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Hakenkreuz über Schloss Vaduz#

Der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich vor 80 Jahren stürzte auch das benachbarte Fürstentum Liechtenstein in eine tiefe politische Krise.#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung, 10. März 2018

Von

Christoph Rella


Der Einmarsch deutscher Truppen in Feldkirch am 16. März 1938.
Der Einmarsch deutscher Truppen in Feldkirch am 16. März 1938.
Foto: © Liechtensteinisches Landesmuseum

Das Dröhnen der Stiefel war von weither zu hören, ebenso das Klopfen der Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster. Hinzu mischte sich Blasmusik. Als die ersten Soldaten am Ende der Straße erschienen, brandete Jubel auf, "Heil!"-Rufe hallten von den Mauern der Neustadt, während die an den Fassaden aufgehängten Hakenkreuzfahnen im Wind flatterten. Der 16. März 1938 war für viele Bewohner Feldkirchs zweifellos ein Freudentag. Österreich war wenige Tage zuvor, bekräftigt durch den triumphalen Einzug Adolf Hitlers am 13. März in Wien, Teil des Deutschen Reiches geworden. Und die trügerische Hoffnung vieler Vorarlberger auf ein besseres Leben, auf Arbeit und Brot, schien endlich in Erfüllung zu gehen.

Unter den Schaulustigen in Feldkirch befanden sich auch zahlreiche NS-Anhänger aus dem benachbarten Fürstentum Liechtenstein. Viele von ihnen hatten über die Radioberichterstattung von den sich überschlagenden Ereignissen in Österreich erfahren und waren in den Tagen nach dem "Anschluss"-Wochenende wiederholt über die Grenze gekommen. "Mit großer Begeisterung haben die nationalsozialistisch eingestellten Liechtensteiner die herrliche Umwälzung in Deutsch-Österreich miterlebt", berichtete etwa das "Vorarlberger Tagblatt". "In Scharen fahren immer wieder Neugierige und Begeisterte in das benachbarte Vorarlberg, um mit glänzenden Augen die große Freude zu sehen, jubelnd Anteil an der Befreiung des deutsch-österreichischen Volkes zu nehmen."

Agitation und Angst#

Unter dem Eindruck des Umsturzes und wohl in der Annahme, dass auch das Fürstentum bald dem Reich angehören könnte, scheuten die nationalsozialistisch gesinnten Liechtensteiner in der Folge nicht davor zurück, auch in ihrer Heimat Hakenkreuzfahnen an Häusern und Fahrrädern zu befestigen oder öffentlich mit "Heil Hitler" zu grüßen. Die Agitation ging sogar so weit, dass man in politischen Kundgebungen - so wie am 13. März im grenznahen vorarlbergischen Tisis - unverhohlen die Kündigung des 1924 mit der Schweiz geschlossenen Zollvertrages und einen Zollanschluss an Deutschland forderte. Die Heimholung der "Volksdeutschen" Liechtensteins ins Reich wäre dann nur noch eine Frage der Zeit.

Die große Mehrheit der Liechtensteiner freilich sah im "Anschluss" Österreichs ein katastrophales Ereignis, das sie voller Angst mitverfolgte. Würden die deutschen Truppen über die Grenze bis nach Vaduz marschieren? Was würde dann aus Liechtenstein? Tatsächlich war die Gefahr für die Souveränität des Fürstentums in jenen Märztagen mehr als gegeben. Allerdings ging diese Gefahr weniger von den Liechtensteiner Nationalsozialisten aus, die sich zwar am 31. März mit der Gründung der "Volksdeutschen Bewegung" organsierten, aber kaum mehr als fünf Prozent der Bevölkerung erreichten, sondern vom schwer zerrütteten Zustand des politischen Systems.

Bestimmende Kraft in Liechtenstein war seit 1928 die christlich-konservative Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP); sie hatte bei den Landtagswahlen 1936 dank des vorherrschenden Majoritätswahlsystems erneut mehr als zwei Drittel der Mandate (11 von 15 Sitzen) errungen, während von der oppositionellen Vaterländischen Union (VU) - obwohl diese fast 48 Prozent der Stimmen erhalten hatte - nur vier Abgeordnete dem Parlament angehörten.

