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Als Emigrant in Futog bei Novi Sad#

Alfred Missong jun. beschreibt das Schicksal seiner Familie im Zweiten Weltkrieg.
Siehe hiezu die Biographie von Alfred Missong sen.

Alfred Missong sen. (mit Klick vergrößern!)
Alfred Missong sen.
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Alfred Missong jun.
Alfred Missong sen. war ein glühender österreichischer Patriot, der von der nationalen Eigenständigkeit Österreichs fest überzeugt war und als Schriftsteller schon nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie für die Selbständigkeit der Republik Österreich und gegen den Anschluss an Deutschland eintrat. Er erblickte in Österreich ein Land, in dem zwar deutsch gesprochen wurde, das aber deshalb kein deutsches Land war. Als Teil eines großen Vielvölkerreiches habe Österreich eine andere Geschichte als Deutschland; andere ethnische und kulturelle Einflüsse hätten den österreichischen Volkscharakter geprägt. Der "typische Österreicher" sei ein Produkt einer geglückten Mischung aus slawischen, magyarischen, germanischen und lateinischen Elementen; er unterscheide sich vom "typischen Deutschen" in vieler Hinsicht. Aus vielen Gründen sei in Österreich ein eigenes von Deutschland durchaus unterschiedliches nationales Gebilde entstanden, das als eigene Nation und eigener Staat in Europa eine besondere völkerverbindende Rolle zu spielen habe. In dem Vielvölkerstaat der österreichisch-ungarischen Monarchie unter dem Szepter der Habsburger sah er die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens der kleinen Völker Mitteleuropas, die allein der Gefahr der Dominanz der grösseren Nachbarn Deutschland, Italien und Russland ausgesetzt wären und früher oder später unter ihre Herrschaft geraten würden. Bis zum Untergang Österreichs durch die deutsche Besetzung im März 1938 erhoffte sich Missong eine Rückkehr der Habsburger; mit dem Thronfolger, Erzherzog Otto, unterhielt er laufend Kontakt;. Nach dem Abkommen Schuschniggs mit Hitler vom Februar 1938 hatte er in realistischer Weise erkannt, dass die Selbständigkeit Österreichs ohne radikale Änderung des österreichischen Regierungskurses und die Einbeziehimg der Arbeiterschaft in eine grosse patriotische antinazistische Abwehrfront nicht mehr länger aufrecht zu erhalten war. Als letzte Karte setzte er auf die Übernahme der Kanzlerschaft durch Otto von Habsburg, der den österreichischen Widerstand gegen Deutschland organisieren sollte. Manche mögen heute über diese Vorstellungen lächeln und sie als naiv abtun, sicher aber ist, dass Otto Österreich nicht kampflos den Deutschen übergeben hätte, wie dies zum Schaden für ganz Europa Schuschnigg tat.

Kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus#

Dass diese Ideen Missongs im Zeitalter des deutschen Nationalsozialismus als Verrat am Pangermanismus, eines wesentlichen Bestandteils der Ideologie Hitlers, galten, ist selbstverständlich. Allerdings schrieb Missong die meisten seiner Aufsätze unter Pseudonym, auch eines seiner wichtigsten Werke, "Der Nazispiegel", erschien schon 1932 unter dem Pseudonym Thomas Murner. In dieser Kampfschrift setzte sich Missong mit der Ideologie des Nationalsozialismus kritisch auseinander und wies nach, dass sie germanisch-heidnischen Ursprungs und zutiefst unmenschlich und unchristlich ist. Diese Schrift, die in geradezu prophetischer Weise die Bestialitäten voraussagte, die Hitlerdeutschland vollbringen werde, wenn es nicht rechtzeitig daran gehindert werde, ist sicher eine der ersten tiefschürfenden und überzeugenden Analysen dieser politischen Bewegung. Mit diesen Argumenten versuchte er auch den Vatikan zu einer kirchenrechtlichen Verurteilung des Nationalsozialismus und der Exkommunikation seiner Anhänger zu bewegen. Dass er also viele Gründe hatte, die Gestapo zu fürchten, ist einleuchtend. Da Missong regelmässig unter Pseudonym schrieb, war auch der Gestapo die Urheberschaft dieser und anderer Schriften und Aufsätze nicht bekannt. Diesem Umstand verdankte Missong zweifellos das Leben. Hätten sie gewusst, welchen Feind sie in ihren Händen hatten, er wäre den Nazis sicher nicht entkommen. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Österreich im März 1938 wurde er wie so viele andere österreichische Patrioten - während viele österreichische Nazis Hitler zujubelten, waren schon 70.000 Österreicher von den Nazis verhaftet und nach Dachau gebracht worden! - sofort von der Gestapo verhaftet und durch Monate hindurch ihren bekannten Verhören ausgesetzt, die aber keine Beweise seiner "staatefeindlichen schriftstellerischen Arbeit" lieferten. Deshalb ließen ihn die Nazis wieder gehen und es gelang ihm und seiner Familie die Flucht in die Schweiz, wo man auf die Visa für Amerika wartete.

