Wer war die „Friedens-Bertha“?#
Sigrid Pöllinger
Bertha von Suttner war die erste Frau und bisher einzige Österreicherin, die den Friedensnobelpreis erhielt. Geboren wurde Bertha Felicita Sophie Kinsky am 9. Juni 1843 in Prag in einer Familie mit langer militärischer Tradition. Ihre Lebensgeschichte ist faszinierend. Sie vermochte durch ihr eigenes Schicksal den Frauen ein Beispiel zu geben. Bertha von Suttner gelang es eine bedeutende Rolle in einer Zeit zu spielen und weltweit das Wort zu ergreifen, als Frauen noch nichts zu sagen hatten (kein Wahlrecht, kein Zugang zu öffentlichen Ämtern, zu Universitäten etc.).
Zwei Männer spielten eine bedeutende Rolle in ihrem Leben. Artur von Suttner, der jüngste Sohn der Familie, bei der sie als Gouvernante in Wien arbeitete und den sie auch heiratete. Er war sieben Jahre jünger und ihre große Liebe. Schicksalshaft wurde für sie ihre Begegnung mit Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits, für den sie kurz in Paris als Sekretärin arbeitete. Mit Nobel verband sie bis zu seinem Tod eine tiefe Freundschaft. Er unterstützte ihre Friedensaktivitäten und schuf auf ihre Anregung hin den Friedensnobelpreis. Dieser Preis sollte denjenigen verliehen werden, die am meisten zur Verbrüderung der Völker und Dezimierung der Armeen beigetragen und sich für den Frieden eingesetzt hatten.
1905 erhielt Bertha von Suttner als Vorkämpferin der europäischen bürgerlichen Friedensbewegung für ihre unermüdliche Friedenstätigkeit und ihren lebenslangen Einsatz gegen Gewalt, Krieg und Unterdrückung den Friedensnobelpreis.
Bertha von Suttner hielt als erste Frau öffentliche Vorträge, nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, wohl ausgerüstet mit perfekten Sprachkenntnissen und bestens informiert über die politische Situation und das Spiel der Mächtigen der damaligen Zeit. Ihre Lebensaufgabe sah sie darin „dem Krieg den Krieg zu erklären“ und den Frieden zu erhalten. Viele Jahre schrieb sie Bücher und Artikel unter einem männlichen Pseudonym, da, wie sie meinte, in wissenschaftlichen Kreisen gegen die Denkfähigkeit der Frauen zuviel Vorurteil herrschte.
1889 erschien ihr elftes Buch, das ein sensationeller Erfolg wurde und sie über Nacht berühmt machte: Die Waffen nieder! Es stellt eine Anklageschrift gegen die Greuel des Krieges dar durch eine schonungslose und realistische Schilderung des Schlachtfeldes von Königgrätz, wo 1866 eine der blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts stattfand. Dieses Buch brachte ihr weltweite Anerkennung. Leo Tolstoi beispielsweise verglich ihr Buch mit Onkel Toms Hütte.
Von dieser Zeit an widmete sich Bertha von Suttner voll und ganz der Friedensarbeit. Streitigkeiten zwischen den Völkern und Ländern sollten nicht mehr mit Waffengewalt, sondern durch Verhandlungen und Schiedsgerichtsverfahren geregelt werden.
Bertha von Suttner wurde zur Symbolfigur der Friedensbewegung ihrer Zeit und stellte ihr ganzes Leben in den Dienst der Idee, eine friedlichere Welt zu schaffen. Es gelang ihr, die Massen für den Friedensgedanken zu gewinnen.
Sie gründete eine österreichische Friedensgesellschaft, zu deren Präsidentin sie gewählt wurde, sowie eine deutsche und eine ungarische Friedensgesellschaft. Sie war Mitbegründerin des internationalen Friedensbüros in Bern sowie Mitorganisatorin der ersten Haager Friedenskonferenz 1899. Sie gab eine Friedenszeitschrift heraus und nahm an Weltfriedenskongressen teil, wie zum Beispiel an jenem in Rom 1891, wo sie als erste Frau das Wort ergreifen konnte.
Bertha von Suttner kann als Vorkämpferin nicht nur der europäischen Friedensbewegung, sondern auch der Friedensforschung angesehen werden. Sie trug wesentlich dazu bei, sich gegen die alte Ordnung aufzulehnen, die den Krieg als unvermeidliche Erscheinung in der Geschichte ansah. Mit ihrer ganzen Persönlichkeit und all ihren Kräften und ihrem Wissen kämpfte sie gegen den Krieg und für den Frieden. Sie starb am 21. Juni 1914. Ihre letzten Worte waren: „Die Waffen nieder, sagt es vielen, sagt es vielen…“. Nur sieben Tage nach ihrem Tod fielen die Schüsse in Sarajewo und der Erste Weltkrieg begann, der vier Jahre dauern sollte und weit mehr als zehn Millionen Tote forderte.
Bertha von Suttners Bemühungen waren aber dennoch nicht umsonst. Viele Rechte der Frauen, für die sie gekämpft hat, sind heute verwirklicht und Selbstverständlichkeit. Wesentliche Institutionen der Friedenssicherung und der internationalen Zusammenarbeit gehen auf Anregungen Bertha von Suttners zurück. Es sind dies zum Beispiel der Haager Schiedsgerichtshof, der Völkerbund, die Interparlamentarische Union (IPU) und die Stiftung des Friedensnobelpreises. Auch die Gründung der Vereinten Nationen und die Schaffung der Europäischen Union entsprechen ihrem Gedankengut. Man kann nur hoffen, dass all ihre Bemühungen, für die sie gekämpft und gelebt hat, nicht in Vergessenheit geraten.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch:
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