzel nach Kriegsende ungestraft blieben.
Als Walter Suess 1936 in Wien zum Doktor der Medizin promovierte, war er 24 Jahre alt und ein leidenschaftlicher Musiker, der auch die Staatsprüfung als Kapellmeister erfolgreich abgelegt hatte. Bereits mit 25 dirigierte er große Orchester. Da jedoch Suess’ Vater Jude war, galt er als "Mischling 1. Grades", wodurch die vielversprechende Karriere des jungen Dirigenten nach dem "Anschluss" 1938 schlagartig eine andere Richtung nahm: Er wurde aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen und durfte in der Folge nicht mehr öffentlich als Musiker auftreten.
Um sein materielles Überleben zu sichern, musste er sich also auf die Medizin verlegen. Noch im selben Jahr übernahm er in Bad Gastein eine Zahnarztpraxis. Aber auch dieser berufliche Ausweg wurde ihm von den Nationalsozialisten bald versperrt: Denn im Zuge der Novemberpogrome des Jahres 1938 – verharmlosend als "Reichskristallnacht" bezeichnet – wurde seine auf Kredit neu ausgestattete Ordination völlig verwüstet. Ihm selbst wurde von der NSDAP-Ortsgruppe nahegelegt, baldigst aus Bad Gastein zu verschwinden.
Kein überzeugter Kommunist#
Suess übersiedelte mit seiner Frau also wieder nach Wien, wo er bei seiner "arischen" Mutter in deren Dentisten-Praxis mitarbeiten konnte. Nach dem zweiten Existenz-vernichtenden Schlag fasste er den Entschluss, nach Argentinien zu emigrieren. Doch auch das wurde vereitelt, da er von der Militärbehörde wegen seiner Militärpflicht mit einem Ausreiseverbot belegt wurde.
"In dieser hoffnungslosen Situation kam Walter Suess mit der kommunistischen Bewegung in Berührung", berichtet Schafranek, der im Zuge seiner Untersuchungen zum NS-Spitzelwesen auch auf die Geschichte des jungen Dirigenten und Arztes stieß. "Nicht politische Überzeugung, sondern andauernde Demütigungen, rassistische Unterdrückung und der vage Wunsch, sich nicht völlig der Diktatur zu beugen, begründeten diese Annäherung", ist er nach umfangreicher Quellenarbeit in österreichischen und deutschen Archiven überzeugt.
Über Vermittlung seiner jüdischen Patientin Martha Zäuner kam er schließlich mit dem kommunistischen Bezirksfunktionär Robert Kurz in Kontakt und stellte in der Folge seine Wohnung für konspirative Treffen und als "Lit-Stelle" (Literaturstelle) für den 2. Bezirk zur Verfügung.
Im Mai 1940 wurde Kurz von der Gestapo verhaftet. Trotz schwerer Misshandlungen verriet er seine Mitstreiter nicht. "Deshalb wurden von der Gestapo zwei V-Leute (Spitzel) eingesetzt, um die gesamte Gruppe um Robert Kurz auffliegen zu lassen", berichtet Schafranek.
Agent Provocateurs im Dienst der Gestapo#
Einer dieser V-Männer war Franz Pachhammer, der sich Anfang 1940 der Gestapo freiwillig als Informant angeboten hatte. Was ihn empfahl: Er hatte eine Gruppe kommunistischer Jugendlicher zu einer Kranzniederlegung an der Urne des 1934 hingerichteten Schutzbund-Kommandanten Karl Münichreiter überredet, die Aktion fotografiert und vorher darüber den Leiter des Nachrichtenreferats der Wiener Gestapo, Lambert Leutgeb, informiert.
Im Sommer 1940 nahm er unter dem Decknamen "Lux" als vorgebliches Mitglied der illegalen KPÖ auch mit Werner Suess Kontakt auf. Pachhammer konnte ihn nach anfänglichen Zweifeln von seiner "Echtheit" überzeugen, stellte eine Schreibmaschine und einen Vervielfältigungsapparat zur Verfügung und beauftragte Suess mit der Herstellung der Zeitung "Hammer und Sichel", wie Schafranek herausfand.
Zudem instruierte er Suess über den gewünschten Inhalt. "Lux" versuchte Suess auch für die Bildung einer kommunistischen Sabotage- und Terrororganisation zu gewinnen, was dieser jedoch ablehnte. Den Vorschlag, eine kommunistische Ärzteorganisation aufzubauen, versuchte er zwar umzusetzen, blieb damit aber erfolglos.