Emigrantenschicksal#

Ohne finanzielle Mittel war die Familie auf die Hilfe befreundeter Menschen angewiesen. Weniger freundlich erwiesen sich allerdings die Schweizer Behörden, die Missong die weitere Aufenthaltsbewilligung verweigerten und die zwangsweise Rücksendung "ins Reich" androhten. Vor die Wahl gestellt, an die Deutschen ausgeliefert zu werden oder freiwillig die Schweiz zu verlassen, entschied sich Missong für eine Fahrt nach Jugoslawien, wo gute Freunde die ganze Familie auf ihren schönen Besitz einluden bis die amerikanischen oder englischen Visa erteilt werden würden. Es handelte sich um einen alten Mitkämpfer und österreichischen Patrioten, den Dr. Walter Breitenfeld und seine Gattin, die "Tante Johanna", eine Gräfin Schönborn-Chotek. Diese wunderbaren Menschen nahmen uns Flüchtlinge, die wirklich nichts besaßen, großzügig auf ihren Gütern in Futog auf, einem kleinen unscheinbaren Nest in der Wojwodina in der Nähe Novisads. Sie selbst, besaßen auch die jugoslawische Staatsbürgerschaft und konnten deshalb noch knapp vor Kriegsbeginn im Sommer 1939 nach England reisen, während wir als "deutsche" Staatsangehörige volle zwei Jahre in Futog vergeblich auf die rettenden Visa für eine Weiterreise nach England oder Amerika warteten.

Mein Vater fuhr regelmässig nach Belgrad, um. dort bei dem britischen und amerikanischen Konsulat wegen der begehrten. Visa, die freilich nie bewilligt wurden, vorzusprechen. Diese Reisen waren, für die ganze Familie niederschmetternd, weil mein Vater immer verzweifelter wurde. Ich wusste zwar nicht wirklich, was eigentlich ein Visum war, es erschien mir aber als ein ganz besonders wunderbares Ding, mit dem ich den Eltern Freude machen könnte. Deshalb verfertigte ich selbst Visa und legte sie ihnen als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum! Später erfuhr ich, dass der amerikanische Konsul meinem Vater riet, in unsere Pässe - durch den "Anschluss" waren wir deutsche Staatsbürger geworden und hatten deutsche Reisepässe - selbst ein "J" zu machen, weil wir dann als Juden mehr Chance auf Erteilung eines amerikanischen Visums hätten. Ein anderes Mai versuchte er ein sowjetisches Visum zu erhalten. Ebenfalls vergeblich; von deutschen Staatsbürgern verlangten die Sowjets nämlich damals - zu Zeiten des Ribbentrop-Molotow Paktes - Empfehlungsschreiben der deutschen Regierung, die wir natürlich nicht beibringen konnten.

Ich kann mich, obwohl ich noch ein Kind war, bestens an die Jahre 1939 bis 1941 in Futog erinnern. Unser damaliges zeitweise sehr aufregendes Leben wurde freilich durch viele Erzählungen meiner Eitern in meinem Bewusstsein wachgehalten, so dass ich mir sicher bin, keine groben Fehler bei ihrer Schilderung zu begehen. Erst kürzlich hatte ich Futog wieder besucht und das kleine Eckhaus auf der Hauptstrasse in "Neu Futog", in welchem wir ein Jahr untergebracht waren, völlig unverändert vorgefunden. Das Bauernhaus, in welches wir später umzogen, in "Alt-Futog" vis á vis der katholischen Kirche, die heute völlig delabriert ist, steht allerdings nicht mehr, wohl aber die zu diesem Haus gehörige sogenannte "Sommerküche", in welcher in der warmen Jahreszeit gekocht, vor allem eingekocht, wurde.