Die Landespolitik war seither von Parteienstreit, Blockaden und Unfrieden geprägt, Fürst Franz I., der vielleicht vermittelnd eingreifen hätte können, saß, von einer schweren Krankheit gezeichnet, in Wien und hatte sein Fürstentum schon seit Jahren nicht mehr besucht. Erschwerend kam hinzu, dass die Führer der Opposition, Otto Schädler und Alois Vogt, mit dem Deutschnationalismus offen sympathisierten. Wie würden sich die Herren nun Hitler gegenüber verhalten?

Besorgte Schweiz#

Diese Frage stellte sich auch die eidgenössische Regierung in Bern. Sie sorgte sich nicht nur um die politische Zukunft des gemeinsamen Zollgebiets, sondern auch um die Unversehrtheit ihrer an der liechtensteinisch-österreichischen Grenze stationierten Zoll- und Wachebeamten. Vor allem ließen die im Fürstentum abgehaltenen pro-deutschen Sympathiekundgebungen bei den Schweizer Behörden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Nachbarlandes aufkommen. Um diese Zweifel rasch zu zerstreuen, wurde am 13. März der stellvertretende Regierungschef und Landtagspräsident Anton Frommelt von der fürstlichen Regierung nach Bern geschickt. Dort wurde dem katholischen Pfarrer und entschiedenen NS-Gegner unmissverständlich mitgeteilt, dass die Schweiz von Regierung und Volk sowie den Parteien FBP und VU eine klare Aussage der staatlichen Unabhängigkeit und der bestehenden Zollgemeinschaft erwarte - andernfalls würde man die Zollgemeinschaft beenden und die Grenzwächter abziehen.

Zwei Tage später, am 15. März, kam es im Landtag in Vaduz zu einer hitzigen Debatte. "Die Leute in Bern sind über das Kleinste informiert und der Schweiz ist es absolut nicht gleich, was dieses kleine Land macht", rief Frommelt den Abgeordneten in Erinnerung und forderte sie auf, die von der Schweiz gewünschte Erklärung, das Fürstentum wolle selbstständig bleiben und die geltenden Staatsverträge einhalten, abzugeben.

Schädler sah nun seine Stunde gekommen und stellte Frommelt eine einzige Bedingung: die Beteiligung seiner Partei an der Macht. Der VU-Chef rechtfertigte sich damit, dass die NS-Idee nur deswegen in Liechtenstein Anklang fände, weil die Opposition nicht gleichberechtigt behandelt sowie bei der Vergabe öffentlicher Stellen nicht berücksichtigt würde. "Zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit ist die Befriedung notwendig", donnerte er und stellte klar, dass er seine Zustimmung nur dann geben werde, wenn die Regierung umgebildet und das Verhältniswahlrecht eingeführt werde.

Der Regierung blieb nichts anderes übrig, als zu liefern. Bei den nachfolgenden Verhandlungen vereinbarten die Parteien, eine Koalitionsregierung mit einem reduzierten Übergewicht der FBP und einer proportionalen Beteiligung der VU einzusetzen sowie im Landtag, bei Behörden, Kommissionen und Gerichten den Proporz einzuführen. Auch sollten die Wahlen zum Landtag 1939 nach dem Proporz stattfinden.

Der Prinz kehrt zurück#

Im Gegenzug bekannten sich Schädler und die VU am 21. März vertraglich zur bestehenden Verfassung, zur Selbstständigkeit der Nation, zum Fürstenhaus sowie zur Zollgemeinschaft mit der Schweiz. Die Zeitung "Liechtensteiner Vaterland" jubelte: "Eine Zeit unerträglicher Spannung, 10 Tage lähmender Unsicherheit, sind vorbei. Liechtenstein atmet wieder auf und fühlt sich von einem ungeheuren Druck befreit."