Im April 1941 schließlich wurde Walter Suess mit seiner Ehefrau und elf weiteren Personen, die von den V-Leuten mit illegalem Material versorgt worden waren, von der Gestapo verhaftet. In der Anklageschrift gegen Suess wurde der Gestapo-Provokateur Pachhammer trotz zahlreicher Hinweise des Angeklagten und dessen Ansuchen um eine Gegenüberstellung als unbekannt gebliebener "kommunistischer Funktionär" bezeichnet. Am 28. Jänner 1943 wurde Walter Suess wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" im Landesgericht Wien hingerichtet.
Und Franz Pachhammer? Er kehrte 1955 mit einem der letzten "Heimkehrertransporte" aus der sowjetischen Haft nach Österreich zurück.
Konsequent Spuren vernichtet#
Aufgrund seiner langjährigen Quellenrecherchen ist Schafranek überzeugt, dass die V-Leute "die gefährlichste Waffe der Gestapo zur Zerschlagung jeglichen organisierten Widerstands waren. Egal ob es sich um den kommunistischen, überparteilichen, legitimistischen, sozialistischen, katholischen, bürgerlich-konservativen oder militärischen Widerstand handelte. Keine Gruppierung, die eine gewisse Ausdehnung und Infrastruktur erreicht hatte, blieb von der Infiltration durch Gestapo-Spitzel verschont".
Die meisten konnten nie gefasst werden#
Allerdings konnten die meisten dieser V-Leute niemals gefasst werden, da Gestapo und NS-Justiz gezielt alle Spuren der falschen "Widerstandskämpfer" aus den Dokumenten verschwinden ließen. "War dies nicht möglich", so der Historiker, "galt die Person als ‚noch nicht ausgeforscht’." So gewinnen bei der Spurensuche gerade die Auslassungen einen direkten Erkenntniswert: "Es ist ja sehr aussagekräftig, wenn ein in den Vernehmungsprotokollen mehrmals genannter ‚Tatbeteiligter’ in der Anklageschrift bzw. im Urteil überhaupt nicht mehr aufscheint."
So wurden etwa bei der von "Lux" provozierten Gedenkfeier weder er noch sein Komplize in den Protokollen erwähnt. Entsprechende Hinweise der verhörten Jugendlichen wurden ignoriert oder mit Drohungen quittiert. Im Gegensatz zu Pachhammer waren nach Schätzung Schafraneks etwa zwei Drittel der Wiener V-Leute, über die es biografische Unterlagen gibt, zumindest in der Anfangsphase unfreiwillig für ihre Auftraggeber tätig. Oft wurden ehemalige Widerstandskämpfer durch die Drohung mit dem KZ, Repressalien gegen die Familie, Aussicht auf vorzeitige Entlassung aus dem KZ oder Einstellung von Strafverfahren "umgedreht". Franz Pachhammer alias Lux lieferte die Menschen offenbar freiwillig ans Messer.
Der ausgezeichnete, mutige und notwendige Beitrag, für den zu danken ist, zeigt die ganz spezifischen Schwierigkeiten des österreichischen Widerstands in aller Deutlichkeit. Auch Karl Roman Scholz wurde durch den Schauspieler Hartmann verraten.
Im Gegensatz dazu hat bei dem Prozess gegen Bernardis keiner der von ihm telefonisch alarmierten Offiziere gegen ihn ausgesagt, auch Stauffenberg wurde von Manstein nicht verraten, als er ihm seine Pläne offenbarte, obwohl Manstein dazu verpflichtet gewesen wäre.
Bernardis wurde am 20. Juli 1944 von einem Österreicher verraten und nur deswegen von dem ahnungslosen Skorzeny festgenommen.
Die geplante Aktion des 20. Juli 1944 unter dem Decknamen "Walküre" blieb -obwohl es viele Mitwisser gab- dem Reichssicherheitshauptamt völlig verborgen.
Bleibt zu hoffen, dass die Forschung -etwa das DÖW- sich weiter mit den Denuntianten beschäftigt, die für den grausamen Tod vieler aufrechter Widerstandskämpfer (vgl. dazu etwa das Massaker von Krems) verantwortlich sind.
--Glaubauf Karl, Dienstag, 20. Juli 2010, 08:43
Selbstverständlich gilt der ganz besondere Dank primär dem Historiker Schafranek und der Wiener Zeitung sowie dem Austria-Forum, das infolge seiner enormen Medienreichweite eine breitgestreute Information der Forschung und aller Interessierten sicherstellt.Der Gegenstand war auch für mich als Historiker neu.
--Glaubauf Karl, Dienstag, 20. Juli 2010, 08:56