Zusammenleben in der Wojwodina#

Die Wojwodina hatte sich damals noch durchaus einen altösterreichischen Charakter bewahrt. Viele Nationen lebten dort friedlich zusammen, Serben, Kroaten, Ungarn, Slowaken, Rumänen, Zigeuner und sogenannte "Volksdeutsche". Die nazideutsche Propaganda hatte aber bereits erfolgreich begonnen, die "Schwaben", wie sich die deutschsprachige Bevölkerung selbst nannte und wie sie auch von den Serben in leicht despektierlicher Weise bezeichnet wurde, zu verhetzen und die Beziehungen zwischen ihnen und vor allem den Serben, dem eigentlichen Staatsvolk, zu vergiften. Den Volksdeutschen wurde eingeredet, dass sie als Angehörige eines besseren und überlegenen Volkes Führungsansprüche hätten. Sie träumten vom "Reich" und dass ihr Führer sie bald befreien würde. Viele junge Burschen erlagen dieser Propaganda und meldeten sich freiwillig zur SS nach Deutschland. Immer lauter ertönte der Ruf "Heim ins Reich".

Unsere Familie gab diesen ziemlich primitiv denkenden Volksdeutschen Bauern in Futog intellektuell völlig unlösbare Probleme auf. Aus naheliegenden Gründen der Sicherheit verschwiegen wir natürlich, dass wir vor Hitler geflohen waren. In ihren Augen waren wir aber aus dem "Reich" zu einem Zeitpunkt nach Futog gekommen, wo sie alle heim ins "Reich" wollten... Dies erschien ihnen höchst suspekt. Offensichtlich waren wir zwar "Deutsche", aber doch keine richtigen, wahrscheinlich waren wir Volksfeinde, vielleicht sogar Juden. Andererseits waren wir aber praktizierende Katholiken, die sich noch dazu sehr um das pfarrliche Leben der dortigen Katholiken verdient machten. Während die volksdeutschen Kinder in der Schule sich nun mehr oder weniger weigerten, die serbische Landessprache zu lernen, studierte Vater Missong serbisch, und ermahnte er auch uns Kinder, diese Sprache zu erlernen. Jedenfalls wurden wir von fast allen als Fremdkörper empfunden und stiessen fast überall in der Bevölkerung auf Ablehnung.

In der Schule#

In Futog gab es damals sowohl eine serbische als auch eine deutsche Volksschule, in welche ich und meine ältere Schwester Agnes eingeschrieben wurden. Diese Schule in Alt-Futog befand sich an der Abzweigung der nach Novi Sad führenden Hauptstraße von unserer Straße. Sie bestand aus zwei Klassenräumen in welchen jeweils die Schüler von drei Klassen untergebracht waren. Den Namen des Direktors werde ich sicher bis zu meinem Tod nicht vergessen. Er hieß Georg Ottmann und verlangte von uns, dass wir seinen Namen auf unzähligen Heftseiten niederschrieben. Auch während des Unterrichts, den er selbst im Falle von Zahnschmerzen, die ihn anscheinend sehr häufig überfielen, seiner ungefähr zehnjährigen Tochter überließ, schrieben wir meistens nur seinen Namen. Dutzende von Heften, in welchen nichts als Georg Ottmann stand, waren das Ergebnis dieses "Unterrichts" zu den Jahresenden!