Wenige Tage später, am 30. März, wurde der VU-Führer Alois Vogt vom Landtag zum stellvertretenden Regierungschef gewählt und vom Thronfolger Franz Josef, der am 18. März aus Wien kommend in Vaduz eingetroffen war, im Amt bestätigt. Die Anwesenheit des jungen Prinzen wurde von der Bevölkerung mit Erleichterung begrüßt. Tatsächlich trug die weitere Anwesenheit Franz Josefs im Land sehr dazu bei, das neue politische System zu stabilisieren sowie seine eigene Rolle als zukünftiges Staatsoberhaupt zu unterstreichen. Die Option, weiter in Wien, also im nationalsozialistischen Deutschland, zu residieren, wäre der Souveränität des Fürsten und des Landes wohl abträglich gewesen. Das sah auch Franz Josefs Großonkel, Franz I., so. Bereits am 30. März, gleichzeitig mit der Regierungsumbildung, übertrug der kranke Fürst die landesfürstlichen Rechte auf den erst 32-jährigen Franz Josef und ernannte ihn zum Prinzregenten. Nach dem Tod des 85-jährigen Monarchen am 25. Juli 1938 bestieg der Prinz als Franz Josef II. den Thron.

Allerdings waren die Gefahren, denen das Land durch die Märzkrise ausgesetzt war, nach wie vor nicht gebannt. Zwar hatte Hitler, wie aus einem Aktenvermerk des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 18. März hervorgeht, beschlossen, sich in Liechtenstein (das er schlichtweg als zu unbedeutend erachtete) politisch nicht "einmischen" zu wollen. Dennoch herrschte, nachdem diese Verfügung nicht publik wurde, im Fürstentum weiterhin Angst.

Bankensturm#

Diese Angst machte sich vor allem am Finanzplatz Vaduz bemerkbar, wo viele Anleger um die Sicherheit ihrer Konten fürchteten. Vom rasch einsetzenden Run auf die Geldinstitute am stärksten betroffen war die Landesbank, die binnen weniger Monate Abflüsse von 2,5 Millionen Franken zu verkraften hatte und durch einen Schweizer Zwei-Millionen-Kredit "aufgefangen" werden musste. Darüber hinaus wurden zahlreiche Stiftungen und Sitzgesellschaften liquidiert oder zogen ins Ausland, auch mussten bis Juli 1938 nicht weniger als 149 Unternehmungen mit einem Kapital von 185 Millionen Franken gelöscht werden. Steuerverluste waren die Folge.

Aber auch die "Volksdeutsche Bewegung" blieb nicht untätig und sorgte in den nachfolgenden Monaten mit dem Abbrennen von Hakenkreuzen, Hitlergruß und Schlägereien für Aufsehen. Hinzu kamen ab Herbst 1938 Bölleranschläge, unter anderem gegen Häuser, in welchen Juden wohnten. Eine bestimmende Größe erlangte die NS-Partei, die bis 1945 existierte und zwischen 150 und 300 Mitglieder zählte, in Liechtenstein allerdings nie. Zudem wusste sich die fürstliche Regierung zu wehren, etwa als sie am 24. März 1939 einen schlecht vorbereiteten "Anschluss"-Putschversuch vereitelte oder 1943 das Nazi-Blatt "Der Umbruch" mit einem Verbot belegte. Dass während des Weltkrieges rund einhundert Liechtensteiner "Volksdeutsche" an der Seite des Deutschen Reiches kämpften, konnte Vaduz hingegen nicht verhindern.

Das Fürstentum jedenfalls, das seine Armee 1868 abgeschafft hatte, erklärte sich Ende August 1939 für neutral und überstand so den Krieg an der Seite der Schweiz unbeschadet. Aus Dankbarkeit für die Schonung pilgerte die Bevölkerung am 21. Mai 1945 im Rahmen einer Landeswallfahrt zur Kapelle Dux bei Schaan. Den Teilnehmern rief das "Liechtensteiner Volksblatt" mit mahnenden Worten in Erinnerung: "Ein Land vom Kriege verschont, nicht eine Bombe fiel auf diesen Boden, keine Hütte litt Schaden. [. . .] Wohl erzitterten die Fensterscheiben, wenn im benachbarten Gebiet die Bomben ihr Zerstörungswerk vollbrachten; dem Liechtensteiner geschah kein Leid an Leben und Gut."

Christoph Rella, geboren 1979, Autor und Historiker, arbeitet als Redakteur bei der "Wiener Zeitung".

Wiener Zeitung, 10. März 2018


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