Von den Buben verlangte der Lehrer Georg Ottmann, dass sie sich auf den kommenden Krieg rechtzeitig vorbereiteten. Zu diesem Zweck musste jeder Bub eine Art Gewehr in die Schule mitbringen. Ich besaß als einziger ein kleines Spielzeuggewehr, mit dem man tatsächlich Bolzen schiessen konnte, während alle anderen Buben von ihren Vätern nur Gewehrattrappen aus Holz vorweisen konnten. Mein Gewehr imponierte Lehrer Ottmann sehr und trug erheblich zu einem guten Zeugnis bei. Lehrer Ottmann spielte gerne Feldwebel und ließ alle Buben im Hof exerzieren. Er meinte nämlich, dass die männliche Jugend nicht früh genug das Kriegshandwerk lernen könne. Da meinen Eltern diese Art Unterricht nicht geheuer war, mussten wir Kinder zu unserem großen Leidwesen auch nachmittags, wenn alle anderen Kinder spielten, beim Vater Privatunterricht nehmen. Nach dem Anschluss der Batschka an Ungarn im Frühjahr 1941 wurde die deutschsprachige Volksschule plötzlich zu einer ungarischen "Magyar Nepiskola" und die Zeugnisse wurden dementsprechend auf ungarisch ausgestellt. Freilich konnte kein einziger Schüler dieser Schule sein Zeugnis und die Noten lesen. Heute bin ich aber stolz darauf, auch ein ungarisches Schulzeugnis zu besitzen.

Fluchtversuch im Pferdewagen#

Auch die einheimische serbische Bevölkerung stand uns naturgemäss wenig freundlich gegenüber, weil wir ja aus "Deutschland" kamen. Klarheit wurde geschaffen, nachdem die Deutschen und die Ungarn im Frühjahr 1941 Jugoslawien überfallen hatten. In völliger Verzweiflung und Verkennung der Lage versuchte mein Vater seine Familie mittels eines angemieteten Pferdewagens in Richtung Rumänien und Bulgarien in Sicherheit vor den Deutschen zu bringen. Rückblickend war dies freilich ein völlig sinnloses Unterfangen. Schon auf der Strasse nach Novisad geriet der Pferdewagen unter Beschuss deutscher Stukas und mitten zwischen die kämpfenden Einheiten der jugoslawischen Armee und der aus dem Norden anrückenden Ungarn. Unvergesslich werden, mir die Sturzflüge der feindlichen Flugzeuge auf unser Pferdegespann bleiben: Während mein Vater, meine ältere Schwester und ich bei diesen Angriffen eiligst unter dem Leiterwagen in Deckung gingen, gelang dies meiner Mutter nicht. Sie musste auf dem Gefährt ausharren und hielt schützend ihren grossen schwarzen Hutkoffer über den Kopf ihres kleinsten Töchterleins von knapp vier Jahren, das auf ihrem Schoß saß. Die uralte Bäuerin, die den Pferdewagen führte, schien von all dem, was da vor sich ging, kaum etwas zu bemerken. Teilnahmslos hielt sie bei Angriffen über Zuruf meines Vaters den Wagen an und wartete seelenruhig bis man ihr wieder ein Zeichen zur Weiterfahrt gab.

Die Flucht vor den Deutschen war aussichtslos. Belgrad war durch die deutschen Bombardements zerstört, auch in Novi Sad fielen die Bomben und zerstörten die Donaubrücke. Der Weg nach Süden, weg von den Deutschen, war verschlossen. Nach wenigen Tagen kehrte der Pferdewagen mit uns und unseren wenigen Habseligkeiten in das "befreite" Futog zurück, wo nun der Volksdeutsche Pöbel das Sagen hatte. Unsere Wohnung hatte er inzwischen so ziemlich von allem, was wir zurückgelassen hatten, gesäubert.

Mit grossem Bangen sah mein Vater nun dem Einzug der deutschen Truppen in unser Dorf und der neuerlichen Begegnung mit der Gestapo entgegen. Verängstigt und verzweifelt lief er nervös im kleinen Obstgarten unseres Hauses herum. Hinter unserem Haus und nach einigen Feldern verlief die Hauptstrasse von Budapest nach Novi Sad und weiter nach Belgrad. Von dort hörten wir den Lärm vorbeiziehender Panzer und Lastautos. Ich kletterte auf einen Apfelbaum, um von seinem Wipfel einen besseren Ausblick auf die Strasse zu bekommen. Tatsächlich konnte ich deutlich die mich ungemein faszinierende Bewegung eines endlosen Trosses von Soldaten und schweren Geräts ausmachen. Ich berichtete meinem Vater, der unten stand und dies alles nicht ausnehmen konnte, genauestens über alles was ich sah. "Jetzt sehe ich auch die Fahnen" sagte ich, worauf er völlig die Fassung verlor und verzweifelt seufzte, dass er das Hakenkreuz nicht sehen möchte. Ich erklärte ihm, dass ich kein Hakenkreuz sehen könne, sondern nur rot-weiss-grüne Fahnen. Als ich auf mehrmaliges Nachfragen bestätigte, dass es weit und breit kein Hakenkreuz gäbe, hellte sich das Gesicht meines Vaters auf: "Es kommen die Ungarn und nicht die Deutschen, jetzt haben wir doch noch eine Chance!" Dieser Lichtblick ließ in meinem Vater die Hoffnung aufkeimen, die sich später allerdings leider als trügerisch erweisen sollte, dass er den Schergen der Gestapo entkommen sei und von ihnen nicht mehr verfolgt würde. Tatsächlich wurde die Batschka nicht von den Deutschen, sondern von den Ungarn besetzt, die sich uns gegenüber korrekt und ziemlich desinteressiert benahmen.

Donauschwaben, Ungarn, Serben#

Nicht so die Schwaben, die in Futog in den ersten Tagen nach der Kapitulation Jugoslawiens ihre eigene Herrschaft errichteten. Sie schmückten ihre Häuser mit riesigen Hakenkreuzfahnen und Bildern des Führers, während die Ungarn ihre rot-weiß-grüne Grüne Fahne hissten. Von uns "Deutschen" erwartete man natürlich auch, dass wir unsere Verbundenheit mit Deutschland und seinem Führer durch Hakenkreuzfahnen zum Ausdruck brachten. Dies brachte mein Vater aber einfach nicht über sich. Er war nur bereit, einen kleinen ungarischen Wimpel am Hauseingang anzubringen. Dies war für die deutschbewussten Volksdeutschen des Dorfes zu viel und wurde von einigen ihrer bewaffneten Aktivisten zum Anlass genommen, ihn zu verhaften und durch das gute zwei Kilometer lange Strassendorf zu einem nazistischen Parteilokal zu eskortieren, vor welchem sie Anstalten machten, ihn zu erschiessen. Nach bangen Stunden des Wartens und einem blödsinnigen Verhör durch sehr primitive Volksdeutsche Bauern, die sich zu den neuen Herren im Dorf gemacht hatten, wurde mein Vater freigelassen. Der folgende Spiessrutenlauf nach Hause durch die gaffenden Menschen wird mir immer in Erinnerung bleiben. Die Schwaben waren sich nun völlig im Klaren, dass die Missongs Volksfeinde waren. Sie ließen ihrer Verachtung durch eindeutige Zurufe freien Lauf, während die Serben sich vor meinem gedemütigten Vater und uns Kindern, die wir ihm weinend nachliefen, tief verbeugten. Die "schwäbische Herrschaft" dauerte, Gott sei Dank, nicht sehr lange, weil die Ungarn bald ins Dorf einrückten. Die willkürliche Behandlung der Serben, die plötzlich ziemlich rechtlos waren und deren Besitz und Ehre nicht mehr geachtet wurden, fand, zumindest vorläufig, ein erträgliches Ende. In den von den Deutschen besetzten Gebieten Jugoslawiens, vor allem natürlich in Kroatien und in Slawonien wurde allerdings sofort mit der physischen Vernichtung oder mit der Vertreibung der serbischen Bevölkerung begonnen. Wir waren dennoch oft Zeugen der Verbrechen, die damals an den Serben begangen wurden. Viele Tage hindurch zogen nämlich die vertriebenen Serben mit den wenigen Habseligkeiten, die sie auf ihre Wägelchen laden konnten, auf der langen Hauptstrasse unseres Dorfes in Richtung Novisad und Innerserbien. Immer wenn ich im Fernsehen die Bilder von den unglücklichen Menschen sah, die im letzten Krieg in Jugoslawien aus ihren Heimatdörfern vertrieben wurden, muss ich an Futog im Jahre 1941 denken. Ich hatte das alles schon als Kind gesehen. Meine zwei Schwestern und ich standen lange Zeit in der Menge der neugierig gaffenden und schimpfenden Volksdeutschen, die am Strassenrand gleichsam ein Spalier für die endlosen Elendszüge der erniedrigten und gepeinigten serbischen Menschenmassen bildeten. Wir verstanden natürlich nicht die Hintergründe dieses makabren Spektakels, bis uns plötzlich der Vater entdeckte und uns ganz gegen unsere Schaulust nach Hause führte. Er zürnte uns und sagte prophetisch: "Jene, die jetzt am Strassenrand die Vertriebenen begaffen, werden bald das gleiche erleiden und vertrieben werden. Dann werden die Rollen umgekehrt verteilt sein". Wenn immer ich es mit vertriebenen Donauschwaben zu tun bekam, die ihr zweifellos auch sehr tragisches Schicksal beklagen, muss ich an diese Szenen denken.

Über Budapest nach Wien abgeschoben#

Schlecht und recht konnten wir noch einige Monate in Futog verbringen. Die Nächte waren schrecklich, weil der Volksdeutsche Mob regelmässig versuchte, in unser Haus einzudringen und uns zu schlagen oder gar zu töten. So mussten täglich alle Fenster und Türen verbarrikadiert werden, um das Ärgste zu verhindern. Eine menschenwürdige Zukunft konnte uns das besetzte Jugoslawien natürlich nicht mehr bieten. Da die Möglichkeit der Emigration nach England oder Amerika nicht mehr gegeben war, versuchte Vater Missong, in Budapest eine neue Existenz als Journalist in einer katholischen deutschsprachigen Zeitung zu finden. Dort wurde er allerdings verhaftet und zusammen mit der gesamten Familie per Schub unter Polizeibewachung nach Deutschland ausgeliefert. Diese Reise von Budapest nach Wien und der Abschied von meinem Vater am Ostbahnhof in Wien, wo er von der Gestapo abermals in Haft genommen wurde, werde ich nie vergessen. Bevor ihn die Nazischergen abführten, segnete er uns Kinder und sprach uns Mut zu. Wir hatten wenig Hoffnung, ihn jemals wiederzusehen.

Abermals erwies sich der Umstand, dass er den Grossteil seiner schriftstellerischen Arbeiten unter falschem Namen publizieren musste, als Rettung. Die Gestapo hatte auch nie erfahren, dass er in Eingaben versucht hatte, den Vatikan zu einer Exkommunikation der nationalsozialistischen Ideologie und seiner Anhänger zu bewegen. So wurde Missong nach einigen Wochen der Haft wieder auf freien Fuß gesetzt. Allerdings sorgten regelmäßige Vorladungen zur Gestapo bis zur Befreiung 1945 für Abwechslung besonderer Art.

Abschliessend möchte ich meinen Vater als Familienmenschen schildern. Alle seine Kinder verdanken ihm unendlich viel. Er liebte uns und nahm uns und unsere kindlichen Sorgen sehr ernst. In unserem Haus wurde viel diskutiert und der Vater bemühte sich, uns die Welt zu erklären und uns durch Ermahnungen aber vor allem durch sein Beispiel zu reifen und verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen. An Hand der Bücher über "Lebensführung" seines verehrten Lehrers und Mitstreiters, des deutschen Pädagogen Friedrich Wilhelm Foerster, wurde theoretischer Ethikunterricht erteilt. Schon in meinen frühen Kindheitsjahren erzählte mir mein Vater aus seinem reichen geistigen Erfahrungsschatz. Die jüngste österreichische und europäische Geschichte erlebte ich förmlich in seinen spannenden Erzählungen. Da ich als Bub oft den nächtelangen Diskussionen meines Vaters mit seinen Freunden beiwohnen durfte, war mir das besondere Glück beschieden, tief in seine geistige Welt einzudringen und sie zu verstehen. Ich hätte mir keinen besseren Vater und Lehrer als ihn vorstellen können und weiss, dass ich ihm zu grösstem Dank verpflichtet bin.


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